Thema Vortrag
homezur Startseite eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor Seitenübersicht • sitemap • Plan du siteÜbersicht sitemap Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken


2007-12-11 Konzerteinführung: 
Antonio Vivaldis "Vier Jahreszeiten"

Unkorrigiertes Manuskript des Einführungvortrages zum 1. Görreshauskonzert 07/08 am 9. Dezember 2007. (Solist war Benjamin Schmid)

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Musikfreunde,

ich darf Sie recht herzlich zum ersten Orchesterkonzert im Görreshaus in der Saison 2007/2008 begrüßen. Vier Konzerte stehen bis zum April auf dem Programm und alle vier im Zeichen der Violine. Weshalb Sie im Verlaufe dieser Saison Gelegenheit haben, hier im Görreshaus vier Sologeiger von internationalem Rang kennenzulernen.

Den Auftakt der Reihe macht heute ein ganz besonderes Konzert. Eines, das es in dieser Form im Rahmen der Görreshauskonzerte noch nie gegeben hat. „Jazz meets Klassik“ würde der neudeutsche Marketingsprech das Ereignis wohl überschreiben. Ich nenne es einfach „ein spannendes Vorhaben“, wenn Antonio Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ erst in klassischer Weise, anschließend als improvisierte Jazz-Adaption präsentiert werden. Wenn obendrein ein Musiker vom Format Benjamin Schmids dabei Stabführung, Solistenpartie und die Rolle des Spiritus Rector übernimmt, könnte das Unternehmen zum Glücksfall werden.


Auf dem heutigen Programm steht nur einziges Werk. Was per se für unsere Konzertreihe schon ein Novum darstellt: „Le Quattro Stagioni“ – die vier Jahreszeiten, von Antonio Vivaldi. „Einspruch!“ könnte nun jemand durchaus mit Recht dazwischenrufen, denn genau genommen handelt es sich bei den „Vier Jahrezeiten“ nicht um EIN Werk, sondern um vier Violinkonzerte. Jedes ist eine eigenständige, kompositorisch in sich abgeschlossene Arbeit, die durchaus auch alleine stehen könnte. Jedes ist ein dreisätziges Concerto mit der Satzfolge schnell – langsam – schnell.

Aber zu hören bekommt man diese vier Konzerte seit ewigen Zeiten stets als Gesamtpaket. Und tatsächlich gehören die vier auch untrennbar zueinander. Ein Ordnungszwang, der allerdings nicht aus der Musik selbst resultiert, sondern gewissermaßen von außen kommt, von der Programmatik oder der außermusikalischen Thematik, die Vivaldi seiner Komposition zugrunde gelegt hat: den Jahreszeitenzyklus Frühling, Sommer, Herbst und Winter.

In diesem Fall ist die Verbindung zwischen Musik und außermusikalischem Thema eindeutig und bedarf keinerlei spekulativer Interpretation, wie sie in so vielen anderen Fällen  berechtigter oder unberechtigter Weise gerne angestellt wird. Der ewige Disput der Musikwissenschaft, ob gewisse Werke Programmmusik oder absolute Musik seien, ob zu ihrem Verständnis außermusikalische Gedanken bemüht werden können respektive müssen, oder ob die Musik ganz aus sich selbst und für sich selbst lebe – dieser Disput ist hinsichtlich der „Jahreszeiten“-Konzerte überflüssig, weil vom Komponisten unmissverständlich entschieden: Antonio Vivaldi hat jedem der vier Konzerte nicht nur einen Namen in Form einer thematischen Überschrift gegeben; Frühling, Sommer, Herbst, Winter. Er hat jedem sogar einen erklärenden Text  vorangestellt: je ein Sonett, dessen Verse die betreffende Jahreszeit charakterisieren.

Man geht heute überwiegend davon aus, dass die vier Jahreszeiten-Gedichte aus Vivaldis eigener Feder stammen. Ohne freilich dessen Autorenschaft letztgültig beweisen zu können. Wie dem auch sei: Es handelt sich um sehr hübsche Gedichte mit zauberhaftem Rhythmus und Sprachgesang – im italienischen Original. Diesen positiven Eindruck gewann ich vor ein paar Jahren bei der Rezitation der Vivaldi-Verse durch einen befreundeten Italiener. Und wäre ich dieser wunderschön singenden Sprache mächtig, ich würde Sie jetzt auf Italienisch in den nämlichen Genuss kommen lassen.

Aber Leider, leider: Isch spreeche aber gar keine Italiänisch. Und die deutschen Übertragungen, die zu finden waren, sind allesamt bloß zum Schaudern unpoetische Profan-Übersetzungen. Die meisten Eindeutschungen erfassen weder den Sprechrhythmus noch die ziemlich raffinierte Reimstruktur des Originals. Trotz dieses ewigen Problems mit fremdsprachlicher Lyrik, möchte ich Ihnen doch ein paar Strophen der Jahreszeiten-Sonette auf Deutsch vorstellen. Quasi als Beleg oder Beweis dafür, wie eng bei Le quattro Stagioni die Musik mit realweltlichen Ereignissen verwoben ist. Ich benutze eine Übersetzung  aus dem Beiheft zu Anne-Sophie Mutters 1999er-Einspielung der „Vier Jahreszeiten“.

Die vier Konzerte beginnen, wie das Jahr auch, mit dem „Frühling“, über den Vivaldi folgendes schrieb:

„Der freudenreiche Frühling ist ins Land gezogen,
mit fröhlichem Gesang heißen die Vögel ihn
willkommen, und bei linden Lüften plätschern
die Bäche lieblich dahin.“

In der zweiten Strophe verändert sich die Szenerie drastisch: Ein Gewitter zieht auf und durch.

„Der Himmel ist mit schwarzem Mantel verhangen;
Blitze und Donner künden ein Unwetter.
Da es wieder still geworden,
beginnen die Vögel aufs Neue zu singen“.

Hernach dann allfällige Beruhigung und Beschreibung einer ländlichen Idylle. Die dritte Sonett-Strophe entspricht musikalisch dem Mittelteil des Frühlings-Konzertes; die dazugehörige Satzbezeichnung lautet: Largo e pianissimo sempre, also: langsam, gedehnt und durchgängig sehr leise.
 
„Und auf blumenreicher Matte schläft
Bei zartem Gewoge der Zweige und Blätter
Der Hirte, den treuen Hund zur Seite.“

Die letzte Strophe schließlich handelt von Freude und volkstümlicher Festlaune angesichts des sich entfaltenden Frühlings. Der dazugehörige dritte Satz des ersten Jahrezeiten-Konzertes ist überschrieben als Danza pastorale, allegro = Hirten- oder Naturburschentanz, schnell

„Zu fröhlichen, ländlichen Dudelsackklängen tanzen
Die Nymphen und Hirten in ihrem geliebten Haine,
wenn der Frühling Einzug hält in all seiner Pracht.“  

Soweit das deutsche Stolpergeholper der dem Frühlingskonzert vorangestellten italienischen Erklärungs-Verse. Sie erkennen unschwer: Es geht um Naturphänomene, Naturerleben, naturnahe ländliche Bilder. Davon handeln auch die anderen drei Jahreszeiten-Konzerte. Und die Musik folgt den jeweiligen textlichen Impressionen gewissermaßen auf den Fuß - sei es in Form unmittelbar adäquater Lautmalereien von Tierstimmen über Gewittergetöse bis zur Dudelsackimitation oder sei es in musikalischen Stimmungsbildern.

Wobei ich eines anmerken muss: Es ist nicht klar, was zuerst war – Huhn oder Ei. Will sagen: Wir wissen nicht, ob Vivaldi sich vom poetischen Text zur Musik anregen ließ, oder ob er zuerst die Musik komponiert hat und hernach quasi entlang der musikalischen Stimmungen seine Sonette dichtete.

Lassen Sie mich ein paar Beispiele anführen dafür, wo und wie Vivaldi mit Musik Naturimpressionen malt. Der Frühling hebt an mit einem Kopfthema, das eine wohlgemute, freudige, positive, beinahe ausgelassene Grundstimmung verströmt, die genau genommen das gesamte Werk prägt. Sie kennen das Motiv …. (SINGEN).
Nach einer leisen Wiederholung fliegt das Thema hinein in quirliges Vogelgezwitscher, in dem die Solovioline die Führung übernimmt, aber nicht alleine bleibt: Sofort fällt ein zweiter  Vogel ins Geträller ein. Wie das nun mal so ist in der Natur.
Dann wieder ein paar Takte Eingangsmotiv, bis eine neue Sologruppe unverkennbar das liebliche Plätschern der Bäche in die Atmosphäre webt.

Bald folgt der Durchzug des Gewittersturmes – ein Sujet, für das Vivaldi offensichtlich ein Faible hatte, denn er greift es im Sommer-Konzert noch einmal und im Winter gleich zweimal auf. Da gibt es im Frühlingssturm ein aufgeregtes, bedrohliches Zerren und Reißen bei den tiefen Streichern, darüber blitzt und irrlichtert in den höchsten Tönen die Solovioline. Da ist bei den Winterunwettern ein An- und Abschwellen des Sturmes in auf- und absteigenden Streicherfiguren und Tremoli. Damit gilt Vivaldi in Sachen Sturm und Unwetter als Wegbereiter für folgende Musikergenerationen. Das Gewitter beispielsweise im 4. Satz von Beethovens 6. Sinfonie, der Pastorale, orientiert sich eindeutig am Vivaldischen Vorbild.
 
Einige der vielen Naturalismen in den „Vier Jahreszeiten“ seien noch kurz angedeutet: des Hirtenhundes Gebell bei den Bratschen im Frühling; im „Sommer“ sind die Stimmen von Kuckuck, Taube und Distelfink ebenso zu erkennen wie das Gesummse von Fliegen oder Bienen; im „Herbst“ stolpert ein Betrunkener durch die Szene oder wird im Zuge einer Jagd die Solovioline als fliehendes Wild von der Meute des Orchesters gehetzt. Und der Winter macht sich außer mit Stürmen auch durch Regen, klirrende Kälte oder unsichere Schritte auf knackendem Eis bemerkbar.

Sie werden nachher beim Konzert bemerken: Die Identifikation der meisten dieser Phänomene ist ganz einfach, Vivaldis musikalische Bildsprache sehr gut verständlich.  
 
Obwohl die Programmusik erst mit der Romantik zu eigentlicher Blüte gelangte, war die musikalische Nachahmung und  Stilisierung von Umweltphänomenen oder Milieueindrücken bereits zu Vivaldis Zeit, also im Barock, durchaus bekannt. Vor allem Opernkomponisten waren ständig auf der Suche nach szenisch verwertbaren Musik-Effekten. Und auch wenn Vivaldi uns heute in dieser Funktion eher fremd ist, so war er zu seiner Zeit doch ein ebenso bedeutender wie überaus produktiver Opernkomponist. Von rund 50 Opern aus seiner Feder weiß man inzwischen, nicht wenige Partituren wurden allerdings erst im späten 20. Jahrhundert in diversen Nachlässen und verstaubten Ablagen entdeckt.

Der Maestro selbst sprach einmal von 94 Opern, die er geschaffen habe. Woran die Musikhistoriker nicht recht glauben wollen, und deshalb davon ausgehen, dass Vivaldi auch diverse Bearbeitungen mitgezählt hat. So oder so: Am Kapitel „Vivaldi als Opernkomponist“ haben Musikwissenschaft und Musiktheater-Macher wohl noch einiges zu schreiben.

Lassen Sie mich an dieser Stelle ein paar knappe Bemerkungen zur Person unseres Komponisten einflechten. Antonio Vivaldi stammt aus einfachen Verhältnissen. Er wurde Anfang März 1678 in Venedig als erstes von 9 Kindern der Familie Giovanni Battista und Camilla Vivaldi geboren. In der Literatur ist bisweilen auch die Rede von 6 Kindern. Die Differenz ist vermutlich auf Mitzählen oder nicht früh verstorbener Geschwister zurückzuführen. Der Vater war Barbier und Violinist, spielte im Orchester von San Marco und soll ziemlich gut gewesen sein. Bei diesem Orchester hat Klein-Antonio schon als Zehnjähriger mitmusiziert, bisweilen sogar seinen Vater vertreten, von dem er auch seinen ersten Geigenunterricht erhielt.

Der Senior hatte wie gesagt zwei Berufe, Barbier und Musiker. Der Junior stieg ebenfalls zweigleisig ins Erwachsenenleben ein: Antonio Vivaldi wurde Priester und zugleich Berufsmusiker – was sich seinerzeit in Venedig offenbar keineswegs ausschloss. Dass er das Priesteramt nur zwei Jahre ausübte, war Vivaldis schwächlichem Gesundheitszustand geschuldet, der ihn sein ganzes, 63 Jahre dauerndes  Leben hindurch begleitete.  Er selbst sprach in Briefen von einer „leidigen Enge der Brust“; man nimmt heute an, dass es sich um Asthma oder Angina Pectoris handelte.  

Vivaldi wurde 1703 Maestro di Violino an Kirche und Waisenhaus „della Pieta“ in Venedig. 1709 übernahm er die Nachfolge von Francesco Gasparini als Leiter des angesehenen Orchesters dieser Einrichtung. Die Arbeit bestand aus Unterrichten, Konzertieren und Komponieren. Vivaldi soll ein engagierter Instrumentallehrer und Ensembleleiter gewesen sein. Nicht zuletzt diesem Umstand verdankt sich wohl seine enorme Produktivität: Der Herr Lehrer komponierte sich sein Unterrichtsmaterial selbst. Allein 30 seiner rund 240 Violinkonzerte schrieb er für eine besonders talentierte Schülerin im Waisenhaus. In summa hat Vivaldi etwa 500 Konzerte für Soloinstrumente mit Orchester komponiert.

Und, wie sich das für einen guten, aufgeschlossenen Lehrer gehört: Dieser Antonio Vivaldi war ein experimentierfreudiger, geradezu experimentierwütiger Zeitgenosse. Er probierte neue Konzertformen aus, steckte alle möglichen Instrumenten in die Solorolle, darunter das gesamte Spektrum des Holzgebläses, darunter auch die Viola d’amore, die Mandoline, ja sogar das Hackbrett. Er verhalf dem dreisätzigen Konzert zum Durchbruch, und dank ihm wurde das Solokonzert zur konzertanten Hauptform des Hochbarocks.

Vivaldi war bald einer der einflussreichsten Musiker Italiens. Als 1712 in Amsterdam die Sammlung „L’estro armonico“ mit 12 Konzerten von ihm erschien, machte ihn das rasch in ganz Europa bekannt. Der Einfluss von Vivaldis Musik auf seine Zeit wird auch bei Johann Sebastian Bach deutlich, der beispielsweise mehrere Konzerte des Italieners für Cembalo und Orgel transkribierte. Vivaldi reiste viel, arbeitete auch außerhalb Venedigs, etwa in Mantua als Kapellmeister des Landgrafen Philipp von Hessen-Darmstadt.

Antonio Vivaldi war in der europäischen Musikszene des frühen 18. Jahrhunderts als Opern-Komponist, Konzertkomponist und als Geigenvirtuose ein Star, eine Legende fast. Wie das so ist, wurde er schließlich ein Opfer wechselnder Moden: Mit dem Aufstieg des so genannten „galanten -“ oder „empfindsamen Stils“ um 1730 begann sein Stern zu sinken.  1740 reiste er nach Wien, im Juli des folgenden Jahres starb er dort – von der Musikwelt weitgehend unbeachtet.
 
Zurück zum heutigen Konzert. Sollten Sie, verehrte Zuhörer, aus meinen vorherigen Ausführungen den Eindruck gewonnen haben, bei den „Vier Jahreszeiten“ handele es sich bloß um eine Sammlung interessanter und raffinierter Nachahmungseffekte, so müsste ich jetzt entschieden gegensteuern. Denn zwar spielen solche Effekte eine große Rolle, aber schlussendlich sind sie doch nur lebhafte Teile eines Ganzen von hohem, musikalisch-eigenständigem Wert. Man muss bei der Bewertung bedenken: Im Barockzeitalter wurden Naturbewegungen als Analogien zur Bewegtheit des Herzens verstanden. Wo Außenphänomene musikalisch abgebildet werden, geht es folglich nicht vorrangig um diese Abbildung selbst, sondern um die künstlerisch affektive Spiegelung (oder auch Hervorbringung) menschlicher Regung.

Die „Vier Jahreszeiten“ sind seit Generationen eines der meistgespielten Werke des klassischen Konzertrepertoires überhaupt. Und sie sind es bis in unsere Tage geblieben sind. Le quattro Stagioni ist ein Superhit, ein Evergreen – und das so sehr, dass der arme Vivaldi inzwischen als Quelle für Kaufhaus-Musik, Fahrstuhlgedudel und Toilettenbeschallung herhalten muss. Sehen wir von solchen Schattenseiten der Prominenz mal ab. Woher rührt die Beliebtheit des Werkes im Klassikbetrieb? Große Gefühle bei gleichzeitig effektreicher Verwurzelung in bildhafter, greifbarer, plastischer Realität – darin könnte das Geheimnis liegen.

Es gibt Musikpuristen, die bekritteln allzu arge Effekthascherei und finden dieses Werk Vivaldis wie viele andere ebenfalls als zu leichtgewichtig. Diesen Einwand hat etwa Anne-Sophie Mutter 1999 folgendermaßen pariert: „Zugegeben, in punkto der rein technischen Schwierigkeitsgrade ist Vivaldi so wie manches bei Mozart: Keine Hürde, die ein guter Musikstudent nicht schon als Teenager bewältigen könnte.“

(Eine ziemlich übertriebene Verharmlosung, will ich meinen. Wie die genialen Talente bisweilen eben so reden. Die haben halt keine Vorstellung davon, wie unsereiner sich als normalsterblicher Studiosus schon mit wesentlich weniger anspruchsvoller Literatur hat herumplagen müssen). Weiter Frau Mutter: „Aber die Kunst besteht ja nicht darin, dass ich etwas schnell, sauber und perfekt spiele. Die Kunst besteht darin, der Partitur eine Seele zu verleihen. Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ sind doch eine einzige Lebensorgie, ein Farbenrausch.“

Das muss der so genannte „Punkgeiger“ Nigel Kennedy ähnlich empfunden haben, als er 1989 seine Interpretation der Vivaldischen Jahreszeiten einspielte und mit dieser CD etwas schaffte, das bis dahin für völlig unmöglich gehalten wurde: Eine Klassik-Scheibe dringt in die europäischen Pop-Charts vor. Nicht nur das, sie dominiert die Jugend-Hitlisten sogar wochenlang.  Kennedys Schlabberlook, sein punkiger Haarschnitt, sein Straßenslang, sein ganzes jugendszenetypisches Auftreten mögen ihren Teil dazu beigetragen haben. Aber hätte nicht auch Vivaldis Musik die jungen Leute damals irgendwie abgesprochen, aus dem Coup wäre nie was geworden.

Kennedys Interpretation ist eigen, da geht richtig die Post ab: Wahnwitzige Tempi, Gewitter wie Weltuntergänge und die langsamen Mittelsätze seltsam psycheledisch schwebend.  Fünf Jahre zuvor, 1984, hatte Anne-Sophie Mutter mit den Wiener Philharmonikern unter Herbert von Karajan das Werk sehr schön, aber so gravitätisch eingespielt, als handle es sich um ein „Hochamt“. Diese Formulierung stammt nicht von mir, sondern von der Solistin selbst; aber sie ist treffend. Völlig anders dann die CD-Aufnahme der „Jahrezeiten“ von Frau Mutter 1999 mit den Trondheim Soloist: Da tanzen die Jahreszeiten, Ausgelassenheit, Witz, Rausch, dionysische Freuden an und in der Natur prägen die Atmosphäre. Und die Adagio-Passagen sind schiere Erotik.

Drei Einspielungen desselben Stückes, und dennoch drei völlig verschiedene Empfindungswelten. Das ermöglicht Vivaldi. Seine Komposition motiviert diverse Interpretationsweisen, ermutigt unterschiedlichste Fantasien und: Sie gibt Raum, diese auch musikalisch auszuleben.     

Wir dürfen gespannt sein, wie Benjamin Schmid - erster Artist in Residence bei unserem Orchester - als heutiger Solist und Dirigent der Rheinischen Philharmonie im ersten, dem klassischen Konzertteil die Vivaldischen Spielräume füllt. Als Klassiker geht Schmid mit dem Orchester in die Pause, als Jazzer kehrt er mit einigen langjährigen Musikerfreunden hernach zurück. Was dann kommt, das hätte der Experimentator Vivaldi gewiss interessant gefunden: Schmid und Freunde werden mit den Möglichkeiten hoch entwickelter Jazzkunst über Le quattro Stationi improvisieren. Was Sie und mich da erwartet, darüber lässt sich vorweg nichts sagen. Außer: Es wird ein Abenteuer. Dazu sei uns allen nun viel Freude gewünscht.

Sollte Ihnen meine kleine Einführung gefallen haben, sagen Sie´s weiter. Das nächste Orchesterkonzert im Görreshaus ist auf den 13. Januar festgesetzt, dann spricht ab 15.15 Uhr wieder meine Wenigkeit und ab 16 Uhr die Musik. Danke.    

Andreas Pecht

Infos: www.rheinische-philharmonie.de 
 
Diesen Artikel weiterempfehlen was ist Ihnen dieser Artikel
und www.pecht.info wert?
 
eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor
eMail an webmaster • eMail to webmaster • contact webmastereMail an webmaster Seitenanfang • go top • aller en-hautan den Anfang Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken