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2007-12-21 Porträt:
Ein Leben für das Ballett

Anthony Taylor - seit 25 Jahren Chef der Tanzsparte
am Stadttheater Koblenz

 
ape. Koblenz. Er ist der dienstälteste Ballettmeister der rheinland-pfälzischen Theaterwelt: Anthony Taylor. Seit 25 Jahren steht der Brite als Leiter der Tanzsparte und Chefchoreograph in Diensten des Stadttheaters Koblenz. Geplant war das so nicht.

Dass Anthony Taylors Beziehung zu Koblenz Liebe auf den ersten Blick gewesen wäre, davon kann keine Rede sein. Als Jugendlicher hatte der 1944 im englischen Wokingham geborene „Tony“ erstmals einen Fuß in die Rhein-Mosel-Stadt gesetzt: Touristische Stippvisite am Rande eines Tanzabstechers nach Heidelberg, dokumentiert durch eine Postkarte an die Mama daheim in England. Darauf steht, sinngemäß ins Deutsche übertragen: „Ich bin in Koblenz. Ein ziemlich langweiliges Nest.“ Daran muss sich der gereifte Tänzer und Choreograph erinnert haben, als ihn Anfang der 80er die telefonische Anfrage erreichte: „Hätten sie Lust, am Koblenzer Stadttheater Ballettmeister zu werden?“ Die bedenkzeitlose Spontanantwort war damals ein kategorisches „Nein“.

Wie konnte daraus nachher dennoch ein 25-jähriges Engagement mit mehr als 50 eigenen Ballettproduktionen in eben jenem Koblenz werden? Beim Gespräch am Küchentisch seiner Wohnung in der südlichen Vorstadt, fünf Gehminuten vom Stadttheater entfernt, macht diese Frage im Rückblick auch den Befragten selbst etwas ratlos. Die Wohnung ist noch seine erste am Ort. Wenig hat sich verändert; allein die alle Zimmer durchwuchernde Büchersammlung zeugt von langem Hiersein. Der Ballettmeister ist ein Büchernarr, und ein Musikliebhaber, und ein großer Freund der Bildenden Kunst. Unruhig, quirlig, etwas nervös wirkt er stets, dabei meist humorvoll, gutmütig. Vielleicht hat sich Taylor deshalb 1982 vom damaligen Koblenzer Intendanten Hannes Houska dann doch zu einem unverbindlichen Gespräch überreden lassen. Vielleicht konnte er am Ende dessen österreichischem Charme nicht widerstehen. „Erst wollte ich gar nicht. Nachher wollte ich nur zwei Jahre bleiben. Daraus wurden 25. Das geht einfach so; man arbeitet, baut was auf, mag mittendrin nicht alles liegen lassen, arbeitet weiter. Das Leben, unfassbar!“

Beim Wechsel an den Rhein ist Taylor fast 37 Jahre alt, hat also eigentlich den Zenit seiner von der Natur begrenzten Tänzerzeit schon überschritten. Aber er soll noch lange immer wieder in die Tanzschuhe schlüpfen, mit denen er sich zuvor in London, Bremen, Kiel seinen Kindheitstraum erfüllt hatte: tanzen. In Koblenz übernimmt er 1982 eine seltsame Truppe aus zwölf Damen und drei Herrn. Die hatte bis dahin bloß einen halben Ballettabend je Saison zu bestreiten, tut ansonsten in Oper und Operette als bewegte Staffage Dienst. Taylors erste Spielzeit am Mittelrhein fällt provisorisch aus: Der Neue muss für den traditionellen Halbabend im Großen Haus Hals über Kopf einen lange vor seiner Ankunft disponierten „Sommernachtstraum“ choreographieren und obendrein selbst den Oberon tanzen. Für eine erste kleine Produktion auf der Kammerspielbühne verbindet er Musik von Strawinski mit Pop.

Daraufhin bekommt der Koblenz-Neuling kräftigen Zuspruch von unerwarteter Seite: Der damalige Generalmusikdirektor James Lockhart ist überaus angetan und verzichtet zugunsten eines abendfüllenden Taylor-Balletts auf eine ganze Opernproduktion. Zwar würde der Ballettchef das in der ihm eigenen Bescheidenheit so nie formulieren, aber de facto beginnt mit diesem Vorstoß von Lockhart am Koblenzer Theater die neuzeitliche Epoche des Balletts als eigener, dritter Sparte. Im Zentrum des ersten Vollabends steht 1983 Taylors Choreographie über Bela Bartoks „Divertimento“. Wunderliche Zufälligkeit der Theatergeschichte: Zur selben Musik gestaltet Jahre später auf der gleichen Bühne der nachher mit dem ballettmainz berühmt gewordene Martin Schläpfer als Gast seinen allerersten Tanzabend in Rheinland-Pfalz.

Aufbau einer richtigen Kompagnie, zwei eigene Produktionen je Saison, darin selbst Hauptrollen tanzend: Taylor hat reichlich zu tun in jenen Jahren. Was bis heute nicht viel anders ist, außer dass der jetzt 63-Jähriger nur noch selten auftritt. Zur Ballettarbeit kommen opulente Pflichten für die übrigen Sparten des Hauses. „Houska war sehr ballettfreundlich“, erinnert sich der inzwischen zum Wahl-Koblenzer avancierte Brite, „aber nur, wenn das Ballett auch in der Operette gut funktionierte“. Und zu modern darf es nicht sein. Nach Henzes „Undine“ 1990 zeigt der Intendant seinem Ballettchef warnend den Zeigefinger: Nicht übertreiben! Ansonsten, so Taylor, ließ Houska ihm freie Hand, wie es jetzt Annegret Ritzel ebenfalls tut. Eine Freiheit, die er im Sinne programmatischer Vielfalt und künstlerischer Vielseitigkeit nutzt.

Dieser Ballettmeister ist auf keine Stilschule festgelegt. Er trainiert bereits als Bub das Tanzen – ohne Begeisterung der Eltern, aber mit enthusiastischem Sponsoring durch die musikbegeisterte Großmutter. Schon mit 17 bezieht er in London eine eigene Bude, steht als hinreichend mit Stipendien ausgestatteter Tanzeleve auf eigenen Beinen. Er lernt an der Rambert School klassisches Ballett und neuere Ausdrucksformen, studiert Kunstgeschichte, tanzt in britischen Theatern Repertoire, im britischen Fernsehen Show und auf den ersten britischen Off-Bühnen Experimentelles. Den 19-jährigen holt das Theater Dortmund nach Deutschland, was bei der Mutter die klamme Frage auslöst: „Dortmund, liegt das diesseits oder jenseits des Eisernen Vorhangs?“

Im Ruhrpott bleibt Taylor nur kurz, wechselt 1964 ans Theater Bremen und reüssiert dort als Solotänzer. 1967 wird bekannt, dass ein Johann Kresnik Ballettchef in der Hansestadt werden soll. Tony und Kollegen fahren nach Köln, um zu sehen, was für eine Art Ballett dieser Herr macht. Wenige Tage später unterschreibt Taylor einen Vertrag beim Theater in Kiel – und entfleucht so dem bald als „Regieberserker“ bekannten Kresnik. Zwölf Jahre bleibt er in Kiel, tanzt sämtliche Hauptrollen, choreographiert dem Theater das Reperetoire rauf und runter, setzt manches Volksstück tänzerisch in Szene, liefert aber auch mit einer „Faust“-Revue und einem Rock-Ballett frisch-frech-moderne Publikumsrenner ab.  Und: „Tony, mach du“ heißt es in Kiel stets, wenn die dort um den legendären Musikdirektor Hans Zender versammelte Avantgarde der Neuen Musik nach choreographischen Umsetzungen verlangt. 

Sein Werdegang  macht, dass Taylor sich in allen Ballettschubladen auskennt. Er hat Koblenz viele der großen klassischen Repertoire-Stoffe auf die Bühne gestellt: Schwanensee, Giselle, Feuervogel, zuletzt wieder den Nussknacker. Ihn aber als puren Traditionalisten zu sehen, wäre ein Missverständnis. Strawinski, Grieg, Bartok, Orff, Britten, Henze – die musikalische Linie von der klassischen Moderne zur Gegenwart kann als Synonym für Taylors Ballettschaffen gelten:  ureigentlich mehr im 20. denn im 19. Jahrhundert verwurzelt. Und immer, wenn man meint, er habe sich stilistisch irgendwo eingerichtet, überrascht er mit Aufbrüchen zu Neuem. Nur ums zeitgenössische Tanztheater macht er einen Bogen. Während der Kresnik-Stil ihn befremdet, reagiert er auf die Arbeit von Pina Bausch mit allergrößter Bewunderung: „Das ist so genial, das kann man nicht nachmachen und soll es auch gar nicht  versuchen.“

Neugier und Experimentierlust machen den Choreographen Anfang der 90er auch zum künstlerischen Dauerpartner der Schauspielregisseurin Thirza Bruncken. Die realisiert ihre ersten, am Ort oft heiß umstrittenen Gegenwartsinszenierungen auf der kleinen Probebühne II unterm Dach des Koblenzer Theaters. Und Taylor liefert ihr dazu die Bewegungschoreographien. Er ist auch an Brunckens überregionalem Durchbruch 1996 in Hamburg mit der Uraufführung von Elfriede Jelineks Stück „Stecken, Stab und Stangl“ beteiligt. Köln, Bonn, Frankfurt, Wien, München – wo Thirza Bruncken seither auf den Bühnen der großen Häuser etwas bewegt, hat nicht selten der Koblenzer Ballettmeister die Finger mit im Spiel.

Neugier und Experimentierlust führen ihn in den 90ern obendrein zum Koblenzer Jugendtheater. Mit Jugendlichen zu arbeiten, die aus eigenem Antrieb erstmals Schauspielerei und Tanz für sich entdecken: „Das ist eine Freude ganz eigener Art“. Und jedes Mal wundert  er sich, wie gut die jungen Leute mit ihm, „dem alten Kerl“ klar kommen. Anthony Taylor hat ein Händchen für Jugend. Mehr noch: Er hat ein großes Herz – für die Menschen und für die Kunst. Weshalb er die Frage, wie er seine Zukunft am Stadttheater und beim Jugendtheater sieht, auch abwinkt: „Man wird sehen. Hauptsache ist, dass niemand auf die Idee kommt die Ballettsparte wegzusparen, und dass es mit dem Jugendtheater weitergeht.“ 
                                                                     Andreas Pecht


(Erstabdruck am  22. Dezember 2007)
 
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