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2007-11-25 Schauspielkritik: | |
„Lulu“ trifft Mackie Messer Frank Wedekinds Klassiker wird am Theater Koblenz in der Regie von Martin Kloepfer, beinahe, zur Burleske |
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ape. Koblenz.
Opfer oder Täterin? Verführte oder Verführerin? Heilige
oder Hure? Seit der Uraufführung 1898 nötigt Frank Wedekinds
„Lulu“ diese Kontroverse auf. Die Titelfigur
trägt zur Klärung wenig bei. Mal behauptet sie: „Ich
bin mir meiner vollkommen bewusst“. Dann wieder beantwortet Lulu
die Frage, ob sie keine Seele habe, mit hilflosem „Ich
weiß es nicht“. Am Ende jedenfalls sind alle, die sie liebten, tot. Von Lulu vernichtet? Das auch. Aber mehr noch hingemetzelt vom eigenen Verlangen nach der die bürgerlichen Normen sprengenden Gossengöre, an die sie sich verlieren. Von Männern und Umständen schließlich wieder in den Dreck gestürzt, verendet diese in einer Elendsabsteige unter dem Messer eines Lustmörders. Bis dahin dauert es am Koblenzer Stadttheater knapp drei Stunden. Mit der frisch-gegenwärtigen Inszenierung von Martin Kloepfer und einem durchweg gut eingestellten Ensemble vergeht die Zeit geschwind. Das einst von der Zensur notorisch verfolgte, nachher für manchen Theaterskandal gute Stück irritiert auch in der Einrichtung des Koblenz-Debütanten. Jedoch nicht mit ausladenden Leibesspielen, sondern mit Witz. „Monstretragödie“ nannte Autor Wedekind sein Hauptwerk. Das Programmheft spricht nun von „Tragikkomödie“. Der erste von mehreren an die Bühnenrückwand projezierten Zwischentiteln, mit denen Kloepfer die Akte wie Szenen eines Stummfilmes verbindet, behauptet gar eine „Burleske“. Damit wird von psycho-realistischen Sichtweisen jüngerer Jahrzehntet Abstand genommen und zurückgegriffen auf frühe Interpretationen, die Lulu als Harlekina zeigten. Allerdings nicht ganz. Von einem Moment zum nächsten kann die Koblenzer Lulu in todernstes Leid stürzen. Und wo sie ausnahmsweise wirklich liebt, den Chefredakteur Schön (Heinz Kloss), wird die Harlekina zur Tragödin. Weshalb das Spiel inmitten eines vielgestaltig arrangierbaren Haufens aus Kissen und Sitzmöbeln in schwedischer Leinenoptik (Bühne: Katrin Gerheuser) sehr ambivalent ausfällt. Madeleine Niesche führt ihre Lulu vorderhand nicht als Lolita-Vamp ein, sondern als komische Figur. Die albernde Maid ist von den Männern ebenso gelangweilt wie ihr Sexappeal billig. Sie ist nicht, was Medizinalrat Goll (Olaf Schaeffer), Maler Schwarz (Andreas Sindermann), Alwa (Oleg Zhukow) oder die lesbische Gräfin (Christiane Lemm) in ihr sehen, sondern nur Projektionsfläche für deren Fantasie. Niesche hält geschickt alles Erotische auf beiläufiger oder auf lächerlich machender Distanz. Derart verbreitet sie bald eine Dreigroschenoper-Stimmung, die sich nachher mittels Song- und Rezitationseinlagen fortschreitend verdichtet. Dazu passt formidabel Kornelius Heidebrecht als koboldhafter Multifunktions-Musikus im Graben. Wir spielen ein Spiel um die Vorstellung von den Lockungen des Weibes, könnte man dieses Regiekonzept umschreiben. An dem zwei Momente nicht gefallen: Eine Phase kalauerndes Boulevard unterm Wohnzimmertisch, und am Ende ein Lustmord, den richtig zu inzenieren wohl die Zeit fehlte. Ansonsten: Sehenswert. Andreas Pecht (Erstabdruck 26. November 2007) |
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