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2008-12-21 Konzertkritik:

5. Anrecht beim Musikinstitut Koblenz mit u.a.  3. Brandenburgisches Konzert von Bach und 1. Sinfonie von Mahler. Rheinische Philharmonie untere Daniel Raiskin
 

Musikalische Brücken zwischen
Zeiten und Kulturen
 
ape. Koblenz.  Repertoire-Hits aneinander hängen, um Säle zu füllen, ist keine Kunst. Eine gescheite Brücke schlagen vom barocken Johann Sebastian Bach zum spätromantischen Gustav Mahler, das indes ist eine Herausforderung. Der wurde das Programm beim fünften Anrechtskonzert des Musik-Instituts Koblenz raffiniert gerecht: Zwischen das Brandenburgische Konzert Nr. 3 von Bach und Mahlers 1. Sinfonie schob man Bachs Suite für Orchester in einer Bearbeitung von Mahler.

So wird der ziemlich brachiale Sturz von Bach zu Mahler, immerhin durch fast 200 Jahre, auf interessante Art abgefedert. Was sich auch in der Optik des Konzerts niederschlägt. Für das 3. Brandenburgische hat Daniel Raiskin nur zehn Streicher nebst einem Cembalisten zu dirigieren. Bei der Suite ist es ein Streichorchester mit einer handvoll Bläsern. Zur „Titan“-Sinfonie tritt dann die gesamte Rheinische Philharmonie mitsamt etlichen Verstärkungen an.

Wie soll und kann ein Kleinensemble aus Sinfonikern den Bach heutzutage spielen – nach drei Jahrzehnten forschender Wiederherstellung historischer Musizierpraxis durch Spezialisten wie etwa die Musica Antiqua Köln des Reinhard  Goebel? Wir wissen nicht, wie Raiskin grundsätzlich zu dieser Form der Barock-Pflege steht. In der Rhein-Mosel-Halle lässt er jedenfalls die Finger davon. Eine kluge Entscheidung. Denn zum historisch-authentischen Barockmusizieren gehören neben anderen Instrumenten auch Spieltechniken, die nicht von Hause aus zum Werkszeug heutiger Sinfoniker zählen.

Folglich wird das 3. Brandenburgische hier nach konventioneller statt restaurativer Manier geboten, und das ordentlich. Mit prägnanter Impulsgebung fließt in verhaltenem Tempo der Anfang, schwingt sich nachher zu lebhaften, ja dramatischen Momenten auf, in denen das Dirigat die auch beim gestrengen Bach durchaus vorhandenen weltlich-gefühligen, fast romantischen Potenziale unterstreicht. Noch mehr Richtung Romantik geht Mahlers Bach-Suite und deren Interpretation durch Raiskin. Die Ouvertüre schwer; Rondeau und Badinerie beherzt, witzig; Air zart und innig; die Gavotten als distinguierter Schreit-Tanz bei Hofe.

Doch bleibt Mahlers Respekt vor dem Gottvater der Barockmusik unverkennbar: Seine Bearbeitung setzt nur Tüpfelchen; zu hören ist in der Suite viel Bach und wenig Mahler. Der Schluss des Abends gehört dann aber mit Herz und Leib dem späten Romantiker: Seine 1. Sinfonie versetzt in rauschhaften Zustand. Einmal mehr wird deutlich, dass Raiskin einer der Denker, der Philosophen seiner Zunft ist. Er motiviert nicht nur mit sinnlichem Gespür schöne Musik, sondern erkundet zugleich den Geist in wie hinter den Klängen. Und das Orchester folgt enthusiastisch, sowohl im Ganzen wie bei vielen präzisen und stimmungsvollen Einzelleistungen.

Vorweg die Natur als Existenz per se, nachher die auch deftige Freude der Menschen daran. Im dritten Satz über den Kanon „Bruder Jakob“ aufgefächert, erst das Nebeneinander von westlichem Lied, jiddischem Klezmer und maurischen Tönen, dann deren freudige Verschmelzung. Da ruft einer auf seine Art – passend zum eigentlichen Weihnachtsgeist –  den humanistischen Kern von Beethovens „seid umschlungen Millionen“ auf. Rüder Abbruch der Freude im letzten Satz: eine Warnung vielleicht, jedenfalls das Herz verkrampfende Entfesselung entsetzlicher Gewalten. Dass Mahler von dort noch zu einer positiven Schlussapotheose kommt, grenzt an ein kaum mehr nachvollziehbares Wunder.                          Andreas Pecht


(Erstabdruck am 23. Dezember 2008)                
 
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