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2007-12-09 Schauspielkritik:  
Diese Johanna scheitert an einer konturlosen Welt

Schirin Khodadadians Inszenierung findet in Mainz keinen weiterführenden Zugang zur „Jungfrau von Orleans“


 
ape. Mainz. 
Friedrich Schiller hat uns mit der romantischen Tragödie „Die Jungfrau von Orleans“ ein schwieriges Erbe hinterlassen. Die Handlung an sich war schon zur Entstehungszeit des Stückes um 1800 Historienschinken oder Heiligenmär. Allerdings nur äußerlich und so nicht gemeint. Des Autors Zeitgenossen konnten sich am darin enthaltenen, in die Zukunft weisenden, revolutionären Hintersinn reiben oder erfreuen: Johanna als Fleisch gewordene Idee der Freiheit.

Dieses Vergnügen bleibt heutigen Zusehern verwehrt. Denn die fundamentale Kompromisslosigkeit, mit der die Jungfer um eines hehren Ideals willen über Leichen geht, hat ihren subversiven Reiz im 20. Jahrhundert eingebüßt, ist im 21. zum Horror geworden. Theatermacher, die sich seither des Stückes nicht bloß im Sinne musealer Klassikerpflege annehmen wollten, mussten neue Deutungen jenseits der von Schiller angelegten Ebenen finden. Viele Inszenierungen sind daran gescheitert, so auch diejenige von Shirin Khodadadian jetzt im Kleinen Haus des Staatstheaters Mainz.

Eine Bretterpalisade auf Rollen (Ausstattung: Carolin Mittler) teilt die Bühne, trennt Franzosen von Engländern. Bekriegte man sich sonst mit Schwertern, fliegen in Mainz im Schlachtenfall Rüstungsteile von einer zur anderen Seite, veranstalten die Mannen um die rollende Holzwand ein Wettdrücken. Im Eifer oder Zorn werden schon mal Bretter herausgerissen.  Nach langen dreieinviertel Theaterstunden steht das Wehrwerk zerfleddert da. Und der erschöpfte Beobachter müht sich vergeblich, Inszenierungsideen zu erinnern, die etwas mehr waren als bloß Bebilderung der altbekannten Handlung nach jüngerem theaterästhetischem Usus.

Denn ob am französischen Hof die feine Form genusssüchtiger Lethargie herrscht oder, wie in Mainz, die Gesellschaft in gestiefelter Lotterkluft um einen schnoddrig pathetisierenden König (Gregor Trakis) zäh herumlungert, macht essentiell keinen Unterschied. Dass Königsgeliebte, Königsmutter und andere mit schweren Stiefeln sich in überlangen Kleider- und Mantelschleppen verheddern müssen, ist ebenso unschön wie für eine inhaltlich weiterführende  Interpretation belanglos. Dass im Aufbrausen, Ringen, Toben – als Gegenpol zum Stillestehen des Herumlungerns reichlich bemüht – auch noch die Sprachverständlichkeit auf der Strecke bleibt, ist ein handwerkliches Ärgernis.

Man könnte den Abend abwinken, gäbe es nicht diese Franziska Hackl in der Titelrolle. In ihrem Spiel sind alle Ingredienzien für eine große Johanna-Darstellung vorhanden: Unbefangenheit, Natürlichkeit; dazu Selbstbewusstsein, Trotzköpfigkeit, Starrsinn auch; dazu Verletzlichkeit, Schutzbedürftigkeit, Verlorenheit; schließlich ein Hauch unschuldiger Sinnlichkeit. Ihre großen Monologe im ersten und im vierten Aufzug sind anrührende  Momente.

Weil aber  die Ingredienzien nie richtig zu einem ambivalenten Ganzen verschmelzen, bleibt auch diese Johanna nebelhaft. Was zwangsläufiges Resultat einer Inszenierung ist, die an einem Grundproblem krankt: An der Unentschlossenheit, das Stück irgendwo in Zeit, Raum, Weltsicht, Fragestellung oder auch nur Sprache zu verorten.
                                                                                      Andreas Pecht

(Erstabdruck am 10. Dezember 2007)
 
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