Kritiken Theater | |||
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2008-02-20 Schauspielkritik: | |
Schwatzen, kopulieren, auf der Stelle treten Gorkis "Sommergäste" am Schauspiel Frankfurt: Martin Nimz inszenierte ein gar nicht mal dummes Skandalon |
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ape. Frankfurt. Zwei
Stunden und 40 Minuten Theater ganz ohne Pause mutet das Schauspiel
Frankfurt dem Publikum bei Maxim Gorkis „Sommergästen“ zu. Das ist arg.
Und man weiß kaum, gehen etliche Zuschauer während der Vorstellung
raus, weil sie müssen, oder weil sie der Inszenierung von Martin Nimz
nicht länger zusehen wollen. Denn vom gesittet schwatzhaften bis
geistreichen Sommerfrische-Disput einer Gesellschaft wohlsituierter
Intellektueller am Vorabend der russischen 1905er-Revolution ist auf
den ersten Blick wenig geblieben. |
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Olaf
Altmanns Kulisse verweigert Waldesgrün und Parkidylle, sperrt das
13-köpfige Ensemble stattdessen in einen bühnengroßen Holzkasten.
Keiner kann weg. Wer nicht dran ist, lungert herum, spielt mit einer
der vom Schnürboden herabhängenden Schaukeln oder erstarrt in seiner
vorherigen Aktion. So wird das Geschehen atmosphärisch zähflüssig
gemacht und bald dadurch in schieren Stillstand getrieben, dass Nimz
eine das Stück erzählende Haltung rundweg ablehnt. Denken und Reden dieser Leute dreht sich end- und perspektivlos im Kreise um sich selbst. Dabei bisweilen ausbrechende Heftigkeit von Lebens- und Liebessehnsucht, Fleischeslust, Ehe-Hass entspringt Langeweile und Unerfülltheit, führt aber zu gar nichts. Die Gier nach Freude und Sinn ist groß, endet in Frankfurt jedoch bei gewollt tristem Ringelpietz unter Papptüten-Masken, bei allweil herunter gelassenen Hosen und verzweifelten (angedeuteten) Kopulationsversuchen. Ein Skandal? Wer am Äußeren Anstoß nimmt, wird das so sehen. Allerdings hat die von Zynismus durchdrungene Spielweise in der Stück-Interpretation von Nimz Logik und Konsequenz: Schichten, die Gorki hinter die Dialoge legte, werden in Frankfurt vorgeführt. Wenn Aljoscha Stadelmann den Gastgeber Bassow scheinbar schludrig zwischen Rollen- und Alltagssprech springen lässt, macht das die aus Pathos und Profanität erwachsende Janusköpfigkeit des Typus sinnfällig. Wenn Schalimow (Matthias Redlhammer) vor der dann angeekelten Warwara (Julia Penner) die Hose aufmacht, ist der Verfall der Befreiungshoffnung, die die Frau ursprünglich auf den Schriftsteller setzte, signifikant vollendet. Die Inszenierung hat Gorkis Teilung des Personals in Dekadenzlinge und Sympathisanten des nahenden Umbruchs aufgegeben. Im Schlussakt wird allen buchstäblich der Boden weggezogen. Auf Schaukeln hockend, schweben sie dann in den lichten Höhen des Nirwana. Dort beschreien sie ihr Schicksal und erschöpft sich Aufbegehren in heutzutage unbotmäßiger Raucherei. Kein Hoffnungsschimmer, nirgends – denn seit der Uraufführung der „Sommergäste“ 1904 haben die Revolutionen ihre Kinder restlos aufgefressen. Es bleibt der Moderne bloß: Der Zynismus der Ratlosigkeit, auf den Oberzyniker Wlas (Oliver Kraushaar) seinen nackten Hintern als i-Tüpfelchen setzt. Andreas Pecht (Erstabdruck am 21. Februar 2008) Schauspiel Frankfurt, Kritik, "Sommergäste", Regie: Martin Nimz |
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