Kritiken Theater
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2008-10-13 Ballettkritik:

Anthony Taylor choreografierte solide „Spare Parts“ in Kammerspielen Koblenz– Golovatskaia überragend

 
Kleiner Ballettabend nicht nur
aus „Ersatzteilen“

 
ape. Koblenz.  In den Kammerspielen des Theaters Koblenz wird selten getanzt. Der Raum bleiben beengt, selbst wenn alles rausgeräumt ist und nur zwei Podeste für kleines Publikum eine leere Fläche flankieren. Klein folglich auch der Ballettabend, den Anthony Taylor dorthin choreografiert hat, weil im Großen Haus noch immer die Handwerker zugange sind: 70 pausenlose Minuten im Kammerformat unter dem durchaus seltsamen Titel „Spare Parts“, also Ersatzteile.

DÜber die Bezeichnung "Ersatzteile" ließe sich philosophieren. Meint sie übrig gebliebenes Material? Oder verweist sie bloß auf den Zwischenspiel-Charakter dieser Reihung von sieben Tanzminiaturen? Wie dem auch sei: Handlungsballett gibt es diesmal keines, dafür Tanz pur auf Armeslänge Distanz zwischen Akteuren und Zusehern. Das hat was, man sieht allerhand, das einem auf ferner Bühne entgeht.

Zum Auftakt eine folklorstische Ensemble-Nummer. Kreiseln, Springen, Tändeln, Turteln: Das ist einer der luftigen Taylor-Standards seit Jahrzehnten. Nur dass den Paaren hier über die minimalistischen Endlosreihen von Pelècis’ „Neujahrsmusik“ die Festlaune vergeht. Irgendetwas treibt dem Tanzvolk unterwegs  das Lachen vom Mund und Bitterfalten auf die Stirn. Die Ursache entgeht uns leider. Wir erleben nur das Phänomen, dass veränderte Physiognomie weitgehend unveränderten Tanzfiguren neuen Inhalt verleiht.

Verblüffend, keine Frage. Aber eigentlich interessiert gerade beim zeitgenössischen Ballett weder Miene noch Pantomime, sondern der Ausdruck des Körpers selbst. Und an diesem Abend soll es um Moderne gehen: Schon Taylors Musikauswahl ist danach.  Was Olga Bojkova-Bicanic am Piano verlässlich einspielt, stammt von Pärt, Rabinovitch, Mansurian oder Silvestrov, also von heute oder von eben.

Mit zwei engagierten Pas de Deux greifen Melanie Bürkle und Alexej Lukaschevich den ernst gewordenen Anfang auf. Nun geht es um verzweifelte Liebe, Krankheit und Sorge. Das sind auf Eindringlichkeit angelegte, sehr ordentliche  Passagen, die allerdings den Schritt von der engagierten Tanzvorführung zum Seelenausdruck nicht ganz schaffen.

Das gelingt erst Irina Golovatskaia, die auch nach Mutterschaft und längerer Verletzung in dieser Compagnie eine Klasse für sich ist.  Warum?  Vor allem, weil sie meint, was sie zeigt. Weil bei ihr eine Figur nie nur Figur oder Symbol ist, sondern direkter Ausdruck von etwas Innerem. Weil dieses Innere nie nur schwarz oder weiß ist, sondern beides in diversen Abstufungen beinhaltet. Und, weil diese Tänzerin über die Mittel verfügt, Ambivalenzen gleichzeitig auszudrücken, dabei die Grenzen des klassischen Stilrepertoires auch souverän überschreitet.

Kraft und Furcht, forderndes Begehren und Schmiegsamkeit, existenzieller Ernst und mädchenhafte Verspieltheit verbindet die Golovatskaia zu Wahrheit. So aus Kammerspiel-Nähe betrachtet wird deutlich, dass es ein Geflecht aus oft nur winzigen Nuancen ist, das ihrem Beitrag ganz eigene Ausdruckskraft gibt und als beseeltes Glanzstück aus einem ansonten soliden Abend hervorhebt.                                                              Andreas Pecht

(Erstabdruck am 14. Oktober 2008)


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