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2007-10-18 Schauspielkritik:  
Woyzeck in surrealen Traumgespinsten

Koblenzer Inszenierung des Büchner-Klassikers
sucht Rhythmus aus Innerlichkeit und Gewalt
 
ape. Koblenz. Werner Tritzschler hat in den Kammerspielen Koblenz eine interessante Sicht auf Georg Büchners „Woyzeck“ inszeniert. Interessant und für dieses Theater ungewohnt schon der Raum: Guckkasten und Bestuhlung raus,  die Zuschauer sitzen (sehr unbequem) auf einem Seitenpodest; ebenerdig die von zwei Videowänden flankierte,  offene Spielfläche.

Tritzschler  hebt  räumliche wie zeitliche Trennung der Szenen des nur in Fragmenten überlieferten Stückes von 1836 auf. Er stellt eine surreale, dem Träumen ähnliche  Gleichzeitigkeit her. Meist sind alle Protagonisten auf der Spielfläche. Wer nichts zu tun hat, kauert verängstigt in Fensternieschen oder flüchtet in den Schlaf – dabei beobachtet von Kameras, deren auf die Wände projizierten Bilder die realitätsentrückte Atmosphäre  verstärken.

Es entfaltet sich ein Abgründe umkreisendes Spiel, dessen Teilnehmer Seelenbeschädigte sind. Überraschend hier: Über weite Strecken wirkt Bernd Riesers Woyzeck wie der einzig halbswegs „normale“ Mensch unter lauter Verrückten. Zwar ein bisschen sonderbar, übersteht dieser einfache Soldat doch die Drangsalierung durch seinen Hauptmann. Der ist bei Olaf Schaeffer ein von Schwermut  zum Bersten gefüllter Typ; manchmal birst er.

Woyzeck hält sich auch als Versuchskaninchen eines durchgeknallten Doktors (Georg Vietje) ganz gut. Irre wird er erst durch die Entdeckung, dass seine geliebte Marie es mit einem andern treibt. Deren erhitzten Leib macht er mit dem Messer kalt. Gibt Rieser den Woyzeck sehr schön als nach innen blickende, hart an der Grenze zum depressiven Verstummen agierende Figur, so stellt Marie das Zentrum der eruptiven Komponente dieser Inszenierung dar.

Es steckt enormes Potenzial in Cynthia Thurat. Die einstige Elevin des Koblenzer Jugendtheaters verbindet Liebessehnen, Träume vom besseren Leben, Kampfeswillen, Fleischeslust und Verletzbarkeit zu bemerkenswerter tragischer Präsenz. Die Fähigkeit zu fein differenzierendem Spiel ist unverkennbar, die jugendliche Neigung zu berserkerhaftem Überdrehen allerdings ebenso. Hier hätte Tritzschler bremsen können, aber er wollte wohl nicht.

Denn seine Inszenierung ist  als Tanz auf dem Vulkan angelegt. So verpasst Markus Angenvorth dem Tambourmajor Brutalo-Züge, sein Tete-a-Tete mit Marie wird zum rüden, in Vergewaltigung mündendes Leibsgemenge. Zu erleben sind 90 Minuten,  die einen Rhythmus zwischen fast autistischem Innen und aggressivem Außen entwickeln. Der wankt bisweilen etwas unter allzu penetranten Wuchtschlägen, hält aber dann doch. Andreas Pecht


(Erstabdruck 19. Oktober 07)
 
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