Kritiken Theater
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2008-11-30 Schauspielkritik:

Beilharz inszenierte
Brechts "Puntila" in Wiesbaden
sehr konventionell, aber grundsolide
 

Über die Unvereinbarkeit der
Klassengegensätze
 
ape. Wiesbaden.  

Die Bühnenrampe in voller Breite mit Schnapsflaschen drapiert, der Hintergrund in voller Höhe ebenfalls. Aquavit ist der Treibstoff, der beim Herrn Puntila die Menschlichkeit befeuert. Ohne Sprit erkaltet sein Herz, nüchtern wird der Philanthrop wieder, was er ist: als Gutsbesitzer ein Kapitalist, also Schinder, Ausbeuter und Tyrann. Das Staatstheater Wiesbaden gibt in seinem Kleinen Haus Bertolt Brechts Volksstück „Herr Puntila und sein Knecht Matti“.


Die bei der Premiere sehr freundlich aufgenommene Inszenierung von Intendant Manfred Beilharz birgt stilistisch wie interpretatorisch keine Überraschungen, darf aber handwerklich als grundsolide Arbeit registriert werden. Die Kategorie „Brecht'sches Volksstück“ wird beim Wort genommen: Wir finden Bühne und Kostüme (Bernd Holzapfel), Spielweise und Songs wie sie schon vor 40 Jahren zu finden waren – schief gelegt der Kneipentisch, die Sauna ein offenes Bretterhäuserl, im Gehrock die Herrschaft, im Zartseidenen die Gutsbesitzerstochter, im Blaumann der Prolet.


Beilharz ist nicht der Versuchung erlegen, das Stück von 1940 auf die gegenwärtige Wirtschaftskrise zu bürsten. Wer mag, kann auch sagen: Er hat die Chance nicht ergriffen. Wiesbaden beschränkt sich auf ein paar textliche Spitzen. Dennoch lassen Reaktionen im Zuschauerraum darauf schließen: Gedankliche Bezüge zwischen Werk und Heute drängen sich von alleine auf. Etwa wenn Puntila im Suff allweil mit dem Volk fraternisiert, dabei von Humanität, Gleichheit und Liebe zwischen den Menschen faselt. Mit dem Hintern im Geldbett sitzend, geht das leicht über die Lippen. Vom Armeleute-Hocker aus heißt es nur: „Ich brauch eine Stell'!“


Mit Rainer Kühne als Puntila und Sebastian Münster als Knecht/Chauffeur Matti stellt die Inszenierung zwei Schauspieler sehr verschiedener Stilschulen gegenüber. Beim langen, dürren, schlaksigen Kühne ist jeder Ausdruck raumgreifende Geste. Im knochigen Charakterkopf senden selbst aufgeworfene Lippen und aufgerissene Augen quasi donnernde Signale aus. Münster hingegen jongliert mit sparsamem Gestus, leisem Ton und nur angedeuteter, dafür aber umso wirksamerer Lakonie.


Ein kurzes Brummen, eine knappe Wendung des Kopfes, ein skeptischer oder leicht genervter Augenaufschlag: Gleich steht hinter der scheinbaren Dumpfheit dieses „Menschen“ namens Matti das tiefe Wissen seiner Klasse um die unvereinbaren Gegensätze zwischen Besitzlosen und Besitzenden, um die zwangsläufige Verschiedenheit in der Weltwahrnehmung bei Arm und Reich.


Münster formt daraus, ganz im Sinne Brechts, eine kantige, aber bestechende Klugheit – und einen selbstverständlichen Klassenstolz. Den zu begreifen, hätte es der überzeichneten Püppihaftigkeit von Puntila-Tochter Eva nicht als Kontrast bedurft. Lissa Schwerm führt da einen boulevardesk-manierierten Ton ins Spiel ein, den man als karikierende Verfremdung begründen könnte. Aber er passt nicht wirklich in diesen zwar sehr traditionell gemachten, dennoch „wirksamen“ Brecht-Abend.

                                                                                         Andreas Pecht


Karten: 0611/13 23 25


(Erstabdruck am 2. Dezember 2008)


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