Kritiken Theater
homezur Startseite eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor Seitenübersicht • sitemap • Plan du siteÜbersicht sitemap Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken

2008-05-09 Tanzprojekt:
Sasha Waltz trifft auf Wolfgang Rihm

Berliner Tänzer und Ensemble Modern erweitern in
Frankfurt das Klangkonstrukt „Jagden und Formen“

 
ape. Die zeitgenössische Avantgarde hat es schwer beim Kulinarik-seligen Publikum. Selbst in einer weltläufigen Stadt wie Frankfurt am Main. Selbst noch, wenn zwei der bekanntesten Gegenwarts-Formationen die Weiterentwicklung eines Zentralwerkes aus der Feder des derzeit wohl bedeutendsten deutschen Komponisten für Neue Musik zur Uraufführung bringen: Die Musiker des Ensembles Modern mit den Tänzern der  Compagnie von Sasha Waltz „Jagden und Formen (Zustand 2008)“ von Wolfgang Rihm.
 
Nur zwei Vorstellungen waren in Frankfurt angesetzt. Schon bei der zweiten reichte das Interesse nicht mehr für einen Ausverkauf des großen Schauspielhauses. Die Produktion geht nun nach Berlin; wenigstens in der Hauptstadt wäre eine größere Resonanz zu wünschen. Denn „Jagden und Formen“, diese seit Jahren sich ständig verändernde Komposition, hat durch die Hinzunahme der Tanz-Dimension bemerkenswerte Weiterungen erfahren.

In seiner bisherigen Entwicklung als bloße Klangkonstruktion war das Werk dominiert von Rastlosigkeit und nervösem Hetzen durch nur schwer überschaubare atonale Strukturen und gebrochene Rhythmen. 15 Tänzer bringen nun eine teils erstaunliche Ordnung in das klangliche Netzwerk, das als Reflex auf Eigenarten heutiger Lebenswelt verstanden werden kann. Schmucklos die Bühne, deren linken hinteren Teil das  Orchester besetzt, während über den verbleibenden Raum eine in ihrer Gesamtheit ebenso vielschichtige wie in ihren Teilen scheinbar schlichte Choreografie fließt.

Kreise, Linien, Ballungen bilden die Tänzer, dabei mal musikalische Strukturen visualisierend, ein andermal sie eigenwillig interpretierend. Viele Teilaktionen zeigen Einzelne als ruckende, zuckende Menschen, die nicht wirklich Herr ihrer Leiber und Wege sind. Wir sehen kleine Formationen, in denen Individuen Eigenständigkeit behaupten, aber die Gruppe doch in eine Einheitsrichtung gezwungen wird. Wir sehen die Tragik von Paar-Beziehungen: Umarmen und Umschlingen beinhaltet auch vielfache Momente von Würgen. Wir sehen die Compagnie ebenso verspielt wie besessen angestrengt herumrollen oder Männer Frauen überrennen.

Musik und Tanz agieren auf gleicher Augenhöhe, keine Kunst ist Diener der anderen. Zum Ende hin legen sich die Musiker mitsamt Instrumenten zwischen die erschöpften Tänzer auf den Boden. Ein utopisches Moment. Eine zarte, warmherzige Szene, die Gemeinsamkeit, Zuwendung, Solidarität verströmt. Danach ein seltsames wie logisches Finale: Tanzbewegungen und Musik verwehen unschlüssig. Es bleiben die große Ratlosigkeit der Gegenwart und ein bewusst unvollendetes Werk, für das es zurecht langen Beifall gibt.

„Zustand 2008“ der Rihmschen „Jagden und Formen“ ist entstanden als Beitrag zum Festival „Frankfurter Positionen“. Das stand in diesem Jahr unter dem Motto „Leben erfinden – Über die Optimierung von Mensch und Natur“. Vor diesem Hintergrund darf die Produktion als sperrig-widerständige Warnung verstanden werden vor allfälligem Nützlichkeitswahn und dem uniformen Schneller-Schneller, Besser-Besser des Heute.           Andreas Pecht

(Erstabdruck am 10. Mai 2008)


Kritik, "Jagden und Formen (Zustand 2008)", Wolfgang Rihm, Compagnie Sasha Waltz, Ensemble Modern, Uraufführung Frankfurt 
 
Diesen Artikel weiterempfehlen was ist Ihnen dieser Artikel
und www.pecht.info wert?
 
eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor
eMail an webmaster • eMail to webmaster • contact webmastereMail an webmaster Seitenanfang • go top • aller en-hautan den Anfang Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken