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2008-06-10a Feature/Ausstellungsbesprechung:
Helden, Herren, Halsabschneider

Mittelalter-Kampagne am Mittelrhein: „Mythos Ritter“
im Landesmuseum Koblenz und andere Ausstellungen

 
ape. Mittelrhein. „Ja so warn’s, die alten Rittersleut’“ heißt es im Trinklied, das die vorgeblich hohen Tugenden des Rittertums deftig verspottet. Haben die Spötter recht? Oder stimmt eher das Bild vom edlen Recken? Mit Blick auf die Burgenlandschaft des Mittelrheins geht diesen Fragen jetzt das Landesmuseum Koblenz mit der Ausstellung „Mythos Ritter“ nach.
 
Diese Ausstellung ist auch ein Landespolitikum. Was sich darin ausdrückt, dass Kulturstaatssekretär Joachim Hofmann-Göttig und der „Altertümer-Chef“ des Landes, Thomas Metz, sie als „erstes Gemeinschaftsprojekt der neuen Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz“ (GDKE) bezeichnen. „Mythos Rhein“ stellt demnach die erste öffentliche Nagelprobe auf die jüngst eingerichtete Verbundstruktur vormals getrennter Landeseinrichtungen dar. 

In die Schau auf der Festung Ehrenbreitstein sind Geisteskraft, Depot-Schätze und Forschungsergebnisse der Landesmuseen Koblenz und Mainz, des Landeshauptarchivs sowie  der Landesarchäologie und –denkmalpflege eingeflossen. Aus den Beiträgen dieser GDKE-Gliederungen - sowie anderer Partner, darunter die Deutsche Burgenvereinigung - hat Angela Kaiser-Lahme, Direktorin von „Burgen, Schlösser, Altertümer“ (ebenfalls GDKE), die Ausstellung „Mythos Ritter – Adel und Burgen am Mittelrhein“ gemacht.

Ein gelungenes Debüt für den Altertümer-Verbund? Jedenfalls setzt das Projekt bemerkenswerte Energien frei, insofern zwei weitere Museen die Präsentation auf dem Ehrenbreitstein ergänzen: Das Mittelrhein-Museum Koblenz startet an diesem Samstag (bis 12.10.) unter dem Titel „Unser Mittelalter“ eine Depot-Werkschau mit 500 vorwiegend künstlerischen Exponaten aus 1000 Jahren; das Museum am Strom Bingen folgt am 1. Juli mit „Stadtleben im Mittelalter: Bingen und das Mittelrheintal“ (bis 31.10.).

Man kann also von einer konzertierten Mittelalter-Kampagne im Unesco-Welterbe Oberes Mittelrheintal sprechen. Dafür wird es auch Zeit. Denn einerseits gilt die Region mit ihrer üppigen Burgenlandschaft als Mittelalter-Zeugnis par excellence. Andererseits steht das daraus erwachsene populäre Mittelalterbild sachlich auf eher schwachen Beinen: Originale Zeugnisse aus den ersten 600 Jahren des zweiten Jahrtausend über das Leben auf den Rheinburgen sind vergleichsweise spärlich.

Selbst die Bauten zeugen vielfach mehr von der romantischen Mittelalter-Nostalgie des 19. Jahrhunderts als echter Ritter-Lebensart des 11. bis 17.: Von einigen Burgen abgesehen (etwa Pfalzgrafenstein und Marksburgs), handelt es sich großenteils um abgewandelte Rekonstruktionen aus preußischer Zeit. Deshalb spricht die Koblenzer Ausstellung vom „Mythos Ritter“ und geht in ihrer ersten Abteilung der Frage nach: Woher haben wir Heutigen unser Ritter-Bild? Filmplakate und –ausschnitte, Comics, Spielsachen und Videospiele belegen: Die Moderne schwimmt auf einer Mittelalterwelle - die Ritter-Fehde zwischen edler Tugend und räuberischer Bosheit tobt fort.

Vom Heute aus marschiert die Schau rückwärts durch die Zeiten. Und sie begegnet im 19. wie 18. Jahrhundert seltsam veredelten Formen angeblich ritterlicher Kultur. Die originale Paradeuniform eines preußischen Gardeoffiziers lässt sich als kriegsuntaugliche Mimikry einer Ritter-Rüstung identifizieren. Pistolen sprechen vom Duell als Fortsetzung ritterlichen Zweikampfes. Bei Hofe sind Burgfräulein- und Ritter-Kostüme en vogue.

Den Traum von der hehren und wohlgeordneten Zeit der Altvorderen träumt man bereits während Aufklärung und Industrierevolution. Die großen Mittelalter-Sagas wie Erec oder Nibelungenklage – Originalfragmente werden gezeigt – geben die zweifelhafte Vorlage dafür ab. Zweifelhaft, weil sie aus einem die eigenen Untertanen tyrannisierenden und Nachbarschaft plündernden Halsabschneider schon mal einen heldenhaften Tugendbold machen, will sagen: die Verhältnisse im 13. oder 14. Jahrhundert idealisieren, also Mythen bilden. Diese überwindet die Ausstellung schließlich mit Fundstücken aus dem hiesigen Hoch- und Spätmittelalter.

Rüstungen, Waffen und Belagerungsmaschinen;  Kleidung und Mobiliar; Küchen- und Tischgerät; Grabsteine und Stammbäume … - das tatsächliche Ritter-Leben auf den mittelrheinischen Burgen beginnt, Gestalt anzunehmen. Dies umso mehr, je intensiver der Betrachter sich auf die Exponate, ihre Beziehungen zueinander  und auf die teils in der Ausstellung, teils im hervorragenden Begleitbuch dargestellten archäologischen Forschungen einlässt.

Demnach war das Mittelalter so finster nicht: Materialien, Ausstattung oder Technik zeugen von Kultur und Handwerkskunst. Was aber aß man damals bei Ritters? Viel Fleisch und meist vom Schwein, belegen Knochenfunde in einer Koblenzer Kloake. Wie schlief man damals? Im Zwergenbett. Und was war die Zierde des Mannes? Pferd, eiserne Rüstung und eine Gattin, deren Menage allein für den Turnierbesuch die Schatulle des Herrn völlig erschöpfen konnte.

„Mythos Ritter“ kann auch als Familienausstellung begangen werden. Die Museumspädagogik hat sich für Kinder manche Lernbrücke und Aktivstation einfallen lassen. Zumindest zwei Fragezeichen allerdings bleiben, ob für Erwachsene oder Kinder: Ging’s in Ritter-Haushalten so sauber zu wie man hier vermuten könnte, und wie erging es eigentlich dem Volke, das diesen Herrschaften untertan sein musste?                         Andreas Pecht

Begleitbuch "Stadt und Burg am Mittelrhein (1000-1600)", Verlag Schnell + Steiner, 208 Seiten, im Museum 19,90 Euro, im Buchhandel 24,90 Euro. 

Infos:
www.landesmuseumkoblenz.de     

www.mittelrhein-museum.de

www.bingen.de

(Erstabdruck am 11. Juni 2008)

"Mythos Ritter", Landesmuseum Koblenz, Ausstellungs-Besprechung, Mittelalter-Kampagne am Mittelrhein 
 
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