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2008-06-12 Schauspielkritik:  
Seltsame Bagage in rheinischem Hotel

Jürgen Bosse inszeniert in Mainz "Bekannte Gesichter,
gemischte Gefühle" von Botho Strauß als
satirisch-zynische 1960er-Komödie

 
ape. MAINZ. Warum werden jüngst auf deutschen Bühnen  ziemlich häufig Stücke von Botho Strauß gespielt? Weil sich damit der bundesrepublikanischen Befindlichkeit  recht böse der Spiegel vorhalten lässt. Problem dabei: Nicht wenigen dieser Stücke haftet der Staub der Bonner Republik an. So „Groß und klein“ von 1978, neulich beim Schauspiel Bonn aufgeführt. So auch „Bekannte Gesichter, gemischte Gefühle“ von 1975, jetzt am Mainzer Staatstheaters herausgebracht.
 
Was die Frage aufwirft: Betreffen uns diese Stücke per se noch, oder bedürfen sie der  Neudeutung durch die Regie? Die Mainzer Inszenierung von Jürgen Bosse traut „Bekannte Gesichter, gemischte Gefühle“ anhaltende Relevanz zu, und baut mit Susanne Maier-Staufens Bühnenbild nebst der Kostümerie von Erika Landertinger auf ein 1960er-Spiel.

Zwar erinnert die Kulisse  ans Foyer der Berliner Volksbühne, meint aber mit zeittypischen Trichterleuchten und Sesselgruppen vor drei abgewetzten Saaltüren das Vestibül eines abgewirtschafteten Hotels in Königswinter. Dort hat sich eine seltsame Bagage als quasi Wohngemeinschaft eingenistet: Drei Paare und ein Single. Wer nun allerdings mit wem verbandelt ist, das herauszufinden, erweist sich als mühsam. Denn Sympathien und Abneigungen wechseln schnell, sind ohnehin nur beiläufig – irgendwie kann jeder mit jedem und doch können alle mit keinem richtig.

Botho Strauß ist bei seinem Thema: zwischenmenschlicher Unverbindlichkeit, Beziehungslosigkeit, Kälte in der Gegenwartsgesellschaft. Ein Thema, dem er bis heute treu geblieben ist. Das verdeutlichte etwa Annegret Ritzel, die in den vergangenen Jahren jüngere Stücke ihres einstigen Bad Emser Schulkameraden auf die Koblenzer Bühne brachte. Darunter „Der Narr und seine Frau heute Abend in Pancomedia“ von 2001. Darin werden bei zahlreichen kaum handlungsverbundenen Szenen allerlei euro-globale Hotelbesucher in  sinnleeren Begegnungen aneinander vorbei getrieben.

„Bekannte Gesichter, gemischte Gefühle“ ist nicht ganz so befremdlich. Zumal es Jürgen Bosse und Ensemble in Mainz gelingt, die mit reichlich surrealen Momenten durchsetzte Vorlage zu einer veritablen, satirisch-zynischen Gesellschaftskomödie zu verdichten. Gregor Trakis spielt schön den misanthropischen Hotelbesitzer Stefan. Der stürzt in geile bis blödgesichtige Fassungslosigkeit, da ihm Gattin Doris bald als  verjüngte Ausgabe ihrer selbst (Tatjana Kästel), bald als altbekannte Reizlosigkeit (tragikomisch glänzend Andrea Quirbach) begegnet.

Mit dem Doris-Doppel verbindet sich der Traum vom Gewinn eines Tanzwettbewerbes, für den im Hotelsaal trainiert wird. Stefan Walz gibt den eitel-arroganten Tanzpartner der Dorise. Allein dieser Wettbewerb bringt ein winziges Moment von Zielgerichtetheit in die Gruppe. Ansonsten: Ungeregeltes Parlando, das sexuelle Vergeblichkeit ankaut oder Liebe als Schlagerposse abtut. Das Innenministerium wird als Spitzelzentrale abgewatscht, wogegen sich ein dort angestellter Mitbewohner (Andreas Mach) verwahrt.  Die Bonner Politik wird als Hort korrupter Kumpanei verhackstückt, wogegen weder die coole Minirock-Zynikerin Margot (Friedericke Bellstedt) noch die ewig hungrige Jungpomeranze Hedda (Julia Kreusch) etwas haben.

Und wenn Michael Schlegelberger versonnen den Zauberhut aufsetzt, stürzen schon mal Flugzeuge in die Szene. Dann wird Deutung zum blinden Stochern in Zeitgeschichte und der Regisseur ein Geheimniskrämer wie schon der Autor. 105 verrätselte, aber spaßige Minuten, die den Gedanken nahelegen: So weit weg von der Bonner ist die Berliner Republik nun auch wieder nicht.                                                                Andreas Pecht

Info: www.staatstheater-mainz.de

(Erstabdruck am 13. Juni 2008)


Staatstheater Mainz, Kritik, Botho Strauß, "Bekannte Gesichter, gemischte Gefühle", Regie: Jürgen Bosse
 
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