Thema Gesellschaft / Zeitgeist
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2007-12-08 Kommentar: 
Verantwortung für den Nächsten

Über Kindstötungen -
Aus Anlass der Tragödien in Plauen und Darry

 
ape.  Wenn die Meldungen über mitten in Deutschland verhungerte, verdurstete, zu Tode gequälte, erschlagene oder ermordete Säuglinge und Kinder kommen, möchte man Augen und Ohren verschließen, dem Unbegreiflichen den Zugang zu Hirn und Herz verwehren. Was Menschen, Eltern oft, Mütter gar Kindern antun, nicht zuletzt ihren eigenen, ist zutiefst verstörend. Denn es unterminiert unseren Begriff von Menschentum, liegt jenseits aller zivilisatorischen Maßstäbe, steht außerhalb jeder Moral oder Religion. Und doch reißen die Meldungen nicht ab. Es hat dieser Tage fast den Anschein, als sei irgendein Damm brüchig geworden und sickerten nun sich stetig vermehrende Rinnsale des Wahnsinns in die Gesellschaft hinein.

Angesichts des Schrecklichen Sachlichkeit zu wahren, fällt schwer. Aber der sachlichen Betrachtung bedarf es, will man einen Umgang mit dem Phänomen Kindstötung finden, will man es eindämmen - wenn schon ein Ausmerzen kaum möglich zu sein scheint. Der wohl am meisten frustrierende Befund der Fachleute aus Psychologie, Kriminologie, Sozialarbeit und Seelsorge lautet: Es gibt kein Allheilmittel gegen Kindstötung. Denn jeder Fall liegt anders. Der spontane Ruf nach schärferen Gesetzen ist verständlich. Aber eine Mutter, die ihre Kinder tötet, ist aus der Welt gefallen, ist für vernünftiges Denken längst nicht mehr zugänglich. Sie lebt im Ausnahmezustand, ist krank, ist versehrt, und sei es nur für einen Moment. Sie mag in dieser Verfassung an alles Mögliche denken, ans Gesetz denkt sie gewiss nicht.

Solche Ausnahmezustände des Geistes und der Seele sind keine Erscheinung nur der Moderne. Kindstötungen gab es in allen Zeitaltern. Meist sind sie der letzte Schritt in einer langen Kette von sozialen und/oder psychologischen Verwerfungen des individuellen Lebens: Hunger, Elend, Hoffnungslosigkeit, Verwahrlosung, Vergewaltigung, Prügel, Ächtung, Isolation verbinden sich zu einer Hölle, in der Menschen ihre Menschlichkeit verlieren können. Manchmal sind es aber auch "nur" völlig unerwartete, scheinbar durch nichts begründete Aussetzer eines Gehirns - urplötzlich auftretende Krankheitszustände.

Muss man sich deshalb mit Kindstötungen abfinden? Nein. Es geht um Eindämmung. Genauer: Es geht darum, in möglichst vielen Einzelfällen möglichst vorab die Gefährdungspotenziale zu erkennen, die zu den Extremen jenes individuellen Ausnahmezustandes führen können. Und es geht dann darum, helfend, vorsorgend, schützend, pflegend einzugreifen. Diese Anforderung richtet sich an alle: An Staat, Behörden und Sozialeinrichtungen ebenso wie an die Zivilgesellschaft, also Verwandte, Bekannte, Kollegen, Nachbarn. Maxime des Handelns ist die Fürsorgepflicht gegenüber den Schwächsten.

Verantwortung für den Nächsten hat jeder. Sie lässt sich nicht vollends auf den Staat abwälzen - auch wenn Schulen, Jugend- und Sozialämter quasi von Berufs wegen in besonderer Pflicht stehen. Es wird zu prüfen sein, ob deren personelle und sachliche Ausstattung hinreicht. Es ist auch zu prüfen, ob im Einzelfall professionell gehandelt wurde. Doch die Erfolgsaussichten bei der Eindämmung von Kindstötungen bleiben begrenzt, wenn ringsumher Kälte und Gleichgültigkeit statt Solidarität und Nächstenliebe herrschen.                                       Andreas Pecht
 

(Erstabdruck 8. Dezember 2007)
 
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