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2008-05-11 Schauspielkritik: 
Maria Stuart unter Terrorverdacht

Stephan Kimmigs mehrfach geehrte Hamburger Schiller-Inszenierung bei Maifestspielen Wiesbaden

ape. Wiesbaden. Nach der zweiten, umjubelten, Gastvorstellung bei den Maifestspielen Wiesbaden gingen Katja Haß’ Bühnenbauten noch in der Nacht wieder auf Reisen. Denn am übernächsten Abend darf die darin von Stephan Kimmig inszenierte Schillersche „Maria Stuart“ beim Berliner Theatertreffen  glänzen -  als eine der zehn besten Schauspielproduktionen der vergangenen Saison im deutschsprachigen Raum. Damit der Ehre nicht genug, erhielt Kimmig für die am Hamburger Thalia entstandene Arbeit obendrein den deutschen Theaterpreis Faust für die beste Regie.
 
Was sind die Besonderheiten dieser Klassiker-Einrichtung? Zuerst mal ihre bescheidenen Maße, die im prächtigen Großen Haus des Wiesbadener Staatstheaters erst recht ins Auge springen: Nur acht Mimen bringen das Trauerspiel um zwei Königinnen in nur 110 Minuten über die Bühne. Dort dreht sich ein moderner Betonkubus, der mal die schmucklose Schlafkoje der Elisabeth, mal einen profanen Konferenzraum, mal Marias Gefängniszelle herzeigt. Diverse Durchblicke gehen auf einen Hof mit ast- und also leblosen Birken.

Das eigentliche Faszinosum aber rührt daher, dass hier einer die Forderung  Dürrenmatts ernst genommen hat, das Theater möge Stücke nicht nur inszenieren, sondern interpretieren. Kimming holt den Klassiker in die Gegenwart und unterlegt ihm eine aktuelle Fragestellung: Darf die Staatsmacht Terror mit Terror und Folter bekämpfen? Bei Schiller steckt die schottische Königin Maria Stuart in einem englischen Gefängnis, weil sie angeblich einen Umsturzkomplott gegen Englands Königin Elisabeth geschmiedet hat.

Bei Kimmig ist Maria im Hochsicherheitstrackt an einen Folter- oder Hinrichtungsstuhl gefesselt. Susanne Wolff ringt dort als angebliche Terroristin innerlich vibrierend um Fassung, Integrität und Stolz. Derweil (Innenminister) Burleigh mit allen denkbaren Tricks diesseits wie jenseits des Rechts im Interesse der Staats-Sicherheit ihre rasche Hinrichtung betreibt.

So weit weg von Schiller ist das nicht, und doch eine ungewohnte Lesart, die durch fabelhaft prägnantes Spiel auf fast allen Positionen kammertheatralisch fein gearbeitet wird. Während Wolff die menschliche Tragik ihrer Maria quasirealistisch darstellt, gerinnt die Elisabeth der Paula Dombrowski fast zur Kunstfigur: Im Geschäftsanzug und unter weiß geschminkter Gesichtsfassade bleibt diese Königin ein trotzig-egoistisches Kind, das Macht mit Leben verwechselt und mit dem realen Machtkampf ringsumher völlig überfordert ist.

Es gibt in dieser Inszenierung viel Geschrei, allerdings nicht als sattsam überstrapazierten Ausdruck für gesteigerte Emotion. In Kimmigs „Maria Stuart“ schreit nur die Macht respektive die Sucht nach Machterhalt oder – wie Maria am Schluss der Königinnenbegegnung – die Sehnsucht nach Machtgewinn. Und sobald die Macht poltert, zetert, kreischt, wird sie lachhaft. Ein gewollter Effekt, mit dem die Theaterkunst in die Warnung vor dem Sicherheitsstaat  zugleich auf subtile Weise ein Element der Befreiung von selbigem einbaut - Lächerlichkeit. Übrigens: Maria ist unschuldig.                                                             Andreas Pecht 



Maifestspiele Wiesbaden, Kritik, Schillers "Maria Stuart", Produktion: Thalia-Theater Hamburg, Regie: Stephan Kimmig  
 
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