Kritiken Theater
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2008-02-07 Schauspielkritik:  
Aussprache wird zur Zimmerschlacht

Yasmina Rezas neues Stück "Der Gott des Gemetzels"
lässt in Wiesbaden Wände einbrechen


 
ape. Wiesbaden. Der Albtraum aller Theater: Stunden vor der Vorstellung fällt ein Hauptdarsteller aus. So jetzt am Staatstheater Wiesbaden, wo zur zweiten Aufführung von Yasmina Rezas „Der Gott des Gemetzels“ die erkrankte Monika Kroll ersetzt werden musste. Am Spätnachmittag eilte aus Stuttgart Barbara von Münchhausen herbei, um am gleichen Abend die Rolle der Véronique zu übernehmen, die sie zuvor schon in Heidelberg gespielt hatte.

Wunderwelt des Theaters: Auch ohne Probe finden die vier Akteure rasch zueinandner. Die Zimmerschlacht zweier Ehepaare, von der das jüngste Stück der ungarisch-iranischen Französin  Yasmina Reza handelt, kann seine ganze gallig-lachhafte Pracht entfalten. Zu sehen sind vier Leute von heute, obere Mittelklasse, ebenso weltläufig wie auf zeitgenössische Art spießig.

Damit bleibt „Gott des Gemetzels“ dem sozialen Feld  der vorherigen Stücke treu. Wie ehedem „Kunst“ oder „Drei Mal Leben“ wird jetzt auch dieses Werk der Autorin seit seiner Uraufführung 2006 in Zürich landauf, landab mit Erfolg gespielt.  Phänomen dabei:  Rezas Arbeiten reizen ernste Theatermacher ebenso  wie dem Boulevard verschriebene. Entsprechend mischt sich das Publikum. Das kommt von der Anlage der Stücke: ihrem raffinierten Bau, ihrem intelligent-hintergründigen Wortwitz, ihrem bitterbös entlarvenden  und zugleich liebevoll humorigen Blick auf private Lebensart von – unsereinem.

Von der unausgesprochenen Aufforderung „es darf gelacht werden“, machen auch Ricarda Beilharz' Wiesbadener Inszenierung und das dortige Publikum reichlich Gebrauch. Mit stockend-steifen Konversationsversuchen beginnt der nur 90-minütige Abend. Es stehen sich auf klinisch weißer, fast leerer, nach hinten ansteigender Einheitsbühne (Ausstattung ebenfalls  Ricarda Beilharz) die Ehepaare Véronique und Michel Houillé sowie Annette und Alain Reille gegenüber.

Grund der Zusammenkunft: Der Sohn der Reilles hat dem Sprössling der Houillés mit einem Stock zwei Zähne ausgeschlagen; die Eltern wollen sich auf Véroniques Anregung „wie zivilisierte Menschen“ über den Vorfall aussprechen. Die Aussprache läuft indes völlig aus dem Ruder, weil Zug um Zug wild ins Tanzen geratende Widersprüche bald jeden mit jedem fraternisieren lasssen und jeden gegen jeden aufbringen.

Mütter verteidigen gegeneinander ihre Söhne, Väter  auch – sofern sie nicht gerade gegen ihre Gattinnen das Recht von Jungs auf eine ordentliche Rauferei behaupten. Die Frauen schwärmen von Elternglück, die Männer auch – bis sie, alkoholisiert, ihre Unlust auf Beschäftigung mit den „Bälgern“ herauslassen. Der bodenständige Michel (Michael Günther) trumpft mit seinem Eisenwarenhandel auf. Anwalt Alain (Lars Welling) managt derweil mit hektischen Handy-Betrieb einen Pharmaskandal. Darüber kriegt Annette (Doreen Nixdorf), im Wortsinn, das Kotzen und versaut der kulturbeflissenen Händlersgattin Véronique einen wertvollen Kunst-Katalog.

Ein Fiasko, mit reichlich Schnaps, inszenatorischem Mutwillen und komödiantischem Eifer so arg angeheizt, dass am Ende die Bühnenrückwand umfällt. Zivilisierte Aussprache, vernünftige Verständigung? I wo, es herrscht weiter „der Gott des Gemetzels“.                                                                                            Andreas Pecht

(Erstabdruck am 8. Februar 2008)  

Staatstheater Wiesbaden, Kritik, Gott des Gemetzels, Regie Ricarda Beilharz
 
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