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2007-12-17 Analyse:
Trotz Aufschwungs keine Feierlaune

Rückblick 2007: Starke Wirtschaft und rückläufige Arbeitslosigkeit, doch die Bevölkerung bleibt skeptisch
 
ape. 2007. Die deutsche Wirtschaft brummt. Sie steckt selbst steigende Energiepreise sowie Euro-Höchststände weg. Und sie schafft neue Jobs wie lange nicht. Die Regierung jubelt: Der Aufschwung ist da. Aber sie hat ein Problem: Die Stimmung in der Bevölkerung mag nicht mitziehen. Die Menschen misstrauen dem Aufschwung, an den meisten geht er auch spurlos vorbei.

Stell dir vor, es herrscht Aufschwung – und kaum einer spürt ihn. Seit 1993 zeigte die Statistik für Deutschland  jährliche Arbeitslosenquoten von mehr als zehn Prozent an, sorgte damit für jahrelang gedrückte Stimmung. Bis Anfang 2007. Da schien das Tal der Tränen endlich durchschritten und der junge Wirtschaftboom auf den Arbeitsmarkt durchzuschlagen: Die Arbeitslosenquote sank bis zum Spätherbst auf 8,2 Prozent. „Nur noch“ 3,4 Millionen Bundesbürger arbeitslos, gegenüber 4,25 im Januar 2007 oder fünf Millionen im Schreckensjahres 2005.

Nun hätte die Statistik also guten Grund für einen Stimmungswandel abgeben können. Nur leider - die Laune blieb beim Gros der Bevölkerung wie sie war: schlecht. Zwischendurch mal ein Aufflackern von Konsumfreude, dann rasch wieder Rückzug ins Gemäuer der Vorsicht. „Spare in der Zeit, so hast du in der Not“, denken sich die kleinen Leute auch 2007. Mögen die Volkswirtschaftler gegen solch konjunkturschädlichen Zug wettern wie sie wollten: Das allgemeine Misstrauen gegenüber dem Aufschwung überwiegt.

Bloß ein undankbares, ein depressives Jammer-Volk, diese Deutschen? Schließlich ist der Aufschwung, dessentwegen es so viele Reform-Opfer bringt, Wirklichkeit geworden. Schließlich haben 2007 mehrere hunderttausend Arbeitslose wieder Arbeit gefunden, und beklagte die deutsche Wirtschaft eben erst das Fehlen einer halben Million Fachkräfte. All dem steht allerdings das ewige Elend der Statistik gegenüber: Lebenspraktische Erfahrungen von Individuen wiegen stärker.

Auch 3,4 Millionen Arbeitslose sind 3,4 Millionen arbeitslose Individuen.  Familienangehörigen, Freunde und Bekannte hinzugerechnet, macht das schnell 15 Millionen einzelne Menschen, die Arbeitslosigkeit nicht als statistische Größe, sondern als Schicksal und Bedrohung sehr konkreter Natur (mit)erleben. Die eigenen oder erzählten, oft mehr leidigen als leidlichen Erfahrungen mit dem „Fordern und Fördern“ durch die Agentur für Arbeit inklusive.

Obwohl die Statistik im Grundsatz wahr ist, lügt sie im Einzelfall doch. Max Müller hatte, wie Gertrud Schmitt auch, mal einen richtigen Vollarbeitsplatz. Dann wurden beide plötzlich und ohne eigenes Verschulden  „freigesetzt“. Jetzt holt sie der Aufschwung aus der Arbeitslosigkeit, verschafft ihnen Jobs: Sie hat eine befristete Halbtagsstelle ergattert, er ist volltags bei einer Zeitarbeitsfirma angestellt, beide für kleinen Lohn. Der ist so klein, dass er mit Hartz IV aufgestockt werden muss. Rund eineinhalb Millionen Arbeitnehmer stecken mittlerweile in diesem Modell,  700 000 „Aufstocker“ mehr als  vor zwei Jahren.

Für Max, Gertrud und Kollegen brachte der Aufschwung zwar das Ende der Arbeitslosigkeit,  zugleich aber den Einstieg in prekäre Arbeitsverhältnisse. Aufschwung mit Beigeschmack. Bitterem Beigeschmack, denn die „Aufstocker“ sind Teil eines auch 2007 eher größer als kleiner gewordenen Heeres von rund sieben Millionen Hartz-IV-Empfängern. 345 Euro Regelsatz pro Monat; und zum Schmalhans noch gratis die Mühlen der Hartz-IV-Bürokratie: Wer das erlebt hat oder von Verwandten und Bekannten kennt, dem können ein paar Monate Aufschwung die Angst vor solchem Sozialeinbruch nicht aus den Knochen treiben. Die betroffenen sieben Millionen selbst erleben die Aufschwung-Euphorie sowieso als Zynismus.

Aufschwung. Die Älteren wissen noch, dass es sich dabei um eine launige Diva handelt, die  stets nach kurzem Auftritt für lange Zeit wieder von der Bühne verschwindet. Die obendrein  jedesmal eine schlimmere Leere hinterlässt. Die Älteren würde es kaum wundern, wenn 2007 schon der Höhepunkt gewesen wäre, wenn es von nun an wieder bergab ginge. Anzeichen dafür gibt es: Seit Oktober raunen Experten von nachlassendem Wachstum und  signalisiert der Ifo-Geschäftsklimaindex Wankelmut in der Wirtschaft.

Aufschwung. Für die Jüngeren ist das ein mit Versprechen und Erwartungen reich beladener Hoffnungsträger. Völlig überladen, stellt sich nun heraus. Die Behebung der Ausbildungsmisere kommt so zäh voran, dass die früheren Versäumnisse bis zum nächsten Abschwung wohl kaum abgearbeitet sind. Zerstoben auch die Hoffnungen der Arbeiter und Angestellte, nach Jahren stagnierender oder sinkender Reallöhne im Aufschwung ordentliche Gehaltzuwächse einfahren zu können. Die Lohnerhöhungen blieben mickrig: 2,6 Prozent im 2007er Durchschnitt – an denen die Preise bis Jahresende locker vorbei galoppierten.

Aufschwung. Ja, es gab ihn 2007 tatsächlich. Aber erstens hatten viele Millionen Bürger herzlich wenig davon. Zweitens bewerten Wirtschaft und Politik Aufschwung offenbar nach anderen Maßstäben als große Teile der Bevölkerung. Für Letztere verbindet sich mit dem Wort vor allem die Hoffnung auf  nachhaltige Sicherung und/oder Verbesserung der individuellen Lebensqualität. Eine Hoffnung, die sich auch 2007 für die Allermeisten nicht erfüllt hat. Eine enttäuschte Hoffnung also – weshalb es niemanden wundern muss, dass trotz Aufschwungs keine rechte Feierlaune aufkommen wollte.              Andreas Pecht        

(Erstabdruck am 24. Dezember 2007)   

 
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