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2008-01-25 Schauspielkritik:  
Auf der Nachtseite des Ehe-Glücks

„Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ wird in Bonn zum drastisch-lauten Psychomassaker
 
ape. Bonn. Sonette von Shakespeare füllen das Programmheft, darin der Schmerz besungen wird, den Liebende einander antun können. Der Dichter wusste wohl: Wo „Romeo und Julia“ endet, beginnen im wirklichen Leben die wahren Prüfungen der Zweisamkeit. Die nimmt der amerikanische Dramatiker Edward Albee Anfang der 1960er mit seinem Dreiakter „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ derart unerbittlich ins Visier, dass es einem den Hals zuschnürt, wann immer man das oft gespielte Vier-Personen-Stück zu sehen bekommt. So auch jetzt bei Christoph Roos’ Inszenierung für die Kammerspiele Godesberg der Bühnen Bonn.

Pardon wird nicht gegeben bei den Gesellschaftsspielen unter zwei Paaren auf der großen, tristen Terrasse vor dem Bungalow-Wohnzimmer von Martha und George (Bühne: Peter Scior). Cognac, Whiskey und Gin strömen zwischen zwei Uhr nachts und sechs Uhr früh durch die Kehlen der Gastgeber wie ihrer jungen und jung verheirateten Gäste Nick und Putzi. Alkohol ist hier der Treibstoff, der die Maschinerie innerehelichen Krieges und zwischenehelicher Ausfälle bis zur Weißglut befeuert.

Vier Nachtstunden, während denen individuelle Contenance und gesellschaftliche Konvention sich verflüssigen. Trunk und perfides Wortspiel legen Abgründe aus Geringschätzung, Verachtung, blankem Hass frei. Auf der Schattenseite der Ehe-Idylle tobt die Lust an wechselseitiger Erniedrigung: Das ältliche Professoren-Paar treibt dies Spiel schon lange, das junge Professoren-Paar wird erbarmungslos hineingezogen – bis auch dessen Glück entkleidet und gehäutet sein Wesen als Lügenkonstrukt vollends offenbart hat.

So weit ist das Albee – drei Akte, die den schönen Schein der Bürgerlichkeit zertrümmern, indem sie zugespitzt vorführen, welches Gift dahinter wirkt und jede Ehe bedrohen kann: Besserwisserei, Herrschsucht, Karrieregeilheit, Dünkel . . .
„Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“  ist per se ein starkes, ein heftiges, ein im Wortsinn betroffen machendes Stück. Doch Regisseur Roos reicht das nicht. Er will den Zuschauerraum im Würgegriff der Beklemmung, will die ultimative Publikums-Erschütterung und stellt deshalb ein regelrechtes Psychomassaker auf die Bühne. Das dauert mit dreieinhalb Stunden beinahe ebenso lang wie die im Stück zur Rede stehende Nacht. Doch bereits nach fünf Minuten hat die Inszenierung den Furor offenen Hasses erreicht, und spielt dann fast durchweg Wüten im Fortissimo.

Anke Zillich schreit sich als Martha in vulgärem Stentor die Seele aus dem Leib. Wie überhaupt an diesem Theaterabend allfälliges Geschrei und entsprechend expressiver Körpereinsatz als omnipotentes Ausdrucksmittel seelischer Erregungszustände verstanden werden. Helge Tramsen (Nick) neigt ebenfalls dahin. Und bei Xenia Snagowski (Putzi), mehr noch bei Bernd Braun (George) verschwinden einige bemerkenswerte Ansätze zu differenzierterem Ausdruck leider im tobsüchtigen Gewitter manierierter Drastik.

Solche künstlich auf den Beklemmungseffekt zielende Überdramatisierung hat eine seltsame, aber auch fatale Wirkung: Die Gestalten auf der Godesberger Bühne wecken einerseits unser Mitleid und Mitleiden. Deshalb wohl auch gab es bei der Premiere für die Darsteller ordentlich Beifall. Zugleich jedoch sind diese Leute derart durchgeknallt und aus der Welt, dass wir in ihnen von uns selbst nichts mehr erkennen können. Und so kommt dem Stück ein Gutteil seiner zeitgenössischen Bedeutung abhanden.
                                                                                        Andreas Pecht

(Erstabdruck am 26. Januar 2008)  

Bühnen Bonn, Kritik, Wer hat Angst vor Virginia Woolf, Regie Christoph Roos
 
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