Kritiken Theater
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2008-09-15 Schauspielkritik:

"Hamlet" am Staatstheater Mainz: Eine heutige Politposse vor laufender Kamera

 

Der Prinz verzweifelt im
Sitzungssaal der Regierung
 
ape. Mainz. Nach fünf Opern-Stunden „Parsifal“ am Vorabend startete auch die Schauspielsparte des Mainzer Staatstheaters mit einem klassischen Schwergewicht in die neue Spielzeit: William Shakespeares „Hamlet“. Die gut dreistündige Produktion wogt hin und her zwischen phasenweise starkem Tragödienspiel und einigen interessanten Ideen, Effekthuberei und Mummenschanz. Am Ende gibt es kräftigen Beifall, was die Beurteilung der ersten Mainzer Regiearbeit von Barbara-David Brüesch nicht einfacher macht.

Der alte König ist tot. Er hinterlässt Reich, Eheweib Gertrud und Sohn Hamlet. Des Königs Bruder Claudius tritt unverzüglich die Nachfolge auf dem Thron und im Bett der Königin-Witwe an. Worüber Prinz Hamlet außer sich gerät: Wegen der Mutter „Verrat“ am Vater, und weil er dahinter kommt, dass der neue Herrscher den vorherigen gemeuchelt hat. So geht’s zu in den Zentren der Macht, ehedem und bis in unsere Tage weiter. Weshalb diese Inszenierung das Stück gleich vollends in den Ministersaal einer Gegenwartsregierung verlegt.

Bühnenbildner Damian Hitz hat auf blauen UN-Teppich mit Weltkarte ein edel-modernes Sitzungshalbrund gestellt, ausgestattet mit den Werkzeugen zeitgenössischer Politik: Mikrofone, Telefone, Laptops. Darüber Bildschirme, auf die eine Kamera überträgt, was sie im Saal aufnimmt. Will sagen: Hier und heute ist das Private ebenso politisch wie die Staatsgeschäfte, und sind Politik nebst Politikerschicksal in erster Linie öffentliche Inszenierung. Konsequenter Weise wird der „Hamlet“ deshalb in Mainz nicht im Guckkasten gespielt, sondern auf offener Szene inmitten allen Volkes.

Grinsgesichtige Macher-Posen, Krokodilstränen und herrschaftlich Familiäres – Gregor Trakis und Verena Bukal zelebrieren als Claudius und Gertrud Parteitagsglanz nach Manier „Yes, we can!“. Politik und Leben werden als Show gegeben, dazu der König nach Gutdünken die Applausmaschine per Fernbedienung ein- oder ausschaltet. Und die Kamera hält gnadenlos drauf: Noch die bittersten Privatmomente geraten hier zum öffentlich verhandelten Skandalon. „Hamlet“ als durch alle Mühlen der klatschseligen Mediengesellschaft genudelter Fall.

Diesem Regiekonzept lässt sich eine Weile mit Interesse folgen. Bis dorthin, wo Shakespeare in die Tiefen des gebeutelten Ichs vordringt. Tim Breyvogels Hamlet zwischen Verlassenheit und Rachewahn, Katharina Knaps Ophelia zwischen Liebeshoffen und Verlorenheit: In der zweiten Abendhälfte macht sich mit dem intensiven Spiel der beiden das Stück selbständig, behauptet es seine universell humane Dimension nötigenfalls gegen das Regiebemühen um neuinterpretatorische Modernität.

Dass Ophelia durch die Zuschauerreihen kraxeln muss, sich dann in einem Trinkwasser-Spender ersäuft – das sind Effekte, die keiner braucht, die aber die Ophelia-Tragik auch nicht totkriegen. Dass Hamlet sich anbei mit lachhaften Geistern herumplagen muss, in die sich die Hofgesellschaft durch Überziehen von Vorhängen und Regenjacken verwandelt – das ist Mummenschanz, ebenso Personal-sparend und übermütig wie Shakespeare nicht aus der Fassung bringend.

Die Mainzer Inszenierung hat dem „Hamlet“ einige trefflich ätzende Fingerzeige auf die Gegenwart des Politikgeschäftes abgerungen. Ansonsten jedoch konnte allerhand kurzweiliger Regie-Spökes dem Shakespeare-Riesen herzlich wenig hinzufügen, aber eben auch herzlich wenig anhaben.
                                                                                        Andreas Pecht

Karten/Infos: www.staatstheater-mainz.de

(Erstabdruck am 16. September 2008)

 
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