Thema Kultur
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2008-03-27a Vorbericht: 
Arbeits- und Lebenswelten
am Mittelrhein


Kultursommer Rheinland-Pfalz 2008: Fünf Monate
zwischen Nachdenklichkeit und Seligkeit

 
ape. „Musik ist nicht alles, aber ohne Musik ist alles nichts.“ Lässt sich das geflügelte Wort aus dem Reich der klingenden Kunst auf das Leitmotto des diesjährigen rheinland-pfälzischen Kultursommers übertragen? Das lautet „Arbeitswelten – Lebenswelten“,  und der Sinnspruch hieße dann: Arbeit ist nicht alles, aber ohne Arbeit ist alles nichts. Den ersten Teil des Spruches würden Kulturministerin Doris Ahnen als Vorsitzende des Kultursommers und Jürgen Hardeck als dessen künstlerischer Leiter wohl noch unterschreiben, beim zweiten Teil  indes Bedenken anmelden. Denn es gibt in Deutschland mehrere Millionen vorübergehend oder dauerhaft arbeitsloser Menschen. Ein gestern sehr großes, heute großes, morgen wohl wieder noch viel größeres Arbeitslosenheer ist kein Ausnahmezustand, sondern Normalität.

Folglich steckt unsere Arbeitsgesellschaft in einem argen Dilemma: Sie verlangt von jedermann, dass er arbeite, hat aber gar nicht genügend Arbeit für alle. Dem Leben derjenigen, die ohne Arbeit sind, Sinnhaftigkeit abzusprechen, wäre demnach völlig absurd. Und doch empfinden zahllose Arbeitslose oder Jugendliche ohne Arbeitsperspektive ein Leben ohne Erwerbsarbeit als sinnleer, als defizitär, als unerfüllt. Zugleich beklagen viele, die in Arbeit stehen, dass die moderne Arbeitswelt in wachsendem Maße sich des privaten Lebens und der persönlichen Kräfte bemächtigt: per Nacht-, Wochenend- und Feiertagsarbeit, per Überstunden, Arbeitsverdichtung und Multi-Tasking. Die Arbeit wird zur Qual – aber die Angst, sie zu verlieren, quält noch mehr.

Im Spannungsfeld zwischen Arbeitswelten und Lebenswelten bewegt sich der Kultursommer 2008 vom 1. Mai bis zum 3. Oktober. Etwa neun Millionen Euro mobilisiert das ganz Rheinland-Pfalz umfassende Festival mit einem Finanzierungmix aus Stiftungserlösen, Geldern der Öffentlichen Hand, Sponsoring und Kartenverkauf nebst Eigenmitteln der jeweiligen Veranstalter vorort. Neun Millionen sind in der hiesigen Kulturszene kein Pappenstiel, damit werden in diesem Jahr rund 250 Veranstaltungen und Projekte vom hohen Westerwald bis in die äußerste Ecke der Südwestpfalz gefördert.

Das einst von Rose Götte ins Leben gerufene und als „Bürgerbewegung für Kultur“ bezeichnete Landesfestival wurde auch von ihren Nachfolgern im Amt des Landeskulturministers, Jürgen Zöllner und Doris Ahnen, nie in Frage gestellt. Im Gegenteil. So ist der Kultursommer als förderndes, motivierendes, anregendes Netzwerk zwischen Kulturschaffenden, Veranstaltern, Kommunen, Land eine stabile und nicht wegzudenkende Größe in Rheinland-Pfalz geworden und geblieben; heuer geht er in den 17. Jahrgang. Ein jährlich wechselndes Motto gab bisher jeder Saison eine ganz eigene Farbe. Das diesjährige Motto „Arbeitswelten – Lebenswelten“ geht auf eine Anregung des Landesverbandes des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zurück.

Dessen Landesvorsitzender Dietmar Muscheid verspricht sich davon einerseits eine Initialzündung zur Reaktivierung der früher einmal intensiven gewerkschaftlichen Kulturarbeit. Andererseits ist er davon überzeugt, dass der kulturelle und künstlerische Blick auf die gegenwärtig radikal sich verändernden Lebens- und Arbeitsbedingungen hochinteressante Perspektiven eröffnet. Beteiligt ist der DGB an einem der zentralen Motto-bezogenen Projekte des Kultursommers 2008 im nördlichen Rheinland-Pfalz. Das trägt den Titel „Spurwechsel“ und versammelt ein halbes Dutzend Unterprojekte, die von soziokulturellen Initiativen in Altenkirchen, Koblenz, Lahnstein und Bell/Hunsrück durchgeführt werden.

Leben ist mehr als Arbeit, Arbeit kann mehr sein als stupende Erwerbsarbeit, und in jedem Menschen steckt mehr Kreativität, als gemeinhin abgerufen wird. Vor diesem Gedankenhorizont kommen Jugendliche, Arbeitlose, Arbeiter mit Künstlern, Materialien, Schaffensprozessen, Gedanken, Örtlichkeiten in Berührung, die ihnen sonst eher fern oder gar verschlossen sind. Mit kreativen Mitteln wie Film, Fotografie, Theater, Skulpturenkunst im freien Raum oder auch in Betrieben soll unter der Ägide etwa des Hauses Felsenkeller Altenkirchen, der Jugendkunstwerkstatt in Koblenz oder des DGB der Blick geweitet werden. „Spurwechsel“ von der Arbeitswelt zur Lebenswelt – oder auch umgekehrt. Die Ergebnisse aller „Spurwechsel“-Projekte werden am 31. August bei einer gemeinsamen Abschlussveranstaltung in den stillgelegten Werksteilen der CSS Draht Schmidt GmbH in Lahnstein der Öfffentlichkeit präsentiert.

Nicht alle Veranstaltungen, die vom Kultursommer gefördert werden, sind in jedem Jahr gleich Motto-tauglich. Eher der Fall ist das beim Festivalstern Jugendtheater, der zwischen Mai und Oktober zehn internationale Produktionen auf Tournee durchs Land schickt. Oder beim Koblenzer Jugendtheaterfestival „Impulsiv“, das in diesem Jahr einen ausgeprägten Workshop-Charakter hat, bei dem Jugendtheater-Aktive von hier auf erfahrene Kollegen von auswärts stoßen. Für die zahlreichen sommerlichen Musikfestivals den Mittelrhein entlang ist „Arbeitswelten – Lebenswelten“ allerdings weniger zur Orientierung geeignet, als es etwa das Italien-Motto 2004 oder das Romantik-Thema 2002 waren. Gefördert werden sie dennoch, das Motto ist stets nur eine Anregung, kein Muss.

An Musik wird der 2008er Sommer am Mittelrhein keinen Mangel leiden. Den Auftakt machen von 1. bis 5. Mai die traditionsreichen Andernacher Musiktage auf Burg Namedy. Ein Wochenende nach Pfingsten lockt in Lahnstein „Lahneck Live“ – umgezogen vom Rheinufer zur Stadthalle, geht es dort u.a. mit Ezio, Pippo Pollina oder Rocco & Band ziemlich italienisch zu. Am 15.6. starten die Mittelrhein Musik Momente in ihre bis 30.8. dauernden achte Saison, die 27 Veranstaltungen vom großen Sinfoniekonzert über klassische Kammermusik bis zu illuster-humorigen Crossover-Events umfasst. Am 27.6. kommt das Gesangsfestival „RheinVokal“ hinzu, bietet bis Ende Juli 20 Konzerte.

Unter den Traditionsmarken des mittelrheinischen Musiksommers finden sich ferner das Koblenzer Weltkulturfestival „Horizonte“ am ersten August-Wochenende sowie die Open-air-Reihe in Schloss Engers  (31.7. bis 17.8.). Ersteres verspricht auf der Festung Ehrenbreitstein aktuelle interkulturelle Musikbegegnungen über fünf Kontinente, Letzteres im Engerser Schlosshof  Giora Feidmann, die Swinglegenden Greger/Kuhn/Strasser, Roger Cicero, Anette Louisan und den schon lange ausverkauften Chris de Burgh. Den Sommer beschließen werden traditionsgemäß im September das Lahnsteiner Bluesfestival und die in diesem Jahr um das Diskurs-Festival „3klang“ (u.a. mit Eugen Drewermann und Rüdiger Safranski) erweiterten „Sommerclassics“ des MYK-Kreises.

Dies ist ein kleiner Ausschnitt nur aus der Veranstaltungsfülle, die unter der Dachmarke „Kultursommer Rheinland-Pfalz“ fünf Monate lang landesweit aufgeboten wird. Selbst für den Mittelrhein wäre ein Anspruch auf Vollständigkeit vermessen. So ließe sich mit Blick auf die Programmdichte das Motto „Arbeitswelten – Lebenswelten“ auch noch unter einem anderen Aspekt diskutieren: Noch nie stand Kultur als Konsumgut in solcher Menge zur Verfügung wie heute. Kultur ist nicht alles, aber was macht der Mensch mit und aus all dieser Kultur?
                                                                                Andreas Pecht
                                                    ***

Eröffnet wird der Kultursommer RLP am 10./11. Mai mit einem Kulturfest für die ganze Familien in Bad Hönningen.
  
Infos: Das vollständige Programm ab Ende April unter www.kultursommer.de


(Erstabdruck: 13. Woche im März 2008)

Kulturtsommer Rheinland-Pfalz 2008, Jahresmotto, Programm nördlicher Landesteil
 
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