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2007-10-08 Analyse:
Der Befreiungskämpfer wurde zur
Pop-Ikone und bleibt doch subversiv

Am 9. Oktober vor 40 Jahren ließ die bolivianische Junta
Ernesto "Che" Guevara erschießen

 
ape. In einer Dschungel-Hütte gefangen gesetzt. Dort  im Auftrag der bolivianischen Militär-Junta erschossen. Der Leichnam den Kameras als makabere Siegestrophäe präsentiert. Was heute vor 40 Jahren zwecks Bezeugung einer schmählichen Niederlage inszeniert wurde, erschuf dem 20. Jahrhundert eine Helden-Figur von mythologischer Dimension:  den Guerillero Ernesto „Che“ Guevara  –  als Sinnbild für den Befreiungskampf der Dritten Welt verehrt, als wohlfeile Pop-Ikone vereinnahmt.
 
Der Schnappschuss, den  Alberto Korda am 5. März 1960 in Havanna machte, ist das bis heute womöglich bekannteste Foto auf Erden.  Es zeigt Che Guevara mit zerzaustem Haar unterm von einem goldenen Stern gezierten, schwarzen Barrett, den Blick sinnend in die Ferne gerichtet. Das Bild ging um die Welt. Es wurde allerdings nicht als Pressefoto berühmt. Vielmehr  erorberte es sich nach der Erschießung Ches am 9. Oktober 1967 als  Poster, Hemd-Aufdruck, Aufkleber oder Graffity-Schablone den öffentlichen Raum rund um den Globus.

Das Foto von Fidel Castros frühem Mitkämpfer in Kubas  Revolution  wurde zum Symbol. Die europäische 68er-Bewegung räumte dem Bildnis einen Platz neben Karl Marx und Ho Chi Min ein. In den USA gehörte es zur Hippie-Ausstattung, fand seinen Platz auch zwischen Angela Davis und Malcom X, den Galionsfiguren der radikalen Farbigenbewegung. In Afrika, vor allem aber in Lateinamerika avancierte es zum Identifikations-Logo der nationalen und sozialen Befreiungskämpfe. Im Sowjetreich wurden Legende wie Konterfei von Che Guevara einige Zeit lang zur Motivation der Jugend für den „revolutionären Internationalismus“ missbraucht.

All das ist Geschichte – das Bildnis mochte dennoch nicht verschwinden. Es prangt bis heute an mancher Hauswand, gerade in Lateinamerika, wo in linken und/oder ärmlichen Milieus Che Guevara teils wie ein Volksheiliger verehrt wird. Es hängt auch hierzulande bisweilen noch in Wohnzimmern längst ergrauter Nachkriegsjahrgänge. Oder es ziert Wäsche, Schulmappen, Rock-Bühnen und Jugendzimmer  der Kinder- respektive Enkel-Generation. Die weiß von Che vielfach bloß den Namen, sofern nicht selbst der hinter der Deutung des Bildes als schieres Mode-Accessoir verschwunden ist.

Che Guevara ist jenem Marktmechanismus zum Opfer gefallen, der ständig Äußerungen subkultureller Widerständigkeit an sich reißt und in wohlfeile Trends verwandelt. Und doch unterscheidet das Phänomen Che  etwas von den schnell verwehenden Moden der Postmoderne: Seine Beständigkeit, und seine anhaltende Bindung an ein Gefühl des Trotzes und zumindest des Träumens von  einer gerechteren Welt. So vage und ungerichtet das auch sein mag. Che ist eine Pop-Ikone geworden, gewiss. Aber eine, der die subversive Kraft nicht vollends ausgetrieben werden konnte.

Das wiederum hat mit dem Mythos Che zu tun, der sich  bei vielen Menschen quasi ins Unterbewusstsein eingegraben hat –  wie Albert Einstein als nonkonformistisches Genie oder Marylin Monroe als Sexsymbol. Woher rührt der Nimbus, der diesen 1928 in Argentinien geborenen Mann bis heute umgibt? Ernesto Guevara war der asthmatische Spross einer wohlhabenden Familie. Er hat Medizin studiert, war Arzt. Als Schlüssel für sein Leben gelten zwei abenteuerliche Reisen des jungen Mannes per Motorrad in den 1950ern durch Mittel- und Südamerika: Armut und Knechtung der einfachen Menschen dort erschütterten ihn tief und nachhaltig.

Die unrühmliche Rolle der US-Politik, selbstherrlicher Konzerne und Obristen dabei entfachten seinen Zorn. Er schloss sich der Revolutionsbewegung unter Castro an, wurde nach dem Umsturz erster Industrieminister Kubas. Dann das Zerwürfnis mit Fidel, als dieser sich zu sehr in russische Umarmung begab. Che, der überzeugte Kommunist, mochte den Sowjetsozialismus fast ebenso wenig wie die in seinen Augen imperialistischen USA. Beiden Mächten trotzend, versuchte er sich als Guerilla-Führer im Kongo, dann in Bolivien. Diese Unternehmen blieben militärisch völlig bedeutungslos, begründeten dennoch die Legende Che Guevara.

Die Biografie erklärt vieles vom Nimbus: Ein tiefes Gefühl für Armut und Ungerechtgkeit machte den Abenteurer in der Ära der kolonialen Befreiung zum selbstlosen Tat-Menschen. Ein Politikerdasein lockte ihn nicht. Im politischen Spiel  der Großen behielt er stets seine Unabhängigkeit. Und noch unter den hoffnungslosesten Umständen mochte er vom Streben nach einer besseren Zukunft gerade für die Unterprivilegierten nicht lassen.

Aus solchem Holz schnitzt Hollywood gerne seine Helden. Nur dass Che keine verlogene Fantasterei war, sondern in den 1960ern der meistgesuchte Mann auf den Fahndungslisten der CIA und aller lateinamerikanischen Diktaturen. Wie bei jedem  Heroen, realitiviert sich auch bei ihm Manches, sobald man der realen Figur näher tritt. Im Umgang mit Gegnern und Deserteuren war etwa Edelmut nicht seine Sache. Aber wie stets in der Ikonographie, wurde auch Che  zum makellosen Ideal stilisiert – eine Ästhetik des Widerstandes vertretend, die heute eine Romantik des Rebellischen ist.                                     Andreas Pecht

(Erstabdruck am 9. Oktober 2007)
 
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