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2008-03-06 Romankritik:
Der alte Goethe jung verliebt

Martin Walsers neuer Roman "Ein liebender Mann":
Ergreifend-großartige Tragödie

 

ape.
Wie Günter Grass, so ist auch dessen Jahrgangsgenosse (1927)  Martin Walser dem Kulturbetrieb stets erhöhte Aufmerksamkeit wert. Nicht immer gilt diese dem literarischen Werk der Altmeister; die Wellen gehen umso höher, je mehr sich politischer Funke aus den beiden schlagen lässt. So zuletzt bei Grass' Enthüllung seiner SS-Mitgliedschaft, so zuvor beim Walser-Bubis-Streit.

Diesmal richtet sich das allgemeine Augenmerk auf kein Politikum, sondern auf etwas derart Altmodisches wie einen Liebesroman. Doch motiviert nicht irgendeine Romanze das enorme Interesse an  dem Anfang dieser Woche erschienen Roman „Ein liebender Mann“ von Martin Walser.  Vielmehr sorgt ein vom  80-jährigen Autor erzähltes Händchenhalten zwischen dem 73-jährigen Goethe und der 19-jährigen Ulrike von Levetzow für  medialen Furor.

Alter Mann und junge Frau – ein Politikum ist das nicht, ein Skandalon verspricht es allemal. Walser weiß das recht gut: Die seinen Romanen „Der Augenblick der Liebe“ (2004) und „Angstblüte“ (2006) hämisch vorgeworfene Altersgeilheit dürfte ihm noch in den Ohren klingen. Das jetzige Buch kann als Reaktion darauf gelesen werden, als neuerlich trotziges Plädoyer für das Recht auch der Betagten auf „echte“ Liebe über die Generationsgrenzen hinweg. „Verflucht sei diese Sittensklaverei“ lässt der Autor den großen Goethe wettern gegen das Naserümpfen der Gesellschaft über die Vernarrtheit in jene Ulrike, die dem Alter nach seine Enkelin sein könnte.

 Die Begegnung der beiden ist historisch verbürgt, die Liebe des Geheimrats zur jungen von Levetzow ebenfalls. Goethes „Marienbader Elegie“ (im Roman vollständig abgedruckt) gilt als deren dichterischer Ausfluss. Walser führt die Seelentiefe dieser Verse zusammen mit der Geistesgröße ihres Verfassers als Zeugen auf für die Möglichkeit einer markerschütternden Altersliebe jenseits profanen Lustgreisentums.

Oh ja, Goethe ist sich der konventionellen Peinlichkeit seiner, unschuldigen, Zweisamkeit mit Ulrike im Getriebe der Marienbader Kur-Gesellschaft bewusst. Seine Gedanken und damit der Roman kreisen fortwährend um dieses Nicht-Sollen, zugleich um die Zweifel, ob Ulrike einen solch alten Mann überhaupt lieben könne. Geistreich, herzerfrischend, von zart angedeuteter Sinnlichkeit und ihm viel versprechend sind die Begegnungen. Walser skizziert da wunderbare Momente, lässt Goethe liebend   schwärmen – und nachher ebenso liebend leiden.

Werther und Lotte. Das Unglück des Glückes aus jenem Goethe-Roman schwingt als  Subtext im Walser-Roman  mit. Liebes-Scheitern ist  vorprogrammiert, doch wahre Liebe kümmert das nicht. Goethe, will Walser sagen, liebt wahrhaftig; Altersunterschied hin oder her. Wie im „Werther“ schreibt er der Angebeteten Briefe. Der Autor vom Bodensee meidet stilistische Imitation des Weimarer Klassikers. Wir lesen beste Walser-Prosa – und meinen doch, Goethe  nahe zu sein.

Ulrikes Antworten fallen spärlich und knapp aus. Die in der Begegnung gewachsene Vertrautheit verflüchtigt sich über die Entfernung. Oder war der so empfundene Gleichklang ihrer Herzen bloße Einbildung des Alten? Spintisiert aus den momenthaft tatsächlich erlebten Kraftströmen einer vermeintlich „nochmaligen Pubertät“?  Mag es sein, wie es will: „Ich hoffe noch. Aber ich weiß, es ist aussichtslos. Aber ich glaube nicht, das es aussichtslos sei“, derart lässt Walser den Goethe das ganze Dilemma umreißen. Weshalb „Ein liebender Mann“ keine Lachnummer ist, sondern eine große und hier großartige Tragödie.                                                                       Andreas Pecht


Martin Walser: "Ein liebender Mann".
Rowohlt, 288 Seiten, 19,90 Euro.

(Erstabdruck der Rezension am 7. März 2008)
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Frühere Besprechungen von Walser-Romanen:

2006-07-21 Romanrezension:
"Angstblüte", der neue Roman
von Martin Walser


2004-07-22 Romanrezension:
"Der Augenblick der Liebe" von
Martin Walser

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Rezension, Martin Walser "Ein liebender Mann"
 
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