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2008-04-27 Schauspielkritik: 
Im Märchenland des Peer Gynt

Henrik Ibsens fantastischer Klassiker punktet
in mainz mit naiver Schlichtheit
 
ape. Mainz. Henrik Ibsens „Peer Gynt“ ist Fantastik, ist Märchen in Form eines Theaterstückes. 1876 wurde es in Oslo uraufgeführt. Der norwegische Dramatiker  schrieb es in freier Versform und nannte es  „dramatisches Gedicht“. Christian Morgenstern übertrug es in deutsche Reimverse, die auch  Philip Tiedemann jetzt im Großen Haus des Mainzer Staatstheaters benutzt. Wie der Regisseur überhaupt offenbar nichts anderes will, als ein Märchen für Erwachsene zu erzählen. Der entsprechenden Atmosphäre hilft eine zart untermalende Musik (Henrik Kairies), die sich absichtsvoll an Edward Griegs Peer-Gynt-Suite anlehnt.

Die Inszenierung füllt die Bühne mit Szenen verspielter Poetik, dabei schier kitschige Bilder nicht fürchtend, aber  opulente Effekthascherei ebenso meidend. Peer Gynt, der Junge vom Land mit der lebhaften Fantasie und dem großen Maul, zieht in die Welt und durch sein Leben. In Mainz kommt er nach drei kurzweiligen Stunden dort wieder an, wo er aufgebrochen: Bei Solveig, der ihn liebenden Frau – die Franziska Hackl mit still-kühlem Liebreiz und stoisch-unzerbrechlichem Vertrauen ausstattet.

Wäre Peer gleich dageblieben, er hätte das wahre Glück gefunden und seine Jahre nicht vertun müssen in nutzloser Suche nach eigener Größe bei Abenteuern jenseits des Meeres. Der Bursche aber entfleucht dem vermeintlich rückständigen Norden Norwegens. Dort verspotten ihn die Dörfler wegen seiner Angebereien, schilt ihn die Mutter (treffend bäuerisch: Andrea Quirbach) wegen seiner Nichtsnutzigkeit. Dort entführt und verführt er erst die Braut eines Anderen, lässt sich dann nächtens mit Trollin und Trollen ein, um schließlich Solveig in einsamer Berghütte sitzen zu lassen.

Die Bühne von Etienne Pluss ist eine klare Sache: Stufenweise nach hinten ansteigend und sich verjüngend; in der Ferne dräuen mal schwarze Bergessilhouetten, mal düstere Sturmwolken, mal gelbe Wüstensonne. Die Kulisse spielt mit der Sparsamkeit des Gauklertheaters, verlangt vom erwachsenen Zuseher jenes Vorstellungsvermögen, wie es Kindern beim Märchentheater ganz selbstverständlich ist. Pittoresk kostümiert: Norweger, Kolonial-Gewinnler, Wüstenkrieger oder Bauchtänzerin Anitra. Reizend maskiert: die Trolle. Und zum Schmunzeln: Auftritte von übergroßem Reitschwein und vorwitzigem Araberpferd.

Damit wären auch die Stationen von Peer Gynts großer Lebensreise vom Dorfdeppen über den stinkreichen Sklavenhändler, dann Wüstenforscher und „Kaiser“ in einem ägyptischen Irrenhaus, zum Schiffbrüchigen und schließlich erbarmungswürdigen Heimkehrer umrissen. Wie jedes gute Märchen mit tieferem Sinn schwanger geht, so auch „Peer Gynt“. Thomas Prazak gibt eine den jeweiligen Umständen gemäß sich wandelnde Titelfigur ab. Die jedoch streift eine Grundeigenschaft nie ab: Weil bei allem Egoismus dieser Peer weder Ego noch Lebensziel hat, wirkt er allweil naiv, überfordert, verloren.

Und das passt zu diesem Stück – wie auch Tiedemanns Inszenierung in ihrer fast kindlichen Schlichtheit dazu passt. Die allerdings genau arrangiert ist, und mit einem sehr schön vor allem auf die große Wirkung körpersprachlicher Kleinigkeiten eingestellten Ensemble besticht. Ein Märchenspiel voll der Poesie und Allegorie. Das ist nicht jedermanns Sache, aber im Umfeld des derzeit heftig schürfenden Mainzer Psychoschauspiels mal was ganz anderes.                                                                 Andreas Pecht

Infos: www.staatstheater-mainz.de

(Erstabdruck 28. April 2008)

Staatstheater Mainz, Kritik, Ibsen, "Peer Gynt", Regie: Philip Tiedemann
 
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