Kritiken Theater
homezur Startseite eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor Seitenübersicht • sitemap • Plan du siteÜbersicht sitemap Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken

2007-09-28 Theaterkritik:  
Wenn Oma das Erbe an ihre
Pflegerin verschenkt

Uraufführung von "Fremde im Haus" am Staatstheater Wiesbaden - Kritische Gegenwartskomödie von Cesare Lievi
 

ape. Wiesbaden. 

Die alte Dame in Cesare Lievis Stück „Fremde im Haus“ unterscheidet von der Mehrzahl ihrer Altersgenossen dies: Sie ist reich. Im Verlaufe des Abends entzieht sie ihren beiden Söhnen ein Erbe von vier Millionen Euro, transferiert es über trickreiche Wege auf  Nimmerwiedersehen an ihre ukrainische Pflegerin Ludmilla. Das erfährt der Zuseher im dritten und letzten Akt, einer Rückblende. Was treibt die Alte zu solcher Maßnahme? Abstrafung einer ebenso satten wie lieblosen Folgegeneration, deren Lebensart sie als „Schminke, Maskerade, Betrug“ geißelt? Oder ist es bloß die Boshaftigkeit einer debilen  Greisin?


 

Lievi - in Wiesbaden und Bonn zuletzt oft wie gern gesehener Gast vor allem als Opernregisseur - hat die Uraufführung des Schauspiel-Dreiteilers aus eigener Feder jetzt auch selbst für das Staatstheater Wiesbaden inszeniert. 90 Minuten, die im ersten Teil jene alte Dame vorstellen als schwierig, dickköpfig, zänkisch, ungerecht gegenüber den Söhnen, mehr noch gegenüber Ludmilla. „Die klaut!“, behauptet die Seniorin zu unrecht, aber steif und fest, mag ihr erster Sohn (Uwe Kraus) noch so sehr das Gegenteil beschwören. Im zweiten Teil sehen wir diesen Sohn, seinen Bruder (Lars Welling) und Schwiegertochter Inge (Evelyn M. Faber) über den Verbleib des Vermögens der mittlerweile verstorbenen Mutter rätseln. Jetzt plötzlich richten die Jungen Diebereiverdacht gegen die verschwundene Pflegerin.

 

Dem Lamento mancher Theaterleiter, die zeitgenössische Dramatik brächte jenseits des Boulevard-Genres keine Komödien von Niveau mehr hevor, sei „Fremde im Haus“ entgegen gehalten. Zugleich sei gewarnt: Lasst die Finger davon, wenn ihr keine sehr gute Altersdarstellerin zur Verfügung habt. Denn von einer solchen lebt dieses Stück; in Wiesbaden von Monika Kroll.

 

Ihre alte Dame nervt, wie alte Menschen ungeduldige junge eben nerven können mit ihrer Egozentrik, ihrer Bockigkeit, ihrer Launenhaftigkeit und ihren ewigen Sermon von „früher“. Zugleich und trotzdem behauptet Krolls Darstellung die Würde des Alters, das Recht auf Langsamkeit, Sprunghaftigkeit, auch Verschrobenheit. Und siehe, es entsteht eine Figur von widerspenstiger Statur, die nicht nur in Frage stellt, was die Jungen für eine vernünftige Altersversorgung halten, sondern die die konformistisch-ökonomische Lebensart des Heute selbst zwielichtig erscheinen lässt.

 

Die komplexen Zusammenhänge entfalten sich in einem überdimensionalen Salon-Zimmer  (Bühne: Josef Frommwieser) in jener herrlich ambivalenten Humorigkeit, wie sie nur auf Basis von Wiedererkennungseffekten beim Zuseher entstehen kann. Diese Wirkung ist wesentlich auf den ersten Teil konzentriert. Im zweiten reduziert sich Lachen auf gelegentliches Schmunzeln: Ohne den renitenten Konterpart der alten Dame versinkt die Konversation der Sprösslinge in profaner Kleinkariertheit.

 

Im Schlussteil werden Stück und Inszenierung heimelig leise. Denn dort haben Greisin und die Jahrzehnte jüngere Pflegerin aus einfachsten Verhältnissen zueinander gefunden. Auch Ludmilla ist nicht selten von der Alten genervt. Aber Susanne Bards Spiel strahlt ruhige Duldsamkeit aus, akzeptiert die Marotten des Alters als Normalitäten des Lebens: „Es ist keine Schuld, zu werden alt“, radebricht sie. Was die Hausherrin nur bedingt tröstet: „Aber es ist schwer, es nicht als Schuld zu empfinden.“  

                                                                                        Andreas Pecht            

(Erstabdruck 29.09.2007)

 
Diesen Artikel weiterempfehlen was ist Ihnen dieser Artikel
und www.pecht.info wert?
 
eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor
eMail an webmaster • eMail to webmaster • contact webmastereMail an webmaster Seitenanfang • go top • aller en-hautan den Anfang Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken