Vortrag
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2008-09-05 Eröffnungsvortrag:

Diese Rede wurde gehalten am 4.9.2008 zum Auftakt einer Ausstellung in Bendorf mit Fotografien von Joachim Hofmann-Göttig unter dem Titel

"Inside Welterbe Oberes Mittelrheintal"
 
ape. 

Meine sehr verehrten Damen und Herrn,

Sie haben heute das Vergnügen, einer Veranstaltung beizuwohnen, die wegen – mindestens – zweier Besonderheiten ein bisschen aus dem  Rahmen fällt. Die erste Besonderheit ist, dass ausgerechnet ein Kulturkritiker als Eröffnungsredner für ein Ereignis eingeladen wurde, bei dem es nicht zuletzt um einen Politiker und dessen Schaffensdrang geht. Das ist schon in der großen Welt keine Alltäglichkeit, im lokalen Umfeld erst recht nicht die Regel. Denn eigentlich hat man Kulturkritiker in solchen Fällen nicht allzu gern als Laudatoren oder Festredner. Der Grund ist einfach: Die Mitglieder dieser Zunft, zumindest die ernsthafteren, sind unberechenbar - weil zu den Grundvoraussetzungen ihres Berufes gehört, sich weder von Amtsautorität noch Staatsräson oder Gesellschaftskonvention beeindrucken zu lassen.

Kaum je können sich Kulturkritiker zu einem eindeutigen und uneingeschränkten „Gut-Schön-Wunderbar“ durchringen. Stattdessen suchen sie oftmals noch beim freudigsten oder feierlichsten Anlass Aufhänger für anstößige Grübeleien, finden gar Haare in der Festsuppe, an denen sie dann ohne Rücksicht aufs wohlig gestimmte Publikum herummäkeln. Dass dies Risiko auch für meinen Fall besteht, sollte den Veranstaltern – so die hiesige Presse zu ihrer regelmäßigen Lektüre zählt - vorab klar gewesen sein. Den Herrn Hofmann-Göttig hatte ich extra noch mal auf die Gefahren hingewiesen. Der erklärte aber ebenso mutig wie lapidar: „Mach mal, ich freu mich drauf“. Also ist es bei der Einladung zum Vortrag geblieben - weshalb nun er und Sie alle da einfach durch müssen.

Viel bedeutsamer aber ist nun die zweite Besonderheit der heutigen Veranstaltung. Die hat unmittelbar mit der zur Rede stehenden Ausstellung und ihrem Verursacher zu tun, dem Künstler also – würde man sagen, handelte es sich um eine Kunstausstellung. In der Kombination aus beidem erleben wir das seltene Phänomen, dass ein Staatspolitiker – und zu diesem Berufsstand gehört auch ein rheinland-pfälzischer Kulturstaatssekretär – dass also Joachim Hofmann-Göttig sich sehenden Auges in die Gefahr begibt,  in aller Öffentlichkeit Unverständnis zu ernten.

Ich spreche hier nicht von den kulturpolitischen Querelen, denen sein Ausstellungsprojekt in der Frühphase ausgesetzt war. Dieses Problem hat sich mittlerweile erledigt. Ich meine mit Unverständnis vielmehr die spontane Frage, die sich wohl den meisten Betrachtern bei der Erstbegegnung mit den Fotografien aufdrängt: Was treibt diesen Mann, der unendlichen Vielzahl von Fotos, die vom Mittelrheintal schon gemacht und publiziert wurden, auch noch eigene hinzuzugesellen? Ja, damit sogar eine Ausstellung zu bestücken? Wir schauen auf seine Fotos und sehen im ersten Moment nur Motive, die wir schon tausendfach gesehen haben: Loreley-Felsen von oben, Marksburg von ferne, Stolzenfels von der Seite, Rheinschleifen im Dämmer, Koblenz bei Nacht etc.

Man ist geneigt, an einen Vater zu denken, der aus Stolz und schier närrischer Liebe einfach nicht davon ablassen kann, sein Töchterlein wieder und wieder und wieder abzulichten. Der Vergleich mag Sie, meine Damen und Herrn, irritieren. Aber so abwegig wie es scheint, ist er  nicht und ehrabschneidend ist er gleich gar nicht. Denn Liebe ist schließlich eine der ehrlichsten Antriebskräfte für menschliches Tun. Und wann, bitteschön, finden wir im Felde der Politik schon mal ein Handeln vor, das von Liebe motiviert wäre? Oder anders gefragt: Wie oft begegnet man schon staatspolitischen Amtsinhabern, die den Gegenstand ihrer täglichen Dienstpflicht auch noch zur ganz persönlichen, privaten Passion erheben? Selten, sehr selten.

Bei Hofmann-Göttig und dem Mittelrheintal liegt genau ein solch seltener Fall vor – und dieser Umstand eben macht die zweite Besonderheit der heutigen Veranstaltung aus, macht auch das Besondere dieser Ausstellung aus. Als Welterbebeauftragter des Landes Rheinland-Pfalz ist er von Amts wegen verantwortlich für das UNESCO-Welterbe Oberes Mittelrheintal. Der Welterbestatus für den Landstrich ist sein Kind, das er als Koblenzer Neubürger auch privat inniglich ins Herz geschlossen hat. Und das so sehr, dass der Staatssekretär UND der Privatmann Hofmann-Göttig mit seinen überschwänglichen Hymnen auf den „einmaligen“, den „einzigartigen“ Mittelrhein zumindest dem Kulturkritiker manchmal auch auf die Nerven geht. So, wie  frischgebackene Eltern, erst recht Großeltern, mit ihrer maßlosen Begeisterung für den eigenen Säugling einem bisweilen auf die Nerven gehen  können.

Zuerst einmal ist diese Fotoausstellung also als Liebeserklärung des Fotografen an das Mittelrheintal zu werten. Eine Liebeserklärung freilich , die ansteckend sein will, die andere Menschen locken, bezirzen, verführen will: Auf dass sie ebenfalls für diese Rhein-Landschaft entflammen. Insofern sind diese Fotos, wie Blumen und Pralinen, Mittel des Werbens im Sinne von Liebeswerben. Warum die Bezeichnung Werbe-Fotos aber ganz falsch wäre, dazu gleich mehr.

Die mittelrheinische Landschaft ist der Kern dieser Ausstellung, sie ist Hofmann-Göttigs wahrer Held. Bestimmt hat er auf seinen Touren zu Fuß, per Rad, Auto, Moped, Eisenbahn häufig auch Menschen fotografiert: Zufallsbegegnungen am Rande, bewusst aufgesuchte Anwohner oder mitreisende Freunde und Verwandte. Aber bis in die Ausstellung haben es die Menschenbilder nicht geschafft. Es gibt überhaupt nur zwei Fotos, die - vorgeblich - Menschen zum Thema haben: das erste und das letzte, in den Bildtiteln gewidmet den südlichen und nördlichen „Hütern“ des Tales. Im einen Fall ist die Oberbürgermeisterin von Bingen abgebildet, im anderen der Oberbürgermeister von Koblenz.

Das Welterbe bekommt so mit namentlich bekannten „Pförtnern“ eine  personale Klammer. Wenn wir aber genauer hinschauen, entdecken wir etwas recht Seltsames. Die Hüterin der Süd-Pforte bleibt als Individuum fast unkenntlich. Obwohl diese Frau im Zentrum des Bildes steht, verliert sie sich als Person zwischen der Übermacht aus Landschaft und baulichem Erbe. Ob dieser Effekt vom Fotografen beabsichtigt war oder ihm passiert ist, wissen wir nicht. Im Ergebnis jedenfalls demonstriert uns die bildliche Inszenierung den eindeutigen Primat der Landschaft – darin der abgebildete Mensch ganz klein, beinahe unsichtbar wird.

In den nachfolgenden Fotos gibt es dann gar keine Menschen mehr. Was auch der Grund dafür ist, dass wir nicht von Werbe-Fotos im profanen Sinn sprechen können: Ein Werbeprospekt, bestehend aus lauter menschenlosen Landschaftsstilleben, wäre zumindest heutzutage schlechterdings undenkbar. Alle einschlägigen Werbemittel und Reiseführer für den Mittelrhein sind dicht bevölkert mit frohgemuten Radlern, munteren Wandersleuten, fröhlichen Zechern und sonstig glückseligen Zeitgenossen.

Gestatten Sie mir eine kritische Zwischenbemerkung: Die neuzeitliche Werbung hat vom ursprünglichen Geist der Rheinromantik wenig bis gar nichts begriffen. Und das, obwohl dieser Geist ausdrücklich intregaler Bestandteil der Welterbe-Entscheidung der UNESCO war. Essenz der historisch-literarischen Rheinromantik ist die Sehnsucht, die Suche nach dem Eigentlichen, ist das Herzeleid und das Leiden an der profanen Welt, ist die Melancholie – wie wir das bei den rheinromantischen Dichtern finden, bei Heinrich Heine, Clemens Brentano, Achim von Arnim, Bettina von Arnim oder der unglücklichen Karoline von Günderrode, die sich in Winkel am Rhein blutjung selbst das Leben nahm.

Die Rheinromantik ist keine Schule weintrunkener Glückseligkeit, sondern ureigentlich ein inneres Ringen um Rettung vor dem Verzweifeln. Die Rheinromantiker schätzten am Mittelrhein  nicht das Liebliche, Nette, Hübsche, sondern ganz im Gegenteil das Schroffe, Elementare, Ungezähmte, Geheimnisvolle, auch das Düstere. Dieses Gefühl – und es geht in der Romantik nicht zuletzt um Gefühle – diese nachgerade schmerzhafte Melancholie kommt auf geniale Weise in Heinrich Heines Loreley-Gedicht zum Ausdruck. Was aber macht die Nachwelt daraus? Im günstigsten Fall ein pittoreskes Volkslied, im ärgerlichen Fall einen Saufgesang.

Und aus eben diesem Grund möchte ich der Bildauswahl der Ausstellung ein ganz persönliches Kompliment machen. Ein Kompliment, über das Joachim Hofmann-Göttig womöglich gar nicht besonders glücklich sein wird: Die Menschenleere seiner Bilder überzieht die Landschaft gewissermaßen wieder mit einer Sehnsuchts-Patina, gibt ihr Momente jenes melancholischen Schwermuts zurück, in dem die Rheinromantik ursprünglich wurzelt.

Hat der Fotograf dies beabsichtigt? Vielleicht, vielleicht nicht. Vielleicht wollte er einfach bloß landschaftliche und kulturelle Schönheit, wie er sie sah, einfangen. Und dann kam es, wie es oft kommt: Das Werk verselbständigt sich, wird im Auge des Betrachters etwas ganz anderes als eventuell von seinem Schöpfer gedacht. So mag es sich auch mit dem letzten Bild der Ausstellung verhalten. Das zeigt laut Titel den „Hüter der Nord-Pforte“, also den Koblenzer OB Eberhard Schulte-Wissermann.

Einzel gestellt, für sich allein betrachtet, könnte das Foto als leicht spöttisch untermalte Hommage des Fotografen auf einen Regionalprominenten durchgehen. Zwischen den schönen Waden einer vermutlich schönen jungen Frau hindurch aufgenommen, erwischt Hofmann-Göttig den für seine Steifheit berüchtigten Koblenzer OB in einem seltenen Moment erstaunlicher Ausgelassenheit: Schuwi schmunzelt.  Er schmunzelt im Gedränge der Eröffnungsfeier zur Haribo-Ausstellung auf der Festung Ehrenbreitstein leise vor sich hin, dabei den Blick von jenen direkt vor seiner Nase herumtanzenden Waden abwendend wie ein verschämter Pennäler.

Eine hübsche Bild-Inszenierung. Ihren Schöpfer dürfte es jetzt allerdings nicht wenig erstaunen, dass jemand ausgerechnet dieses Foto als Moment kritischer Auseinandersetzung mit der Gegenwart am Mittelrhein deuten kann. Diese kritische Funktion hatte der Fotograf wohl eher dem Bild mit dem Titel „Rheinromantik verkehrt“ zugedacht, das plakativ aufs leidige Problem des Eisenbahnverkehrs hinweist. Darauf reduziert ein wuchtiger Güterzug im Vordergrund die zierliche Silhouette von Schloss Stolzenfels mitsamt umgebender Landschaft dahinter zur schieren Belanglosigkeit. Das Foto mit Schulte-Wissermann im Gedränge geht nun aber noch einen deutlichen Schritt weiter – und setzt als Schlussstein der Bild-Reihe menschenloser Landschaften einen wahrlich hammermäßigen Kontrapunkt.  Man kann das Foto schon fast als eine Art Menetekel interpretieren.

Denn, auf dem Schuwi-Bild ist plötzlich die Landschaft vollständig verschwunden; zugestellt, verdrängt, weggedrückt, ERDRÜCKT von unterhaltungsseligen Menschenmassen. Diese Assoziation wollte Hofmann-Göttig mit ziemlicher Sicherheit nicht provozieren. Aber sein Bild lässt sie zu, seine Bildfolge legt sie sogar nahe; zumindest für mich. Wie gesagt: Manchmal machen sich Werke eben selbständig, entgleiten der Absicht ihres Schöpfers. Goethes „Zauberlehrling“ lässt grüßen.

Warum hat der Fotograf ausgerechnet dieses oder jenes Motiv fotografiert? Warum dieses oder jenes Foto für die Ausstellung ausgewählt? Was will er dem Betrachter sagen? Diese Fragen lassen sich an jedes einzelne Bild stellen. Natürlich hätte ich den Herrn Staatssekretär dazu vorher interviewen können und Ihnen an dieser Stelle dann seine Intentionen der Reihe nach referieren. Allerdings hätte ich uns auf dies Weise einen der Hauptgenüsse jedweden Ausstellungsbesuches verdorben: das Rätselraten – sowie die frei assoziierende Interpretation durch den Betrachter.

Im Umgang mit den Künsten ist die Frage, „was will der Künstler mir sagen?“, ohnehin eine der heute am meisten verbreiteten Haltungen. Leider! Denn sie wird von Passivität gekennzeichnet: Hier stehe ich und warte, dass du verehrter Künstler mir etwas herbringst oder mitgibst! Diese Konsumentenhaltung ist eines der größten und dauerhaftesten Fehlverständnisse von Kunst überhaupt. Die Betrachter-Frage müsste richtig heißen: Was sagt mir das Werk? Oder noch richtiger: Was finde ich im Werk?

Wenn Sie das auf Ihr Anschauen der Fotos von Hofmann-Göttig übertragen, stehen Ihnen gleich zwei Ebenen der Auseinandersetzung mit den Bildern zur Verfügung. Einerseits können Sie über die Intentionen des Fotografen rätseln, andererseits sich mit ihrer eigenen Anmutung herumschlagen. Ich empfehle eindringlich, mit letzterem zu  beginnen. So wie ich seit jeher empfehle, bei großen Kunstausstellungen die Lektüre des Kataloges hintan zu stellen und der persönlichen, unbelasteten Begegnung mit den Werken den Vorrang zu geben. Wobei jetzt ausdrücklich unterstrichen sei, dass ich bislang über die Frage, ob es sich bei Hofmann-Göttigs Fotos um Kunst handelt oder nicht, noch keinerlei Urteil abgegeben habe. 

Vielleicht ist der eine oder andere unter Ihnen während des bisherigen Vortrages schon über die Formulierung „Bild-Inszenierung“ gestolpert. Vielleicht halten sie diesen Begriff im Zusammenhang mit Fotos sowieso für überkanditelt. Denn was ist ein Foto? Bloß das Abbild eines Stückchens Wirklichkeit, früher gebannt auf Zelluloid, heute auf einen digitalen Chip. Spätestens an dieser Stelle würde beispielsweise Wolfgang Horbert, Gründer und Leiter der fotografischen Sammlung im Landesmuseum auf der Festung Ehrenbreitstein, unwirsch dazwischenknurren: „Unfug“! Und er würde erklären, dass Fotos niemals objektives Abbild von Realität sind, sondern dass Fotografie immer die Realität uminszeniert, verformt - verfälscht, wenn sie so wollen.

Klingt hochtrabend, ist aber eine ganz simple Sache, die man sich nur bewusst machen muss. Also: Wenn Sie merken, dass jemand einen Fotoapparat auf Sie richtet, was tun sie dann? Sie inszenieren sich. Jeder tut das, bewusst oder unbewusst. Der eine wendet sich flugs ab, weil er eigentlich gar nicht fotografiert werden will oder sich generell beziehungsweise gerade in diesem Moment für unfotogen hält. Das wäre eine Art negative Inszenierung.

Andere richten sich auf, machen ein vergnügtes oder nachdenkliches Gesicht. Wieder andere setzen sich regelrecht in Pose oder geben demonstrativ den Kasper. Alles Inszenierungen; selbst diejenigen, die geflissentlich so tun, als bemerkten sie den Fotografen gar nicht, inszenieren sich in Wahrheit. Hat sich was mit objektiver Abbildung der Realität durch Fotografie: Das Auftauchen des Fotoobjektivs verändert die Realität automatisch.

Das erst recht, wenn man sich auf die Seite des Fotografen begibt. Es muss einen Grund haben, warum Hofmann-Göttig den Loreley-Felsen von der Höhe schräg vis-a-vis aufgenommen hat, statt vom Ufer oder vom Schiff aus. Der Fotograf trifft die Wahl des Motivs, die Wahl des Ausschnitts, der Perspektive, der Zoom-Stärke, des Standortes, des Zeitpunktes, des Formats (hoch oder quer).  Womöglich wählt er auch noch zwischen verschiedenen Kameras, Objektiven oder Belichtungszeiten, zwischen Freihand-Aufnahme oder Stativstützung. Das alles sind inszenatorische Entscheidungen, die auf das letztliche Ergebnis, das Foto, Einfluss nehmen wollen. Diese Entscheidungen setzten sich früher in der Dunkelkammer fort. Heute werden die Aufnahmen am Computer nachbearbeitet,  -- was im vorliegenden Fall übrigens nicht geschehen ist. Wir sehen die Originalaufnahmen, nur vergrößert. Schließlich ist auch die Auswahl und Zusammenstellung von Bildern für eine Ausstellung selbst ein komplexer inszenatorischer Prozess. 

Nehmen sie in der Ausstellung zum Beispiel die Aufnahme von der Braubacher Marksburg. Sie sagt nichts darüber aus, dass es sich dabei um eine Höhenburg über dem Rhein handelt. Die Perspektive vom Hinterland aus ist sogar ziemlich selten – so ganz ohne Fluss, Ort und sich darüber erhebenden Burgberg erkennt man die berühmteste der Mittelrhein-Burgen kaum wieder. Aber für dieses Phänomen interessiert sich das Foto nicht wirklich. Vielmehr versucht es, als Bildkomposition an sich einfach nur schön zu sein: Ein malerisches Bauwerk hinten zwischen dunklem Forst, im Vordergrund gerahmt von einem knorrigen Ast.

Ich mag dieses Bild nicht, weil es im Gegensatz zu manch anderem in der Ausstellung so augenfällig bemüht auf den hübschen Effekt hininszeniert wurde. Man kann geradezu sehen, wie der Fotograf mit dem Sucher vor Augen unablässig vorwärts und zurück, nach links und nach rechts tänzelt, bis er quasi über Kimme und Korn eine Ideallinie zwischen Burg, Ast und Kamera gefunden hat. Ich denke mir bei diesem Bild lieber den Ast weg – und erhalte dann ein sehr schlichtes Motiv, das aber wieder Geheimnisse birgt.

Mir gefällt das Foto vom Loreley-Felsen wegen seiner Ehrlichkeit. Es tut nicht so, als zeige es eines der sieben Weltwunder her. Und es versucht auch gar nicht erst, wild-romantische Vorstellungen zu bedienen, für die es nach Bändigung des Flusses heute keine reale Grundlage mehr gibt. Wenn Sie mal sehr alte Fotos vom Loreley-Bogen betrachten, also Aufnahmen aus einer Zeit, als noch nicht alle Klippen weggesprengt und Stromschnellen beseitigt waren, dann  wissen Sie, was gemeint ist. Ich mag das Bild von der Pfalz bei Kaub, weil es weder eine spektakuläre Perspektive sucht, noch sich seiner dunstigen Trübheit schämt.           
      
So durch die Ausstellung wandernd, kommt der Kulturkritiker – erwartungsgemäß - erstmal zu keinem eindeutigen Urteil; außer diesem: Da hat einer fotografiert und nicht bloß geknipst. Woraus sich fast zwangsläufig die Frage ableitet, ob diese Bilder Kunst sind oder nicht. Seit das Fotografieren technisch so einfach geworden ist, laufen unzählige Zeitgenossen mit dem Fotoapparat in der Welt herum, die sich für Künstler halten. Hofmann-Göttig selbst erhebt keinen Kunst-Anspruch. Er nennt seine Ausstellung „Fotodokumentation“. Die kühle Sachlichkeit dieser  Bezeichnung wird allerdings mit dem Titel „Inside Welterbe Oberes Mittelrheintal“ relativiert.  Denn das Wörtchen „inside“ kann als simples „innerhalb“ im räumlichen Sinn aufgefasst werden kann, aber eben auch als „innerlich“ im Sinne von Befindlichkeit, von Seelenzustand.

Und tatsächlich sind diese Fotos ja auch mehr als bloß sachliche Dokumente vom Mittelrheintal. Ihr Charakter als subjektive Impression ist ebenso unverkennbar wie ein inhaltliches und zugleich bildgestalterisches Wollen auf Seiten des Fotografen. Weshalb diese  fotografische Liebeserklärung an den Mittelrhein durchaus ihre schöpferischen und kreativen Dimensionen hat. Sie deshalb gleich stracks in den Rang hoher Kunst zu erheben, wäre indes bloß wohlfeil und gefällig. Darin käme nur zum Ausdruck, dass man die private Foto-Passion des Joachim Hofmann-Göttig nicht wirklich ernst nimmt.

Solch eine Art von Herablassung durch willkürliche Überhöhung hätten weder der ambitionierte Freizeit-Fotograf noch seine Liebe zum Sujet Mittelrheintal verdient. Mich freut es jedes Mal, wenn ich Menschen treffe, die ihre kreativen Impulse ausleben; ob professionell oder als Hobby, sei es im stillen Kämmerlein, im kleinen Kreis oder in aller Öffentlichkeit. So reich wie diese, sind nicht viele. Und wenn unser Herr Kulturstaatssekretär auch noch privat seine private Passion zur Förderung des Mittelrheintales in die Waagschale wirft, dann ist das aller Ehren wert.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

                                                                                         Andreas Pecht
  
Ausstellung, "Inside Welterbe Oberes Mittelrheintal", Fotos von Joachim Hofmann-Göttig, Vortrag/Einführung         
 
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