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2008-11-09 Vortrag:

Ein ziemlich pessimistischer Beitrag zum
großen Dilemma der Klimaproblematik

 

Frisst Wachstum den Klimaschutz weg?

 
ape. Der nachfolgende Text ist das (unkorrigierte) Manuskript eines Vortrages, den ich am  8. November 2008 im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung  unter dem Titel "Klimawandel - Katastrophe oder Chance?" bei den Marienberger Seminaren gehalten habe.
 
Meine sehr verehrten Damen und Herrn,

nur zu gerne würde auch ich ausrufen: „Yes, we can!“, wir können es schaffen, können die Klimaerwärmung eindämmen, begrenzen, auf Dauer vielleicht sogar ganz stoppen. Doch so viele gute Nachrichten und hoffnungsvolle Aussichten wie mein hoch geschätzter Vorredner kann ich Ihnen während der nächsten 50 Minuten leider nicht bieten. Denn ich traue zwar Individuen und kleinen Personengruppen ein hohes Maß an Vernunft zu. Die menschliche Spezies als ganzes jedoch scheint mir zu vernünftigem Verhalten außerstande. Ich fürchte, der Philosoph Peter Sloterdijk hat recht, wenn er sagt: Die einzige Warnung vor dem Weltuntergang, die die Menschheit wirklich ernst nehmen würde, ist der Weltuntergang selbst.

Mir fällt bei dieser Veranstaltung die Rolle der Katastrophen-Kassandra zu. Eine Rolle, die ich freiwillig spiele, weil ich mir im Zusammenhang mit der Klimaproblematik gar keine andere vorstellen kann, außer vielleicht noch diejenige des Satirikers. Denn bei näherer Betrachtung der Umstände bleibt – trotz mannigfach positiver Ansätze im Einzelnen – generelle Skepsis, was den schlussendlichen Willen zu einer grundlegenden und  umfassend durchgreifenden Weichenstellung in Richtung Klimaschutz angeht. Wobei Skepsis eher ein verharmlosender Begriff ist. Meine persönliche Einschätzung der Situation lässt sich am besten so umschreiben: Die Lage ist ernst, aber auch hoffnungslos. Oder noch anders ausgedrückt: Nach meinem Dafürhalten hat der Homo sapiens als dominierende Spezies auf diesem Planeten keine allzu große Zukunft mehr. Dies gilt bis zum Beweis des Gegenteils – von dem ich mich zu gern überzeugen lassen würde.


Ich will zu Beginn drei Aspekte kurz anreißen, deren Dimension alle vielleicht gut gemeinten Anstrengungen in Richtung Klimaschutz unterlaufen.

1.
Anders als die hektische und lauthalse Betriebsamkeit auf dem nationalen und internationalen Parkett der Umweltpolitik suggeriert, wächst die CO2-Konzentration in der Atmosphäre schneller denn je.

2.
Das global dominante Wirtschaftssystem kennt nur eine Maxime, an der es auf Gedeih und Verderb hängt: Wachstum.

3.
Die Erde war noch nie so dicht besiedelt wie heute;  – und die Übervölkerung nimmt weiter rapide zu.

Betrachten wir uns diese drei Aspekte nun etwas genauer:

ad 1. CO2-Konzentration:

Trotz aller bisherigen Bemühungen um Begrenzung oder gar Reduktion des globalen CO2-Ausstoßes, hat dieser noch niemals so hohe Zuwachsraten verzeichnet wie just im Augenblick. Vor acht Wochen haben  Klimawissenschaftler (des Global Carbon Projekts) eine neue Studie zur CO2-Entwicklung veröffentlicht. Darin wird festgestellt:  2007 stieg der Anteil des Kohlendioxids in der Atmosphäre um 2,2 Teile pro Million (ppm). Im Vorjahr hatte der Anstieg noch 1,8 ppm betragen. Seit dem Jahr 2000 sei der CO2-Anteil in der Atmosphäre vier Mal schneller gestiegen als im Jahrzehnt davor. Damit liegt die Zuwachsrate noch über dem schlimmsten vom Weltklimarat IPCC prognostizierten Szenario.

Der Studie zufolge weist die Kohlendioxid-Konzentration der Atmosphäre derzeit einen Wert aus, der um 37 Prozent über dem Bezugsjahr 1750 liegt. Das sei die erwiesenermaßen höchste Konzentration in den zurückliegenden 650 000 Jahren, so die Wissenschaftler. Sie nehmen sogar an, ohne es bislang letztgültig beweisen zu können, dass die jetzige Konzentration der Spitzenwert für die letzten 20 Million Jahre ist. Tendenz? Beschleunigte Zunahme des CO2-Gehalts in der Atmosphäre. Warum ist das so?  Weil einerseits die von Menschen verursachten Kohlendioxid-Emissionen stetig zunehmen und weil andererseits zeitgleich die Fähigkeit von Meeren, Wäldern und anderen Grünflächen, CO2 zu speichern, signifikant abnimmt. Bis vor wenigen Jahren absorbierte die erdnahe Natur immerhin 50 Prozent des zivilisatorischen CO2. Heute sind es nur noch 45 Prozent.

Zwei der Gründe für die jetzt sinkende Absorbtionsfähigkeit der Landflächen liegen auch für Laien unübersehbar auf der Hand: Abholzung  der Wälder, derzeit vor allem der tropischen Regenwälder, sowie Urbanisierung, also Betonierung vormaliger Pflanzenräume. Eine Messzahl für den Grad der Urbanisierung will ich nennen, weil sie zugleich einen einzigartigen kulturellen Umbruchpunkt in der Menschheitsgeschichte markiert: 2008 lebten auf Erden erstmals mehr Menschen in Städten als auf dem Land.

Mit der CO2-Bindefähigkeit der Meere ist es etwas komplizierter. Ich will das jetzt nicht in seinen chemischen Einzelheiten aufdröseln, zumal wahrscheinlich jeder Chemielehrer davon mehr versteht als ich. Nur so viel: Den größten Anteil des globalen CO2 speichern die Ozeane. Aber: Je mehr sie speichern müssen, umso weniger können sie schließlich speichern. Der ph-Wert des Meerwassers wird zu hoch, die Ozeane versauern; je saurer das Wasser, umso weniger CO2 nimmt es auf. Und je weniger CO2 in Wasser gebunden werden kann, umso stärker wirkt es als Gas in der Atmosphäre am anthropogenen Treibhauseffekt mit. Dieser wiederum führt zur Erwärmung der Meere. Und je wärmer Wasser ist, umso schlechter kann es CO2 binden. Wir haben es zurzeit mit beiden Effekten zu tun: die irdischen Gewässer werden gleichzeitig wärmer und saurer. Folge: Ihre Absorbtionsfähigkeit für CO2 hat um 5 Prozent abgenommen.

Abnehmende Bindefähigkeit der Gewässer für CO2 und atmosphärischer Treibhauseffekt sind zwei Phänomene, die sich wechselseitig aufschaukeln. Und das noch immer mit zunehmender, statt mit abnehmender Geschwindigkeit.

Ad 2.: Wirtschaftswachstum

Nun zum zweiten Aspekt, aus dem sich meine Skepsis oder mein Pessimismus hinsichtlich einer Entwicklung hin zu effektivem Klimaschutz speist:  Der Wachstumsdrang oder Wachstumszwang der kapitalistischen Weltwirtschaft. (In diesen Tagen darf man sie durchaus wieder beim wahren Namen rufen, ohne gleich in Verruf zu geraten). Vor dem Hintergrund der aktuellen ökonomischen Krise wird gebetsmühlenartig der Spruch wiederholt: Wir brauchen Wachstum. Nimmt man den Diskurs der allerjüngsten Zeit zusammen, dann sagen die Großen der Welt etwa dieses: Klimaschutz bleibt wichtig, aber wirtschaftliches Wachstum ist jetzt dringender.

Meine Damen und Herrn,
was heißt das, Wachstum? Das heißt vor allem, dass in kürzerer Zeit mehr Produkte und Dienstleistungen hergestellt respektive angeboten, gehandelt sowie vor allem gekauft und konsumiert werden als zuvor. Wachstum bedeutet zugleich steigenden Verbrauch von Ressourcen aller Art, egal ob Erde, Wasser und Luft, ob Mineralien, Holz, Erze oder Brennstoffe. Es mag vielfach so sein, dass dank technischer Innovationen der Ressourcenverbrauch bei Produktion und Nutzung neuer Güter weniger stark zunimmt als die Menge der neuen Güter. Steigen tut er im Regelfall dennoch. 

Beispiel Automobil:
Westeuropäische Autos des Baujahres 2007 verbrauchen beim Fahrbetrieb im Durchschnitt weniger als die Hälfte an Benzin als ihre Vorgänger aus den 1960er-Jahren. Die Automobilhersteller verweisen gerne auch auf den ebenfalls gesunkenen Energieverbrauch und Materialeinsatz in ihren Fabriken. Und natürlich verweisen sie mit Nachdruck auf den beträchtlich verminderten Abgasausstoß pro Kilogramm bewegtes Auto.

Wäre die Natur ein empfindsames Wesen, sie würde jetzt wohl ungerührt die Schultern zucken oder uns den Vogel zeigen. Denn für sie und ihre Gesundheit sind all diese stolzen Meldungen über RELATIVE Verbesserungen völlig bedeutungslos. Die Natur interessiert sich einzig und allein für absolute Zahlen, für die Summe unterm Strich. Was für unsere Automobilrechnung heißt: Sie ist eine Milchmädchenrechnung.

Denn:
–    Was kommt unterm Strich heraus, wenn der Benzinverbrauch pro Fahrzeug zwar halbiert wurde, die Zahl der Autos auf europäischen Straßen sich seit 1960 aber nahezu versechsfacht hat? In Summa eine Verdreifachung des Gesamt-Benzinverbrauches im Land gegenüber 1960.

–    Was kommt unterm Strich heraus, wenn die automobile Endfabrikation in Ingolstadt, Rüsselsheim oder Köln zwar energie- und materialsparsamer von statten geht – das aber nur, weil ein Großteil der Komponentenproduktion zu Fremdfirmen ausgelagert wurde? U.a. mit dem Ergebnis, dass heutzutage zehntausende von LKW Millionen von Kilometern durch die Landschaft kurven, um Einzelteile für die Autoproduktion hin- und herzufahren.

–    Was kommt unterm Strich heraus, wenn der Materialeinsatz für einzelne Auto-Komponenten sinkt, in einem modernen Auto aber zehn mal so viele Teile drinstecken wie in einem alten?
   
–    Was kommt heraus, wenn im Vergleich zwischen Kleinwagen und Oberklasse der Schadstoffausstoß pro Kilogramm bewegtes Großauto zwar ein Drittel unter dem des kleinen liegt, der große aber zwei bis vier mal so schwer ist wie der kleine?
–   
Unterm Strich kommt Wachstum heraus: Wirtschaftliches Wachstum, das zwangsweise einhergeht mit Wachstum des Ressourcenverbrauches.

Was erst wird unterm Strich herauskommen, wenn sich diverse irrwitzige  Wachstumsträume für die nähere Zukunft tatsächlich erfüllen sollten? Wenn – um beim Beispiel Auto zu bleiben – die derzeitige globale Automobilisierungsrate sich von rund 10 % stramm in Richtung der deutschen Rate von 61% bewegt? Bei uns kommen auf 80 Millionen Einwohner 49 Millionen Autos (davon 41 Millionen PKW). Weltweit kommen im Augenblick auf 7 Milliarden Menschen ungefähr 700 Millionen Autos. Prognosen der UNO und diverser Institute gehen aus von einem Anwachsen des weltweiten Autobestandes auf 2 bis 3 Milliarden bis zum Jahr 2050. Das würde eine Verdoppelung bis Vervierfachung des Bedarfs an allem bedeuten, was für Autos und Straßenverkehr benötigt wird: Metall, Kunststoff, Gummi, Glas, Lack etc.; Produktionsenergie und Betriebsenergie, also Strom und Sprit.

Glaubt tatsächlich irgendjemand ernsthaft, einen ökonomischen Wachstumsschub solch gewaltiger Dimension in der ökologischen Bilanz mit ein paar technischen Innovationen ausgleichen zu können?

Spielen wir für einen Moment mal Traumtänzer und nehmen an, das Auto der Zukunft bräuchte zum Fahren überhaupt keine Energie mehr und stieße auch keinerlei schmutzige Abgase mehr aus. Allein der verbleibende Aufwand zur Herstellung von 3 Milliarden Autos und die Einrichtung der für ihre Nutzung benötigten Straßen-Infrastruktur wäre eine ökologische Katastrophe.

Über die Mär von der "emissionsfreien Mobilizät"
   
Und wenn wir schon mal beim automobilen Verkehr sind, möchte ich gleich noch mit einer anderen, überaus beliebten Milchmädchenrechnung aufräumen. Die Daimler Benz AG fährt zurzeit in überregionalen Zeitungen eine Image-Kampagne, mit der sie sich als Pionier in Sachen Umweltschutz vorstellt.  (Wie überhaupt die deutsche Industrie groß ist in solchen Kampagnen). Angepriesen wird von Daimler ein in Entwicklung befindlicher Elektro-Mercedes, der die Tür zum Zeitalter der „emissionsfreien Mobilität“ öffnen soll.

Ich will mich jetzt nicht über den Humbug dieser Formulierung auslassen – so etwas wie „emissionsfreie Mobilität“ ist naturgesetzlich unmöglich, solange nicht nackte Menschen allein mittels Geisteskraft durch die Lüfte fliegen. Ich will  jetzt auch nicht über das schlafmützige Hinterhertraben der Firma Daimler (oder BMW oder Audi) in Sachen Elektroauto und  anderer Umwelttechniken lamentieren.  Ich will ebenso wenig sprechen über das verlogene Verschweigen all der Ressourcen- und Umwelt-Probleme, die für Batterien und Brennstoffzellen noch ungelöst sind. Es geht mir vielmehr um eine Grafik unter der Überschrift „Woher stammt das CO2“, die im Rahmen dieser Image-Kampagne benutzt wird.

Darin werden die weltweit von Menschen verursachten Kohlendioxid-Emissionen nach Verursachersegmenten aufgeschlüsselt. Für den Straßenverkehr sind in dieser Grafik 18%  Emissionsanteil verbucht.  Für Deutschland beziffert die Bundesregierung den Anteil des Straßenverkehrs an den inländischen CO2-Emissionen aktuell auf  20 %.  Diese Zahlen scheinen so schon ziemlich hoch. In Wahrheit allerdings sagen sie überhaupt nichts aus über die tatsächlichen CO2-Emissionen, die zwecks und dank des Straßenverkehrs entstehen. Die sind nämlich wesentlich höher!

Die gängigen Angaben für den CO2-Anteil des Straßenverkehrs enthalten nämlich nicht die Emissionen, die bei  Gewinnung und Transport der Rohstoffe und Halbfertigprodukte für die Autoproduktion anfallen. Nicht enthalten sind auch die Emissionen der automobilen Endproduktion. Nicht enthalten sind die Emissionen, die bei Gewinnung, Veredelung, Transport und Endhandel von Treib- und Schmierstoffen anfallen. Nicht enthalten sind die Emissionen, die bei der Entsorgung von Altautos anfallen. Und vor allem ist nicht eingerechnet, wie viel CO2  bei der Errichtung und beim Unterhalt des gewaltigen Straßen-Netzes entsteht. Viele zehntausend Kilometer asphaltierte Pisten von der 8-spurigen Autobahn bis zum schmalen Landsträßchen schlagen mit wieviel Prozent in der CO2-Bilanz zu buche? Das wüsste man gerne, es ist aber nirgends bilanziert.
 
Ergo: Was wir durch den Auspuff jagen, ist nur der Gipfel des Eisberges. Da wird ständig und womöglich mit System selektiv und somit unsauber bilanziert. Und  die automobilen Milchmädchenrechnungen sind nur einige von vielen. Was wird mit dieser Schönrechnerei bezweckt? Ich unterstelle: Es soll die Illusion aufrecht werden, Klimaschutz und Beibehaltung der westlich-industriellen Wachstums-Lebensweise seien problemlos miteinander vereinbar. Das wird nicht funktionieren, weil die Naturgesetze sich um die trickreichen Rechnungen der Menschen einen Dreck scheren.

Das Wachstum der Schwellenländer                  

Im Jahr 2007 überstiegen die CO2-Emissionen der Schwellenländer erstmals diejenigen der Industrieländer der Ersten Welt. 53 Prozent der globalen CO2-Emissionen stammen aus Schwellenländern; deren wirtschaftlich größte sind China, Indien, Indonesien und Brasilien. Im direkten Vergleich  zwischen China und den USA sieht das folgendermaßen aus: China emittierte 2007 rund 1,8 Milliarden Tonnen Kohlendioxid, die USA 1,6 Milliarden Tonnen.

Somit könnte China nach absoluten Zahlen als Umweltverschmutzer Nr. 1 bezeichnet werden. Nun wissen wir aber alle, dass das hochgradig ungerecht wäre, leben und arbeiten in China doch fast fünf mal so viele Menschen wie in den USA. Die Amerikaner stellen nur 4,5 Prozent der

Weltbevölkerung, ihr Anteil am globalen Energieverbrauch beträgt jedoch fast 22 Prozent.  Demgegenüber stellen die Chinesen 20 Prozent der Weltbevölkerung, die mit knapp 17 Prozent am weltweiten Energieverbrauch beteiligt sind. Will heißen: Der Energieverbrauch eines Amerikaners liegt um ein Vielfaches über demjenigen eines Chinesen, der auf ihn entfallende CO2-Anteil ebenfalls: Fünf Tonnen CO2-Emission pro US-Kopf stehen 1,2 Tonnen je China-Kopf und Jahr gegenüber. An dieser Stelle wenden Amerikaner gern ein: Dafür schaffen wir aber auch 22 % des Welt-Bruttosozialproduktes, China nur knapp 11 %. Die Chinesen kontern dann: Ihr Amerikaner spuckt pro Kopf fünf Mal soviel CO2 aus wie wir und schafft damit doch nur ein doppelt so hohes Bruttosozialprodukt wie wir. Wer ist denn da der größere Verschwender und Verschmutzer? 

Das sind so Rechnungen, für die sich die Natur überhaupt nicht interessiert. Rechnungen, wie wir Menschen sie für den internationalen Polit-Basar machen. Wohl auch machen müssen, weil Ökologie und Ökonomie auf unserer Erde eben stets auch Macht- und Sozialpolitik sind.    Und tatsächlich: Wer wollte mit welchem Recht den Schwellen- und Drittweltländern verwehren, ebenfalls nach unserem Lebensstandard zu streben.

Ad 3.: Übervölkerung der Erde

Womit wir beim dritten Grund wären, warum ich mit einer Wendung der Menschheit hin zu tatsächlich wirksamem Klimaschutz eher nicht rechne: Der Übervölkerung des Planeten.

Machen wir uns nichts vor: Von 7 Milliarden Menschen ersehnen mindestens 4 Milliarden nur eines – möglichst bald so gut zu leben wie die eine Milliarde Bewohner der alten Industrieländern. Die verbleibenden 2 Milliarden Menschen der ärmsten Schichten wären vorerst mit zwei gesicherten Mahlzeiten am Tag und einem Dach über dem Kopf zufrieden. Wobei wir in nicht einmal 15 Jahren die Rechnung wieder ganz neu aufmachen müssen, weil dann nämlich schon 8 Milliarden Menschen auf der Erde leben werden. Die UNO rechnet bis 2050 mit einer Globalbevölkerung von 10 Milliarden. Was immer wir vielleicht bei gutem Willen und politischer Entschlossenheit  an Ressourcenschonung und Umweltschutz auf den Weg brächten, das Bevölkerungswachstum würde jeden Fortschritt alsbald wieder wegfressen.

Dies umso mehr, als wir es mit zwei verschiedenen, aber gleichzeitig stattfindenden Arten von Bevölkerungswachstum zu tun haben:

1.    die absolute Bevölkerungszunahme durch die im Weltmaßstab nach wie vor sehr hohe Geburtenrate bei gleichzeitig sinkender Sterberate.

2.    Eine Art relativer Bevölkerungszunahme, gemessen am Ressourcenverbrauch und resultierend aus zunehmender Industrialisierung und wachsendem Lebenstandard. Beispielrechnunge: Wenn es 10 Millionen chinesischen Bauern gelingt, zum durchschnittlichen Lebensstandard der deutschen Gesellschaft aufzusteigen, so sind das zwar noch immer 10 Millionen Chinesen, aber sie verbrauchen dann eine Ressourcenmenge, wie sie zuvor vielleicht 100 oder 150 Millionen arme China-Bauern verbrauchten. Sie können sich dieses relative Bevölkerungswachstum ebenso gut verdeutlichen anhand eines Vergleiches zwischen Ihrem Ressourcenbedarf und dem Verbrauch ihres Urgroßvaters um 1900. Wenn Sie sauber bilanzieren und alle Lebensbereiche vom Wasser- und Stromverbrauch über Kleidung, Nahrung, Wohnung bis hin zu Transport, Kommunikation und Unterhaltung einrechnen, dürfte Ihr Ressourcenverbrauch etwa um das 500-fache höher liegen als derjenige der Altvorderen.

Es ist in hohem Maße irritierend, dass die Klimadiskussion den Faktor Bevölkerungswachstum weitgehend ausklammert. Und das, obwohl dieser Faktor nicht nur fast alle Klimaschutzbemühungen ins Leere laufen lässt, sondern zugleich sämtliche Folgewirkungen des Klimawandels verschärft – von der Trinkwasserverknappung über die Ackerflächenverknappung bis hin zur Verknappung von Siedlungsraum infolge des Meeresspiegelanstieges.

Klimawandel als Glaubensfrage

Meine Damen und Herrn,
Sie haben sicher bemerkt: Ich bin bis hierher stillschweigend von der Grundannahme ausgegangen, dass die Klimaerwärmung stattfindet und dass der von Menschen verursachte CO2-Ausstoß eine wesentliche Ursache dafür ist. In der Tat deute ich die derzeit vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse über das aktuelle und tendenzielle Klimageschehen genau so.

Nun hat aber die Klimadiskussion von Anfang an Züge eines schieren  Glaubenskrieges getragen - trägt sie bis heute; wenngleich die Anhängerschaften der diversen Konfessionen nach Zahl und Zusammensetzung sich mittlerweile gehörig umgeschichtet haben. Ich will die vielfältigen Meinungsströmungen mal auf drei Hauptgruppen reduzieren.

Gruppe 1:
Beginnen wir mit der heute wohl kleinsten Gruppe, die freilich noch bis Mitte der 1990er-Jahre die mit Abstand größte war: Gemeint sind diejenigen Zeitgenossen, die den Klimawandel schlichtweg für ein Hirngespinst halten.

Gruppe 2:
In der zweiten Gruppe sind Menschen versammelt, die die Existenz des Klimawandels zwar zugestehen, ihn aber für ein völlig natürliches, zyklisch wiederkehrendes Phänomen halten, das der Mensch weder verursacht hat noch irgendwie beeinflussen kann.

Gruppe 3:
Die dritte und heute größte Gruppe repräsentiert als Mainstream gewissermaßen den wissenschaftlichen Minimalkonsens. Der da heißt: Beim derzeitigen Klimawandel treffen eine natürliche Warmphase und vom Menschen verursachter Treibhauseffekt zusammen.  Hinsichtlich der Gewichtung beider Faktoren gehen die Meinungen auch unter den Wissenschaftlern weit auseinander. Mehrheitliche Übereinstimmung  gibt es allerdings darüber, dass zur Schwere der Klimaveränderung und zur Geschwindigkeit ihres Vormarsches die Industriezivilisation während der vergangenen 200 Jahre maßgeblich beigetragen hat und weiter beiträgt. Woraus der Schluss gezogen wird: Klimaschutz ist eine Option menschlichen Handelns, Begrenzung des aktuellen Klimawandels liegt in unserer Macht. Wir müssen nur wollen.

Was die ersten beiden Gruppen angeht, so müssen diese die ganze Klimadiskussion für bloße Massenhysterie halten und die Mehrheit der weltweiten Wissenschaftselite für eine Schafherde, die blind einem Herdentrieb folgt. Oder aber, sie halten die Wissenschaftler für korrupte Lumpen, die zu Tausenden von der Umwelttechnik-Wirtschaft geschmiert wurden. Solche Einschätzungen scheinen abwegig, sind es m.E. angesichts der zwischenzeitlich erdrückenden Faktenlage im Falle Klimawandel auch. Dennoch verdient die vom großen Trend unbeeinflussbare Durchhalteskepsis einen gewissen Respekt. Man wäre in den zurückliegenden 25 Jahren schließlich froh gewesen, es hätte mehr Skeptiker gegeben, die unbeirrbar aufgetreten wären gegen die von allen Parteien und allen Medien gepredigte Naturgesetzlichkeit des Marktliberalismus mit seiner unseligen Versprechung:  Privatisiert alles und jedes, bringt auch den Staat selbst rasch an die Börse, dann wird alles gut.  

Wenn die Klimawandel-Skeptiker immer und immer wieder darauf hinweisen, dass die Sorge der Menschen um die Umwelt von interessierter Seite missbraucht wird, um ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen, so sind das wichtige Warnungen. Völlig aus der Luft gegriffen sind sie jedenfalls nicht. Denn leider ist keineswegs von der Hand zu weisen, dass Umwelt- und Klimaschutz häufig überhaupt nur dort voran kommen, wo gute Geschäfte damit zu machen sind. Marktliberalen Zeitgenossen gilt das als Beweis, dass der Markt der wichtigste Hebel beim Klimaschutz sei. Mit Verlaub, ein schlimmeres Armutzeugnis könnte der Homo sapiens sich gar nicht ausstellen, als dieses: Rettung der Welt kommt nur dann infrage, wenn dabei auch ordentlich was zu verdienen ist.

Wider das naive Vertrauen in den Markt

Aber auch ohne den Rückgriff auf die Humanethik bleibt die Vorstellung vom Markt als wichtigster Hebel des Klimaschutzes zumindest ziemlich naiv.
Der Markt hat nämlich eine Unart: Er interessiert sich nicht für den Gebrauchswert dessen, was produziert und gehandelt wird, sondern nur für den erzielbaren Gewinn. Der Markt lässt das Kapital dorthin wandern, wo der meiste Profit zu gewärtigen ist. Sollten das Solaranlagen und Windräder sein, gut. Sollten aber Autos, Öl-Förderung, Gen-Mais, Atomkraftwerke oder, wie gerade erlebt, Spekulationen auf heiße Finanzluft in kürzerer Zeit mehr Profit versprechen, ja dann zieht das Kapital schnurstracks eben in diese Branchen um.

Der Markt ist ein unzuverlässiger Patron, vor allem wenn es um langfristiges und/oder niedrig-profitables Engagement geht.  Das ist auch der Grund dafür, warum allenthalben von staatswegen künstliche Märkte geschaffen werden oder werden müssen.  Das war beispielsweise in der Frühphase der zivilen Kernkraftnutzung der Fall: Hätte nicht der Staat Forschung, Entwicklung, Aufbau, Infrastruktur der Kerntechnik mit zig Millarden bezuschusst, ja selbst noch die Vermarktung des Atomstroms und die Entsorgung des Atommülls subventioniert, die Stromwirtschaft wäre von selbst auf diese Energieform niemals eingestiegen. Weil: viel zu teuer und auf ziemlich lange Sicht zu wenig profitabel.

Kernenergie war vor 40 Jahren eine politisch gewollte Entwicklung – geboren aus Technikbesessenheit und dem kindlichen Glauben an eine letztlich unerschöpfliche und saubere Energiequelle. Ein Irrglaube, wie wir inzwischen wissen. Nichts desto trotz war die von exorbitant hohem Steuergeldeinsatz begleitete Weichenstellung hin zur Kernenergie Ausdruck einer zwar falschen, aber im Grundsatz legitimen  staatspolitischen Richtungsentscheidung.

Weshalb es dummes Zeug ist, heute dem Solarstrom und der Windenergie vorzuwerfen, sie könnten  nur dank der staatlichen Subventionen mit den anderen Energieformen am Markt mithalten. Natürlich ist das am Anfang so, es kann gar nicht anders sein. Zumal, wenn die indirekten Folgekosten der Energieproduktion via Kernspaltung oder Verbrennung von Kohle, Öl, Gas erst gar nicht bilanziert werden. Wenn diese indirekten Kosten der atomaren und fossilen Energieproduktion sich also nicht im Strompreis niederschlagen, sondern beispielsweise in den Budgets der Wissenschafts-, Wirtschafts-, Umwelt-, Innen-, Sozial- und Gesundheitsministerien verstecken.

Wenn der Markt und die ihn beherrschenden Großakteure von sich aus das politisch Gewünschte und/oder fürs Gedeihen des Gemeinwesens respektive das Überleben der Spezies Nötige nicht hinbekommen, dann muss der Staat die Sache in die Hand nehmen.  Der Umstieg von fossiler auf  regenerative Energieproduktion ist solch eine Sache.  Der Staat hat drei Möglichkeiten des Agierens:

a)
Er kann die Energiewirtschaft und deren Kunden direkt und/oder indirekt zwingen, sich den regenerativen Energien zuzuwenden.

b)
Er kann die Energieproduktion in eigene Regie übernehmen (verstaatlichen) und sie umbauen.

c)
Er kann den politisch gewollten Umstieg durch gezielte Anreize, Förderungen, Subventionen anstoßen und antreiben,  also eine Art künstlichen Markt erzeugen. Was derzeit in Deutschland gemacht wird, leider nur halbherzig.

Eine vierte Möglichkeit wäre: Lass alles laufen, wohin immer es läuft; der Markt wird schon irgendwas richten. Wird er gewiss. Heraus käme dann womöglich etwas der automobilen Weltordnung vergleichbares: Die aufwendigste, teuerste, ineffektivste und ökologisch katastrophalste Form der Fortbewegung und des Transports, derer  sich Menschen je bedient haben.    Man muss sich das vorstellen: Um 70 oder 80 Kilo Mensch von A nach B zu schaffen, werden Tonnen schwere Verbrennungskraftwerke auf Rädern mitbewegt. Ein so lächerliches Verhältnis zwischen Aufwand und Wirkung findet sich wohl bei keiner anderen Technik.

Einige Argumente der Klimawandel-Skeptiker
                                    
Zurück zu den Klimawandel-Skeptikern. Ihre Warnungen hinsichtlich der Geschäftemacherei sind also durchaus berechtigt. Ansonsten sind auf dieser Seite aber allerhand Argumente in Gebrauch, die – vorsichtig formuliert – kaum überzeugen können. Beispielsweise:

–    CO2 sei ein elementarer, unverzichtbarer Baustein der irdischen Natur . Das ist richtig, aber im Zusammenhang mit unserer Klimafrage völlig irrelevant. Arsen ist auch eine natürliche Substanz, ja sogar eine Medizin, die allerdings ab einer gewissen Konzentration zum tödlichen Gift wird. Auf die Menge kommt es an. Und gerade bei ökologischen Gleichgewichtssysteme können bisweilen schon ziemlich kleine Mengen von zusätzlichen Fremdeinträgen gravierende Auswirkungen haben.

–    Klimawandel habe es immer gegeben. Auch das ist richtig. Die zurückliegenden 4,6 Milliarden Jahre Erdgeschichte haben eine Menge langhubiger und kürzerer Klimazyklen gesehen. ZB die großen Eiszeiten, deren wahrscheinlich früheste vor 2,3 Milliarden Jahren begann. Sie dauerte 300 Millionen Jahre und war doch nur eine vorübergehende Unterbrechung des irdischen Normalzustandes. Und der sah während mehr als 80 % der bisherigen Erdgeschichte so aus:  Der Planet war viel wärmer, als wir es gewohnt sind, und er war rundherum eisfrei. Jawohl, Warmphasen sind auf diesem Planeten der Regelfall, Eiszeiten die Ausnahme.
    
Aber die korrekte Feststellung, dass es Klimawandel immer gegeben hat, ist für unser derzeitiges Klimaproblem ebenfalls völlig irrelevant. Denn: Die Spezies Mensch ist nunmal ein Kind des jüngsten Eiszeitalters, des Quartär. Das hat vor 2,6 Millionen Jahren begonnen UND es dauert noch an. Unsere Erde, so wie wir sie kennen, ist mit ihren eisbedeckten Polen per Definition eine Eiszeit-Erde. Wir leben in einer Eiszeit. Freilich in einer untergeordneten Warmphase innerhalb dieser Eiszeit. Solche Phasen dauern durchschnittlich 100 000 Jahre; die unsrige, das sogenannte Holozän, begann vor rund 12 000 Jahren.
   
Beachten sie bitte einmal die zeitlichen Zusammenhänge: die ersten Homonoiden, Menschenvorläufer, tauchten vor etwa 2,6 Millionen Jahren auf, also zu Beginn der Quartär-Eiszeit, deren erste Phasen man auch Altseinzeit nennt.  Wahrscheinlich war es vorher auf der Erde viel zu warm, als dass sich Homonoiden erfolgreich hätten entwickeln können. Und die Entwicklung der ersten menschlichen Hochkulturen fällt zusammen mit dem Beginn der untergeordneten Warmphase Holozän. Wahrscheinlich brauchte es zur Sesshaftwerdung einfach ein paar Wärmegrade mehr als die Altsteinzeit sie bieten konnte.
  
Das Temperaturband, innerhalb dessen eine für die Lebensform Mensch nötige Biosphäre entstehen und sich halten kann, ist eben vergleichsweise schmal.

 Auch innerhalb der 100 000-jährigen Zwischenperioden gibt es mannigfache kleinere und kürzere Klimaschwankungen. Etwa die „römisches Optimum“ genannte Mikro-Warmphase vor rund 2000 Jahren oder das „mittelalterliche Optimum“ um 900 nach Christus. Die Auswirkungen auf die Menschheitskultur waren jeweils beträchtlich, obwohl diese Schwankungen sich im Mittel NUR um 0,5 bis maximal 1 Grad Celsius Temperatur-Unterschied pro 1000 Jahre bewegten.
  
–    Das mittelalterliche Optimum reichte offenbar hin, um unseren Klimawandel-Skeptikern das vermeintlich schlagende Argument vom „grünen“ Grönland in die Hände zu spielen. Im Jahre 982 landeten die Wikinger an der Südwestküste Grönlands und besiedelten für 200 Jahre einen Teil des „grünen Landes“, wie Erik der Rote es beim ersten Anblick des eisfreien Küstenstreifens taufte.   Aus dieser Namensgebung allerdings abzuleiten, es habe zu jener Zeit gar keinen grönländischen Eispanzer gegeben, ist abenteuerlich.
   
–    Schließlich argumentieren einige Klimawandel-Skeptiker beruhigend: Die Menschheit sei in ihrer langen Geschichte mit mannigfachen Klimaveränderungen längerfristiger wie kurzfristiger Art ganz gut zurecht gekommen. Stimmt auch irgendwie, solange man die Opferzahlen, vor allem aber die Besiedlungsdichte des Planeten außer Acht lässt. Zur Zeit des römischen Optimums vor 2000 Jahren lebten auf Erden gerade mal 200 Millionen Menschen. Als diese Mikro-Warmphase endete und es wieder kälter wurde, geriet Westasien, Nord-, Ost- und Mitteleuropa plötzlich ziemlich heftig in Bewegung: Die Völkerwanderung setzte ein.  Hauptrichtung vom Nordosten ins wärmere Südwest-Europa.

–    Ähnlich Tausend Jahre später die Vorgänge in Grönland: Als das mittelalterliche Optimum vorbei war, packten die Nordmänner ihre sieben Sachen und machten sich ab nach Dänemark. Es war noch immer reichlich Platz auf der Welt: die globale Bevölkerung zählte eben mal 450 Millionen Köpfe. Heute sind es 7 Milliarden – da völkerwandert es sich nicht einfach so mal von einem Landstrich zum nächsten.            

Dieser Umstand sollte uns übrigens unter dem Stichwort „Krisenvorbereitung“ ernstlich beschäftigen. Wir sind weder gedanklich noch sachlich wirklich vorbereitet auf  Wander- und Klimafluchtbewegungen in Größenordnungen von mehreren Dutzend Millionen, gar mehreren Hundert Millionen Menschen. Erst recht haben wir noch nicht wirklich begriffen, was es bedeutet, wenn die Durchschnittstemperaturen auf der Erde binnen nur dreißig bis vierzig Jahren um 2 oder 3 Grad ansteigen, statt wie bisher um maximal 1 Grad während 1000 Jahren.

Ich will jetzt nicht die diversen Vorhersage-Szenarien des Weltklimaberichtes 2007 im einzelnen rekapitulieren. Wer zu dieser Veranstaltung in Bad Marienberg kommt, dachte ich bei der Vorbereitung meines Vortrages, dürfte damit zumindest in groben Zügen damit vertraut sein. Verschiebung der Klimazonen, Ausbreitung von Steppen und Wüsten einerseits, Überflutung flacher und tief liegender Küstenländer andererseits, Zunahme sämtlicher Wetterextreme von der Hitzewelle bis zum ausgewachsenen Hurrikan selbst über Mitteleuropa etc. pp.

Den Klimawandel beschleunigende Prozesse

Stattdessen möchte ich ihr Augenmerk auf einige höchst besorgniserregende Zusammenhänge lenken, die Wissenschaftler jüngst gehäuft zu der Auffassung bringen, dass die Vorhersagen des Weltklimaberichtes vom vergangenen Jahr bereits schon wieder überholt sind. Überholt, weil die Klimaverhältnisse sich in der Realität viel schneller ändern als die über 1000 Wissenschaftler des Weltklimarates auf Basis der Datenlage 2000 bis 2005 im vergangenen Jahr hochgerechnet hatten.  

Vom Sinken der CO2-Absorbtionsfähigkeit der Ozeane und der damit zugleich verbundenen Verstärkung des atmosphärischen Treibhauseffektes haben wir bereits gesprochen. Eine sich selbst aufschaukelnde Wechselwirkung.
 
Das gilt auch für die Verringerung der globalen Eis- und Schneeflächen. Je mehr Eis schmilzt, umso höher steigt der Meeresspiegel. Das ist die eine Seite. Die andere geht so: Je kleiner die Eis- und Schneeflächen auf der Erde werden, umso weniger Sonnenlicht können sie reflektieren, umso wärmer wird es, umso mehr Eis schmilzt. Usw usf = ein ebenfalls sich selbst aufschaukelnder Prozess.

Weiter:
Ein wahres Klimamonstrum verbirgt sich hinter einem anderen, eben jetzt langsam in die Gänge kommenden Prozess: die Freisetzung von Methan, das bislang im sibirischen, kanadischen und alpinen Permafrost gefangen war. Die seit Urzeiten gefrorenen Böden beginnen aufzutauen und das in ihnen gespeicherte Methan freizusetzen. Nun sind die im Frost gebundenen Mengen des Methangases leider gigantisch und ist Methan leider ein noch viel viel wirksameres Treibhausgas als CO2. Weshalb wir es mit folgendem unglückseligem Perpetuum mobile zu tun haben:

Das von uns seit 250 Jahren und auch fürderhin in wachsenden Mengen in die Atmosphäre entsorgte Kohlendioxid führt per Treibhauseffekt zur Erhöhung der globalen Temperaturen bis auf einen Level, bei dem die Permfrostböden anfangen, das in ihnen gebundene Methan freizusetzen.  Das entweicht in die Atmosphäre, verstärkt dort mit Macht den Treibhauseffekt, der nun seinerseits das Auftauen des Permfrostes und damit Freisetzen noch größerer Methanmengen immer weiter beschleunigt.

Dies ist kein Prozess der übermorgen beginnt, sondern einer, der schon begonnen hat, wenn er auch bisher noch in seinem Anfangsstadium steckt. Mit welcher Geschwindigkeit ein solcher sich selbst aufschaukelnder Prozess voranschreitet, weiß im Moment niemand. Was man allerdings weiß, ist: Es geht schneller als noch vor zwei Jahren vermutet.

Nächster Punkt:
Jüngste Tiefseeforschungen haben ergeben, dass sich auf dem Grund der Ozeane ein ähnlicher Prozess abzeichnet. Dort besteht die Gefahr aus Milliarden Tonnen im untermeerischen Grund steckenden Methanhydrat. Methanhydrat ist ein Feststoff, der bei Erwärmung in Wasser und Methangas zerfällt.
 
Methan ist 20 bis 30 mal klimawirksamer als CO2. Aus diesem Grund interessiert sich die Klimaforschung seit einiger Zeit auch verstärkt für die Fürze von Rindern. Das ist kein Spaß! Die Darm-Abluft von Rindern, wie von allen anderen Wiederkäuern auch, besteht überwiegend aus Methan.  Und bei einem derzeitigen Bestand von ungefähr 1,5 Milliarden Rindern weltweit entsteht Methan in solchen Mengen, dass dem Beitrag unseres Milch- und Schlachtviehs zum Treibhauseffekt beträchtliche Bedeutung zukommt. Womit wir übrigens wieder bei der Übervölkerung der Erde wären: Je mehr Menschen es gibt, und je mehr Menschen es gibt, die sich Rindfleisch leisten können, umso größer wird der globale Rinderbestand, und umso größer auch die Menge des Methans, das den Viechern entfleucht. Gleiches gilt übrigens für den Nassanbau von Reis, bei dem ebenfalls beträchtliche Mengen Methan entstehen. Und je mehr Menschen essen müssen, umso mehr Reis wird angebaut.

Die Tipping Points der globalen Ökologie

Bevor ich mit meinem Vortrag zu Ende komme, müssen wir noch kurz über eine Sache sprechen: Über die berühmt-berüchtigten Tipping Points der globalen Ökologie.
      
Tipping Points, die Punkte des Umkippens also, sind der Alptraum der Klimaforschung. Ich habe von mehreren dieser Points schon gesprochen. Etwa beim Auftauprozess der Permfrostböden: Über viele Jahre reagierte der sibirische oder kanadische Grund gar nicht, steckte allerhand Umweltveränderungen bis hin sogar zu phasenweise deutlichen Lufterwärmungen locker weg. Das Methan blieb, wo es war, im Boden versenkt. Nun kommt aber mit anhaltender und tendenzieller Erwärmung ab einem bestimmten durchschnittlichen Temperaturniveau plötzlich erheblich mehr Bewegung in die Sache, als es rechnerisch eigentlich sein dürfte. Die Klimaerwärmung erreicht einen für den Permfrost relevanten Umkipppunkt und setzt teils unerwartete, jedenfalls ziemlich unkalkulierbare, lawinenartige Prozesse in Gang.

Andere Tipping Points sehen die Klimaforscher beim arktischen Eis  und beim grönländischen Eisschild. Sämtliche Arktisexpeditionen der zurückliegenden zehn Jahre berichten im Grundsatz übereinstimmend:

–    von überraschend schnell und dauerhaft eisfrei werdenden Gewässern dort,
–    von unheimlich schnell schmelzenden Eisbarrieren und Gletschern,
–     von signifikant ansteigenden  Arktis-Temperaturen nicht nur im Jahresmittel, sondern auch im tiefsten Winter.
                 
Die jüngsten Beobachtungen (sie stammen aus 2008) registrierten für Grönland einen nie dagewesenen Rückgang der Eismasse. Die Geschwindigkeit der Schmelze sowohl am Pol wie auf Grönland passt zu keiner der bisherigen Vorausberechnungen. Der Weltklimarat hatte 2007 noch prognostiziert: Bei einem Anstieg der globalen Mitteltemperatur um 2 Grad werde Grönland zwischen 2050 und 2080 eisfrei sein. Inzwischen gehen auf der Basis der aktuellen Beobachtungen neuere Hochrechnungen davon aus, dass dies bereits zwischen 2012 und 2020 der Fall sein könnte. Somit spricht vieles dafür, dass die Arktis und Grönland ihre Umkipppunkte jetzt überschritten haben.

Berühmt geworden sind schon vor einiger Zeit diverse Theorien um den Tipping Point des Golfstromes. Denn so gewaltig die Maschinerie dieser globalen Wärmeaustauschpumpe ist, so empfindlich könnte sie auch sein.   Wie reagiert der Golfstrom, wenn infolge verstärkten Süßwasserzuflusses aus abschmelzendem Polareis der Salzgehalt des Meerwassers sinkt? Wie mag er reagieren, wenn die Wassertemperatur im Zuge der Klimaerwärmung um 2, 3 oder gar mehr Grad steigt? Welchen Einfluss hat  die Versauerung der Ozeane infolge von zu viel CO2-Eintrag?

Kein noch so komplexes Klimamodell kann verbindliche Auskunft geben. Wir wissen nicht wie widerstandsfähig der Golfstrom gegenüber diesen neuartigen Einflüssen ist. Vor allem wissen wir nicht, bei welchem Beeiflussungsgrad sein Tipping Point liegt. Und wir wissen nicht, was passiert, wenn er ihn erreicht. Das einzige, was wir wissen, ist: Es wird dann wenig so bleiben, wie wir es kennen.

Eine andere globale Maschinerie, das afro-asiatische Monsun-System, stottert bereits. Ob es seinen Umkipppunkt schon erreicht hat, oder erst darauf zuwankt, wissen wir ebenfalls nicht. Was wir jedoch erleben, sind  katastrophisch negative Auswirkungen auf die Lebensgrundlage der Menschen in weiten Landstrichen zurzeit vorallem in Afrika und auf dem indischen Subkontinent: Mal verheerende Regenfluten, mal verheerende Dürren. Vernichtete oder ausbleibende Ernten in beiden Fällen.

Es gibt noch mindesten 20 weitere Bereiche oder Ökosysteme, bei denen die Wissenschaft Tipping Points annimmt, deren Überschreiten lawinenartige Prozesse von globaler Auswirkung auslösen dürfte. Die Sahara gehört dazu, der brasilianische Regenwald, die Borealwälder im Norden der Erde, das antarktische Eis, ebenso das El Nino-Phänomen.

Klimawandel-Skeptiker brummeln jetzt was von Wetterkapriolen, die es immer gegeben habe. In der Tat ist auf der Basis subjektiver Eindrücke die Entscheidung nicht so einfach, ob man es mit temporären Wetterextremen oder mit Anzeichen von Klimawandel zu tun hat. Nicht jeder Sturm kann dem Klimawandel in die Schuhe geschoben werden. Wenn allerdings, wie zurzeit, die Summe der Messungen, der klimatologischen, meteorolgischen, geologischen, historischen Forschungen mit eigenen Beobachtungen übereinstimmend auf eine systemische Veränderung hindeuten, dann sollte man allmählich die Selbstberuhigungspillen gegen die Alarmglocken austauschen.          

Ich komme zum Schluss.

Ja, wir könnten des Klimawandels Herr werden - wenn die Menschheit wirklich wollte und sich zusammenraufen würde. Aber der Leidensdruck ist noch nicht groß genug, und er trifft wie immer die Menschen zu verschiedenen Zeitpunkten in unterschiedlicher Intensität: Die Armen zuerst und am heftigsten, weshalb die andern es sich  noch eine Weile gut gehen lassen.    Der Preis für dieses noch ein bisschen hingezogene Wohlgefühl wird hoch sein, wesentlich höher, als wenn man vorher auf einiges verzichtet hätte. 

Historiker und Zyniker verweisen auf den üblichen Zyklus der Geschichte: Zivilisationen, Kulturen, Reiche entstehen, wachsen zur Blüte heran, um dann alsbald an ihrer eigenen Größe zu ersticken, zu verfaulen. Diesmal, im globalisierten Zeitalter, könnte es der menschlichen Spezies als Ganzes so ergehen. Denn hinter allem, worüber wir heute gesprochen haben und noch sprechen werden, steht dieses eine Grundparadoxon: Wir vermehren uns und wirtschaften, als sei unser Lebensraum unendlich - in Wirklichkeit hocken wir auf einem kleinen, abgeschlossenen Eiland, das alles, was es bietet, nur in begrenzter Menge zu bieten hat.                                                                                  Andreas Pecht


Weitere Artikel zum Thema über folgenden Link:

2007-12-03 Dossier:
Kommentare und Analysen 2007 über
Klimawandel und Klimaschutz


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