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2008-02-24 Ballettkritik:  
Faszinierende Reise durch
drei Tanz-Welten

Programm XXVI beim ballettmainz: Klassiker von Tudor, neue Choreografien von Philipp Egli und Martin Schläpfer
 
ape. Mainz. Martin Schläpfer hatte eine Premiere angekündigt, bei deren drei Teilen die „Schere unglaublich weit“ auseinander gehe. Der Chef des ballettmainz hat nicht zuviel versprochen: Programm XXVI umfasst drei Ballettstile, wie sie unterschiedlicher kaum sein können. 20 Tänzer der Compagnie durften, mussten im Großen Haus des Mainzer Staatsttheaters ihre technische Vielseitigkeit unter Beweis stellen – und ernteten dafür Ovationen.
 
Der Abend beginnt mit der Choreografie „Contredanse“ des Schweizers Philipp Egli.  Darin stehen Anfangs heutige Stadtmenschen zum Ausgehen schick gemacht stille vor einem bühnenhohen Mond; die Herren im Sakko, die Damen auf Stöckelschuhen. Einer versucht etwas Breakdance. Plötzlich Paukenschläge, und das Philharmonische Staatsorchester unter Catherine Rückwardt spielt auf mit bald 300 Jahren alten höfischen Tänzen von Jean-Philippe Rameau.

Das historische Reglement kennt zwar keiner, aber die treibende Rhythmik der  Stückchen fährt in die Beine. „Contredanse“ – der Musik von einst werden Tanzformen des 20. Jahrhunderts entgegengestellt. Und siehe: Broadway-Showstile, Jazz- und Modern Dance passen in hier kunstvoll cool, lässig, luftig entfaltetem  Wiegen, Schwingen, Springen, Laufen und sinnlichem Schwofen wunderbar zu Rameau.
 
Die Großstadtmenschen fallen zwischendurch in ziellose Hektik, drängen sich in Glaskästen, mühen sich darin in eitlen Posen oder vereinsamen. Tanzfete versus Verblendung und Tristesse des Lebens: „Contredanse“ mutet uns Wechselbäder der Uneindeutigkeit zu.

Davon in „Jardin aux Lilas“ keine Spur. Der als Hommage zum 100. Geburtstag seines Schöpfers Antony Tudor in Mainz von Donald Mahler einstudierte Klassiker von 1936 zeigt als traditionelles Handlungsballett eindeutig, was er sagen will. Es geht um  eine Frau, die einen Mann heiraten muss, obwohl sie einen anderen liebt. Spitzentanz, Pantomime, jede pathetische Lehrbuch-Geste mit vordefiniertem Inhalt besetzt: Kirsty Ross, Callum Hastie, Igor Mamonov und Julie Thirault beherrschen die Technik der manierierte Kunst noch meisterlich. Doch wird sehr deutlich, wovon sich das Ballett seither befreit hat.

Ein Kunstwerk wie Martin Schläpfers Choreografie der Reformationssymphonie, wäre mit jenen Ballettwerkzeugen gar nicht denkbar. Obwohl auch hier teils auf Spitze getanzt wird, die Anforderungen an Können, Genauigkeit und Grazie einem „Schwanensee“ gewiss nicht nachstehen. Arme und Beine nackt, den Leib in geschlechlechtsneutralen schwarzen Dresses von Marie-Thérèse Jossen, spürt die Compagnie auf leerer Bühne musikalischen Strukturen und außermusikalischen Gedanken des Werks von Felix Mendelssohn Bartholdy nach.

Strenge und Kraft sind prägenden Elemente dieser Arbeit, die im ersten Satz aus einem Pas de deux zweier Männer Zug um Zug eine an der Rampe bedrohlich fordernde Front aller Tänzer aufbaut. Die löst sich im Dunkel auf, zurück bleibt Celine Prevost mit einem Solo, das gerade noch in Zaum gehaltenen Zorn nicht verbergen kann. Ein Zorn, der nachher zum Choral „Ein feste Burg“ etwa Marlúcia do Amaral und Camille Andriot stampfend, tobend freien Lauf lassen, während Jörg Weinöhl im Spotlight als Luther mit sich und Gott hadert.

Schläpfer lässt große Interpretationspielräume. Atmosphärisch macht er neuerlich einen weiten Schritt in Sachen „mit dem Körper musizieren“. Acht Frauen tanzen eine Fuge, sechs Männer setzen Akkordstrukturen in fulminant akkuraten Wechselformation sinnfällig um. Und eine Reihe großer Soli offenbart im muskulären Tanzspiel die verbindende Anmutung zwischen Musik und Mensch. Beispiele aus einem atemberaubenden Ballettwerk.                                                                                                     Andreas Pecht

(Erstabdruck  25. Februar 2008)

Staatstheater Mainz, Kritik, Ballettprogramm XXVI, Schläpfer/Egli
 
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