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2008-04-06 Schauspielkritik:  
Liebe am Morgen nach dem
11. September

Theater Konradhaus zeigt Neil LaButes "Tag der Gnade"
in sehr ordentlicher Umsetzung

 
ape. Koblenz. Neil LaBute ist der wichtigste amerikanische Dramatiker im aktuellen Theaterschaffen. Das Konradhaus in Koblenz-Ehrenbreitstein hat jetzt sein Stück „Tag der Gnade“ auf die Bühne gestellt: Am Morgen nach dem 11. September 2001 liegt auch die Beziehung eines New Yorker Paares in Trümmern.

Ihre Vorwürfe schneiden ihm ins Gemüt wie Peitschenhiebe ins Fleisch. Seine Unentschlossenheit quält sie, als handle es sich um Psychofolter. Generalprobe auf der winzigen Bühne im kleinen Off-Theater Konradhaus zu Neil LaButes „Tag der Gnade“ – doch Gnade gewähren sich die Akteure Abby und Ben nicht die Spur. Diese Beziehung liegt gleich zu Beginn der 90-minütigen Aufführung in den letzten Zuckungen. Die Sehnsucht nach Liebe ist ins gallige Endstadium wechselseitiger Erniedrigung eingetreten.

Darin unterscheidet sich Arina Horres Einrichtung von der Vorgehensweise ihrer Regie-Kollegen andernorts. Statt fortschreitend die Atmosphäre zu vergiften, beginnt die Koblenzer Inszenierung auf dem höchsten Zerrüttungs-Level: Der Mann ist mit den Nerven fertig; die Frau setzt ihm dennoch mit zynischen Spitzen immer weiter zu. Es geht um ein Telefonat, das er führen soll, aber nicht führen kann: Die Rückmeldung an seine Ehefrau und Kinder, dass er erstens den Terroranschlag vom Vortag überlebt hat, und zweitens sich nun scheiden lässt, um fortan mit Abby zu leben.

Zug um Zug erhellt die Aussprache, was es mit den beiden auf sich hat, woher ihre Verbitterung, ja ihr Hass aufeinander rührt. Single-Chefin und 12 Jahre jüngerer, verheirateter Angestellter unterhalten eine geheime Liaison, darin gab’s zwar Ahnungen von Liebe, aber statt gemeinsamen Lebens bloß Sex. Ein arges Dilemma. Da beschwört der Anschlag vom 11. September in Bens Kopf plötzlich die Chance für einen Radikalumbruch herauf: Tabula rasa – er verschwindet als vermeintliches Terroropfer aus seinem Familiendasein und beginnt mit der Geliebten andernorts ein neues, ein richtiges Leben.

Dieser Plan treibt am Morgen des 12. September das Paar in die entscheidende Auseinandersetzung, der wir im Theater beiwohnen. Nach eigenen Worten untersucht der Autor in seinem ein Jahr nach der Katastrophe am World Trade Center entstandenen Stück, „wie Selbstsucht in einem Augenblick des landesweiten Selbstverlustes fortbestehen kann“. Demgemäß dreht sich der verbale Nahkampf zwischen Abby und Ben um Fragen von Feigheit und Heldentum, Verantwortung und Egoismus, Betroffenheit und einfach Weitermachen; schließlich um die Abgründe, die sich mit der Ausnutzung der Katastrophe auftun.

Die private Tragödie spiegelt im Subtext des Stückes die gesellschaftlich-politische Dimension des 9/11-Komplexes für Amerika stets mit. Das macht „Tag der Gnade“ als eine der frühesten künstlerisch ernsthaften Auseinandersetzungen mit dem Thema so interessant. Die kleinräumige, bloß mit ein paar Mobiliar-Quadern nebst zwei Handys ausgestattete und völlig auf den Disput der beiden Protagonisten konzentrierte Kammerinszenierung ist dem angemessen. Michaela Jubelius und Frank Musekamp skizzieren die Charaktere deutlich, die verfahrene Situation treffend.

Ein Problem bleibt die dramaturgische Herausforderung, die sich aus der extrem dichten Atmosphäre bereits zu Anfang ergibt. Dank der erst allmählichen Erhellung der Hintergründe ist das Stück zwar bis zur überraschenden Schlusswendung spannend. Hinsichtlich der im Text gebotenen Abstufungen des Paar-Disputs würde man sich indes eine etwas größere Variationsbreite vor allem beim Körperausdruck wünschen. Dennoch: Für die örtlichen Maßstäbe eine sehr ordentliche Umsetzung eines bedeutenden zeitgenössischen Stückes.                                            Andreas Pecht

Infos: www.konradhaus.de


Theater Konradhaus, Kritik, Neil LaBute, Tag der Gnade, Regie: Arina Horre
 
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