Kritiken Theater
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2008-12-14 Opernkritik:

Giuseppe Verdis Oper "Otello" am Stadttheater Koblenz.
Regie: Annette Wolf, Dirigat: Anton Marik

Wenn Seelenqual in gekünstelten  Standardposen verdämmert

 
ape. Koblenz.  Das Stadttheater Koblenz ist in die Schlussphase der zehnjährigen Intendanz von Annegret Ritzel eingetreten. Zum Finale wird einmal mehr pralles Register gezogen: Soeben mit Giuseppe Verdis opulenter Oper „Otello“, auf die im Februar Richard Wagners „Walküre“ folgen wird – dem Vernehmen nach in einer Orchesterversion mit acht Harfen.(*) Die dicken Brocken des Opern-Repertoires sind für das zwar hübsche, aber doch recht kleine klassizistische Theater nicht einfach zu stemmen. Weshalb das Haus jetzt bei „Otello“ versuchte, aus der Not eine Tugend zu machen: Statt im beengten Orchestergraben, sitzt die Rheinische Philharmonie – nicht zum ersten Mal - in großer Besetzung auf der Bühne. Ein Unternehmen mit zwiespältigem Ergebnis, das indes von Teilen des Premierenpublikums lange beklatscht wurde.

Ein historisierender Bogenrundgang umfasst auf halber Höhe die Bühne, mündet links vorne in eine Freitreppe, rechts vorne in einen kleinen Hochsteg. Beide streben einander entgegen. Dahinter entsteht ein Innenhof, den das Orchester restlos füllt. Davor bleibt ein nur schmaler Streifen Vorderbühne frei, der zusammen mit Treppe und Steg als theatralischer Spielraum dient. Das einen venezianischen Palazzo andeutende Bühnenbild von Siegfried E. Mayer lässt fürs Drama notgedrungen sehr wenig Platz – und drückt der Inszenierung von Annette Wolf so zwangsweise einen  Stempel auf: Trotz großen Aufgebotes an Instrumentalisten und Choristen muss der Koblenzer „Otello“ im Kern ein Kammerspiel bleiben.

Kein Anlauf, keine Ouvertüre. Verdi stürzt zu Beginn Akteure und Publikum ansatzlos in einen der klangmalerisch furiostesten Stürme der Opernliteratur. In Sichtweite des am Hafen versammelten Volkes droht die Flotte des siegreich heimkehrenden Feldherrn Otello an den Naturgewalten zu scheitern. Während der verstärkte Chor des Stadttheaters auf dem Bogenrundgang ein paar Takte braucht, um sich zu finden, rettet das augenblicklich voll präsente Orchester die schäumende Dramatik des hier rein akustischen Sturm-Momentes. Anton Marik, seit 2001 als erster Operndirigent dem Koblenzer Haus verbunden, nutzt dabei und in den folgenden zweieinviertel Stunden klug die Möglichkeiten, die das Orchester und seine diesmalige Platzierung ihm bieten.

Die Rheinische Philharmonie ist als rheinland-pfälzisches Staatsorchester ein Sinfonieorchester, bespielt aber traditionell das städtische Musiktheater an seinem Standort Koblenz mit. Marik setzt beim „Otello“ auf die Erfahrung des Klangkörpers in beiden Bereichen. Mal motiviert sein Dirigat eine von der Deckelung durch den Graben befreite, schier sinfonische Pracht. Dann wieder tritt es in angemessen zurückhaltende, aber nuancenreich interpretierende Partnerschaft zum sängerischen Geschehen. Marik hält auch bei den klanglichen Extremen, die das Werk reichlich bietet, eine schöne Balance zwischen Auftrumpfen und hintersinnigem Einfärben. Diese Flexibilität ist einer der großen Pluspunkte des Abends.

Ein zweiter ist Alexander Polakovs in der Rolle des Jago. Dank der literarischen Ambitionen des Librettisten Arrigo Boito steckt in „Otello“ wohl mehr Shakespeare'scher Geist als in jeder anderen, an Stücken des Engländers orientierten Oper. Dieser Geist ist zu inszenieren und für den Jago unverzichtbar – die im Schauspiel wie in der Oper interessanteste Figur. Koblenz zeigt ihn als wuchtige, glatzköpfige Gestalt in strengem schwarzem Anzug (Kostüme: Gera Graf), aus dessen Brusttasche modische Brille und Federhalter lugen. Ein hochgestellter Bürokrat, ein Politiker, dem nicht Diabolik aus allen Poren quillt, sondern der kühl und überlegt mit strategischer Voraussicht seine Züge macht. Nicht umsonst ist eine der ganz wenigen Requisiten im spartanisch ausstaffierten Kammerdrama auf der Vorderbühne ein Schachspiel – auf dem Jago die Figuren stellt, während er beiläufig dem Otello den Stachel der Eifersucht ins Herz rammt.

Polakovs agiert intensiv wie ein Schauspieler, der auch singt. Ein formidabler Bariton, selbstgefälligen Glanz meidend, weil nicht zur hiesigen Formung der Rolle passend. Was sich von der Titelfigur und seiner Desdemona leider nicht sagen lässt. John Charles Pierce und Irma Berzani treten als Sänger auf, deren szenisches Spiel sich über weite Strecken in manierierten Standard-Posituren des historischen Opernstils erschöpft. Daran wird dann auch eine Grundschwäche der Inszenierung von Annette Wolf signifikant: Kammerspiel auf kleinem Raum direkt vor der Nase der Zuseher braucht intensiven, psychologisch fein gearbeiteten, lebendigen Ausdruck und Umgang der Protagonisten miteinander. Davon gibt es in Koblenz  nur kurze Momente: Etwa das erste Aufscheinen von Eifersucht beim bis dahin gut gelaunten Otello; oder jener Augenblick, da der Hass-Ausbruch ihres Gatten Desdemona völlig unvorbereitet trifft.

Doch für ein interessantes und berührendes Kammerspiel bietet die Koblenzer Inszenierung auf die Länge zu wenig feines Charakterspiel. Vor allem aber fehlt diesem Opernabend eine Inszenierungsidee, die im Sinne einer inhaltlichen Interpretation über das bloß kulinarische Nacherzählen einer bekannten Vorlage hinausreicht. Die sängerischen Leistungen im Zentrum sind nicht so, dass sie dieses theaterkünstlerische Manko ausgleichen könnten. Pierce entfaltet bei gemäßigter Lautstärke in mittleren Lagen einen angenehm weichen, innere Verletztheit durchaus  unterstützenden Ton. In der Höhe und im Forte wird er angestrengt bis hin zu Aussetzern bei den Spitzen. Ähnlich Irma Berzani, deren Sopran unten und in der Mitte über einigen  Variationsreichtum verfügt, in den Höhen jedoch zu purer Kraftanwendung neigt.           

Bis zum Ende dieser Spielzeit bleibt in Koblenz die Frage, ob es eine gute Idee ist, dass sich das kleine Theater auf die opulentesten Opernwerke kapriziert. Danach wird Markus Dietze die Intendanz übernehmen. Sein Musikdirektor Enrico Delamboye und seine Operndirektorin Gabriele Wiesmüller haben bereits eine ganz andere Handschrift angekündigt. Welche? Man wird sehen.
                                                                                       Andreas Pecht

(*) Nachtrag am 2008.12.17.: Wie jetzt zu hören ist, hat sich die Theaterleitung entschlossen, die "Walküre" instrumental nun doch  etwas bescheidener zu besetzen.      

Infos: www.theater-koblenz.de


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