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2007-11-26 Tagungsbericht:
Auf dem Weg hinaus aus der Fremde

Tagung in der Abtei Marienstatt
diskutiert unaufgeregt über Integration


 
ape. Marienstatt. Veranstaltungen dieser Art sind etwas aus der Mode gekommen. Da nahmen sich Menschen zwei Tage Zeit, um über die Integration von Einwanderern zu sprechen. Sie taten es auf  Einladung der Landeszentrale für Umweltaufklärung und des Westerwaldvereins in der Abgeschiedenheit der Abtei Marienstatt. Und sie taten es ohne in landläufigen Alarmismus über „ Parallelgesellschaften“ oder „Überfremdung“ zu verfallen.
 
Referenten und Diskutanten der diesjährigen „Marienstatter Zukunftsgespräche“ setzen sich in Ruhe mit dem Thema „Fremde in der Heimat – Heimat in der Fremde“ auseinander. Sie leugnen nicht die Probleme, die sich aus und mit der Migration ergeben. Aber sie betrachten die Schwierigkeiten der Einwanderer ebenso wie die der Einheimischen mit der Einwanderung als unausweichliche Daueraufgabe, die bewältigt werden muss und kann.

Die engagierte Gelassenheit in der Runde rührt vom Bewusstsein her, dass Migration nicht Ausnahme-, sondern Normalfall der Geschichte ist. Darauf heben mehrere Tagungsvorträge ab. TAZ-Redakteur und Buch-Autor Ralph Bollmann lenkt beispielsweise die Aufmerksamkeit weit  zurück aufs römische Imperium, das zahllose Völkerschaften und Kulturen zu deren und zum eigenen Nutzen integriert hat.


Römischer Vielvölkerstaat

Das Imperium Romanum  war, so Bollmann, eine Wohlstandszone, vergleichbar den westlichen Industriestaaten heutiger Tage. Beides Regionen mit großer Attraktivität für die Menschen außerhalb davon.  Der Integrationskraft des antiken Weltreiches war sein zuerst politheistisches Religionswesen überaus zuträglich. Der problemlosen Aufnahme neuer, von außen hinzukommender  Götter, machte erst der Aufstieg des Christentums zur Staatsreligion ein Ende.

Zu dieser Schwierigkeit gesellte sich ziellose Integrationspolitik. Im Falle der Goten-Wanderung im 4. Jahrhundert führte das  erst zu Aggressionen römischer Grenzbevölkerung gegen die gotischen Zuwanderer, schließlich zu einem für die weiteren Geschicke Roms schicksalhaften Krieg.
Bereits das antike Rom machte deutlich, dass  Abschottung der Völker und Kulturen weder möglich noch  wünschenswert ist. Weil die Vorteile signifikant sind, sollten Migrationsprobleme klug angepackt werden .
 
Vom christlichen Standpunkt aus könne es Fremde sowieso nicht geben, erklärt Thomas Denter, ehemaliger Abt von Marienstatt. Denn in jedem Menschen erscheine das Bild Gottes. Sein Nachfolger Andreas Range zitiert Matthäus: „Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen und ich bin nicht fremd geblieben.“ Die theologische Anschauung korrespondiert mit der humanistischen vom vermeintlich Fremden als gleichwertigem Mitmenschen. Von beiden Standpunkten leitet sich die Grundforderung an Politik und Gesellschaft ab, dass die Würde auch jedes einzelnen Gastarbeiters, Asylsuchenden, Einwanderers unantastbar und zu achten ist.

Zwischen moralischen Grundsätzen und Realität liegen Kluften, die der Osnabrücker Migrationsforscher Klaus J. Bade aufgreift. Die von draußen kommen hierher mit Hoffnungen auf ein besseres Leben. Sie wecken bei denen drinnen bisweilen Alpträume: „Angst vor dem Fremden, hinter der auch die Angst um das Eigene steht.“  Wenig hilfreich ist in solcher Gemengelage das Verengen der Betrachtung einzig „auf abschreckende Szenarien wie Zwangsheiraten, Ehrenmorde oder angeblich wuchernde Parallelgesellschaften“.

Diese Probleme existieren  und müssen ernst genommen werden. Allerdings werde dabei, so Bade, „oft einseitig skandalisiert und übertrieben, wird der Blick auf die in Deutschland größtenteils friedliche Entwicklung oft verstellt“. Interessant der Verweis, dass Koloniebildungen für Einwanderungsprozesse generell völlig normal sind: Siehe die vielen „Little Germanies“, die deutsche Migranten in den USA des 19. Jahrhunderts bildeten.

Je fremder oder ablehnender die Fremde, umso enger rücken die Migranten  zusammen. Die Gemeinschaft bietet Halt, auch Schutz „gegenüber dem mitunter aggressiven oder auch nur so empfundenen Assimilationsdruck der umschließenden Mehrheitsgesellschaft“. So verständlich die Schutzsuche im landsmannschaftlichen Getto ist, sie verzögert doch den Prozess der sozialen Integration, vor allem dessen ersten und grundlegenden Schritt, den Spracherwerb.


Dialog auf Augenhöhe

Dessen Unverzichtbarkeit unterstreichen die Deutsch-Afghanin Rona Yussof Mansury und die kurdischstämmige deutsche Journalistin Mely Kiyak. Beide Frauen erinnern aber auch daran, dass Integration nicht heißen kann, Einwanderer zur völligen Aufgabe ihrer Herkunftskultur zu zwingen. Mansury skizziert die aus dem interkulturuellen Umgang erwachsende Bereicherung. Kiyak wünscht sich den Dialog auf gleicher Augenhöhe. Beide halten die derzeitige Reduzierung der Integrationsdiskussion auf das Islamthema für unsinnig und an den eigentlich sozialen Fragen vorbeigehend.
 
Eine Position, die Bade und Willi Mayer vom Caritasverband teilen. Sie heben die Notwendigkeit einer „nachholenden Integration“ in Deutschland hervor. Bei anhaltend sinkenden Einwandererzahlen (und  wachsender Auswanderung) gehe es jetzt vor allem um die Integration derer, die hier sind und deren Kinder. Nachholbedarf wird reklamiert: Denn zu lange habe sich das staatliche Bemühen darauf konzentriert, keinen Einwanderer – außer den Russlanddeutschen – hier Wurzeln schlagen zu lassen.

„Nachholende Integration“, wo die neben Bildungs- und Arbeitsförderung ansetzt, dafür gab es in Marienstatt bemerkenswerte Praxis-Beispiele: das Integrative Sportprojekt ISPE in Höhr-Grenzhausen und die bundesweite Initiative „Interkulturelle Gärten“. Gute Schritte auf dem Weg zum unvermeidlichen Miteinander.                  Andreas Pecht

(Erstabdruck am 27. November 2007)
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