Kritiken Theater
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2007-12-05 Theaterkritik  
Intensives Kammerspiel nach Houellebecqs "Elementarteilchen"

Dirk Diekmann komprimiert den Roman
am Theater Koblenz zum Vier-Personen-Gespräch
 
ape. Koblenz.  „Elementarteilchen“: Der Roman von Michel Houellebecq war 1998/99 in Frankfeich und Deutschland literarisches Ereignis ersten Ranges und  Skandalon zugleich. Von den Konservativen angefeindet wegen unverblümter Darstellung sexueller Obsessionen. Von den Linken kritisiert wegen vermeintlicher Propagierung kleinbürgerlicher Familienidylle. Beiden suspekt wegen einer Zukunftsicht düsterer Hoffnungslosigkeit. Dirk Diekmann hat den Roman für die Kammerspiele des Stadttheaters Koblenz zu einem kleinen, feinen Konversationsstück verarbeitet.

Kammerspiele: In diesem Falle wird die Lokalität ihrer Bezeichnung auch inszenatorisch gerecht. „Elementarteilchen“ kommt als tatsächliches Kammerformat vors Publikum. Vier Schauspieler bloß; zwei Männer, zwei Frauen. Von Zuschauern rings umgeben eine rechteckige, rot-orange gedeckte Spiefläche. Ein übergroßes Bettsymbol, vielleicht. Verweis auf Räkelfläche in Peep-Shows, mag sein. Jedenfalls entblößen  die vier sich darauf, einzeln oder in wechselnden Konstellationen – nie ihren Körper, dafür umso intensiver ihren Geist, ihr Herz, die Schrunden ihrer Seele.

Handlung gibt es keine. Man redet: Versonnen für sich oder zueinander oder miteinander. Jeder erzählt von Kindheit, Jugend, Erwachsenenzeit und allfälligem Scheitern. Man reflektiert ausgebliebene Elternliebe, vertane Jugendliebe, die Gier nach Sex und das nachher schal gewordene Glücksversprechen der Sexualität.

Wie im Roman, so verschränken sich auch im Theater das Sinnen über persönliche Schicksale und das Philosophieren über Gang sowie Zustand der modernen Welt miteinander. Eins steht fürs andere. Michel (Diekmann), Molekularbiologe, der Geschlechterlust entzogener Geistmensch, Rationalist. Er kann alles erklären, und doch das Geheimnis des „Ich-Bewusstseins“ so wenig enträtseln wie die Leere im eigenen Gemüt. Das Gegenteil: Sein Halbbruder Bruno (Hartmut Volle), ein von Libido Getriebener, aber erfolglos bei den Frauen, deshalb Onanist.
Michel und Bruno, Schlaumeier und Sexbesessener: Stellvertreter für die beiden Hauptsäulen der Moderne, die Wissenschafts- und Technikgläubigkeit hier, die Sexualisierung der Gesellschaft da. Anders als der Roman verzichtet Diekmanns Bearbeitung für das Theater auf biografische Spiel- und drastische Sexszenen. Bisweilen eine Andeutung, ansonsten bloß Gespräch und Nachdenken. Dazu Blicke, Haltungen, Gesten, angefüllt, aufgeladen mit Empfindung: viel Leid, wenig Hoffnung, gelegentlich ein Lachen, manchmal etwas Trost – das alles zurückhaltend, intensiv statt laut, in  glaubhaftem Gesprächsrealismus ausgebreitet.

Zu den Männern die Frauen, die noch mehr gefährdeten. Annabella (Heike Trinker), Jugendfreundin Michels. Nachdem die beiden nicht zueinander hatten kommen können, ging sie in vielen Betten Liebe suchen. Aber sie fand 25 Jahre lang nur Sex – dann erst wieder zu Michel. Christiane (Tatjana Hölbing), die wie süchtig Sex gesucht und spät für Bruno auch Mitgefühl und einen Anflug von Liebe entdeckt hatte. Nach verkorkstem Leben auf den libertinären Autobahnen einer konsumgeilen, jugendwahnsinnigen, lüstlich enthemmten Morderne scheint  unter dem guten alten Himmel von liebender Zweisamkeit ein Happy-End denkbar. Es kommt anders, muss anders kommen in der Welt wie sie ist.

„Elementarteilchen“ in Koblenz: Ein starker Abend, den Romanstoff klug komprimierend und schauspielerisch so dezent wie genau unterfüttert.                                              Andreas Pecht

(Erstabdruck am 6. Dezember 2007)
 
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