Kritiken Theater
homezur Startseite eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor Seitenübersicht • sitemap • Plan du siteÜbersicht sitemap Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken

2008-06-30 Schauspielkritik: 
Luschtig an Shakespeare vorbei

"Der Widerspenstigen Zähmung" als Klamaukposse
bei den Burgfestspielen Mayen

 
ape. Mayen.  Prolog: Bub, du musst ordentlich essen, pflegte die Großmutter zu sagen. Dann gab sie kräftig Butter aufs Brot und darüber fingerdick die fette, hausgemachte Leberwurst. Sie meinte es gewiss gut, aber dem Jungen wurde beim Verzehr ihrer Stullen unwohl. Weshalb er bald keine Lust mehr auf Besuche bei der Oma hatte.

                                              ***

Zweite Abendpremiere bei den Mayener Burgfestspielen 2008. Peter Nüesch, seit vergangenem Jahr Chef des Theaterfestivals, hat William Shakespeares Komödie „Der Widerspenstigen Zähmung“ inszeniert. Im Vergleich der dortigen Premieren über die zurückliegenden 20 Jahre lag der Beifall am Wochenende ungefähr mittig zwischen Anstandsapplaus und Begeisterungssturm. Das spricht für geteilte Meinungen.

Die Inszenierung lässt von der bekannten Handlung wenig weg, interpretiert auch nichts hinzu: Die widerspenstige Katharina wird von Petruchio geehelicht und gezähmt, was den Weg frei macht für die Verheiratung ihrer jüngeren Schwester, der liebreizenden Bianca. Das alles wie üblich als Theaterspiel innerhalb eines Gesellschaftsspiels. Anlass zur Verwunderung gibt erfahrenen Theatergängern allerdings die Art, wie das in Mayen theatralisch erzählt wird.

Ein Kulturhistoriker würde vielleicht von einem Experiment sprechen, folgende Stile zu vereinen: Commedia dell’arte des 16./17. Jahrhunderts, Spiel fahrender Jahrmarktsmimen des 18./19. Jahrhunderts, Kasperltheater und Boulevardkomödie des 20. sowie TV-Comedy des 21. Jahrhunderts. Das im Hof der Genovevaburg zu sehende Ergebnis nennt die Theaterwissenschaft Schmierenkomödie oder überschießendes Chargenspiel - eine durch grobe Übertreibungen auf Lacheffekte abzielende Bühnendarbietung. Im Volksmund heißt das: Klamauk.

Nun hat Meister Shakespeare selbst – dem Volke aufs Maul und in die Wäsche schauend -  seine komischen Szenen durchaus auf eine kräftige Portion Deftigkeit, bisweilen sogar vorgeblichen Dilettantismus angelegt. Aber eben nicht nur, und schon gar nicht zum Selbstzweck. Seinen wie auch den großen Komödien von Moliere oder Goldoni ist gemeinsam, dass sie eine vergleichsweise simple Handlungsoberfläche haben, unter der sich jedoch ganze Universen von Hintersinn verbergen. Diese zu erspielen, ist die Theaterkunst gefordert.

Wenn, beispielsweise, Iris Oberländer ihre Katharina bloß als hysterisch um sich schlagende Megäre gibt, macht das zwar ebenso Furor wie das allfällige Slapstick-Getümmel im übrigen Ensemble. Es verkennt aber Verletzlichkeit und Sehnsucht des Mädchens. Wenn in Petruchios zur Freakshow verludertem Haushalt die Widerspenstige kalauernd gepiesackt wird, verliert sich die Raffinesse der Gehirnwäsche-Folter aus Hunger, Schlafentzug, Beischlafverweigerung und permanenter Erwartungsenttäuschung, die der große Menschenkenner Shakespeare 500 Jahre vor Guantanamo ins Stück schrieb.

„Der Widerspenstigen Zähmung“ ist ein psychologisch und gesellschaftskritisch filigranes Meisterwerk im Humor-Gewand. Bei dieser Inszenierung kommt allein Lorenz Schirren in der exponierten Rolle des Sly/Schlau solchem Anspruch nahe. Ansonsten bleibt nur eine schrill gefärbte Außenhaut, der man allenfalls ansieht, dass der Regisseur ein Händchen hat für showtaugliche Personenchoreografie und boulevardeske Bonmots. Zeigten die Schauspielhäuser in Koblenz, Mainz oder Bonn solch einen Abend, man würde urteilen: platte Volksbelustigung, verspätete Fastnachtsposse.
                                               ***    
Epilog: siehe Prolog.                                                
                                                                                         Andreas Pecht
 

(Erstabdruck 30. Juni 2008)

Burgfestspiele Mayen, Kritik, Shakespeare, Der Widerspenstigen Zähmung, Regie: Peter Nüesch
 
Diesen Artikel weiterempfehlen was ist Ihnen dieser Artikel
und www.pecht.info wert?
 
eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor
eMail an webmaster • eMail to webmaster • contact webmastereMail an webmaster Seitenanfang • go top • aller en-hautan den Anfang Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken