Kolumne »Guten Tag allerseits«
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Sie finden hier die gesammelten Intro-Texte aus der Startseite von www.pecht.info im Monat OKTOBER 2008 
2008-10-21 bis 30
Guten Tag allerseits,
30.10.
Machen wir uns nichts vor: Die Funktionäre des Finanzkapitals und der Automobilwirtschaft versuchen jetzt, den Staat und die Allgemeinheit zu erpressen. Sie suchen zielgerichtet die Machtprobe. Anders sind die bodenlosen Unverschämtheiten der Versager-Kaste nicht mehr zu erklären. Die da wären:

Die amerikanischen Banken nehmen ihr staatliches Rettungsgeld mit Freuden in Empfang. Statt damit allerdings ihre von eigener Hand mutwillig oder via Dilettantismus ramponierten Häuser in Ordnung zu bringen, zahlen sie davon sogleich fette Dividenden aus. Man langt sich an den Kopf. Der US-Finanzminister verteidigt die Erlaubnis zu solch perfidem Verfahren auch noch: Hätte man es untersagt, die Banken hätten das Rettungspaket des Staates nicht in Anspruch genommen.

Die deutschen Banken zieren sich noch immer, staatliche Hilfe anzunehmen. Die Manager warten darauf, dass ihnen Berlin ähnliche Brücken baut wie jene in Amerika. Wie lange will die Regierung noch das Hännesche mit sich machen lassen???

Die deutsche Autoindustrie schießt den Vogel ab mit ihren nassforschen Forderungen nach staatlichen Hilfspaketen zwecks Finanzierung umweltfreundlicher Autoentwicklungen. Seit mehr als 15 Jahren reden verständige Menschen den Herren von Mercedes, BMW, Audi etc. noch und nöcher gut zu, sie mögen doch endlich damit beginnen, kleinere, sparsamere, umweltverträgliche Autos zu entwickeln und zu bauen. Was haben die Herrschaften all die Jahre getan? Nichts - bzw. große und größere, dicke und immer dickere Karren von den Bändern laufen lassen. Stets nach der Devise: Was schert uns die Zukunft und der dann kommende Bedarf an Kleinwagen, wenn wir heute mit den Premiumriesen nur  richtig gut verdienen. Jetzt ist Zukunft - und die kurzsichtigen Dummköpfe stehen belämmert in der Landschaft rum, weil sie keine der nunmehr gefragten Produkte in der Hinterhand haben. Die Allgemeinheit soll ihnen aus der selbst verschuldeten Patsche helfen: Die Bevölkerung soll per Steuergelder jetzt die von der Autoindustrie jahrelang arrogant und ignorant verluderte Produktentwicklung bezahlen. Und hernach die Autos selbstredend beim Kauf gleich nochmal. Der Gipfel ist die Argumentation des Mercedes-Chefs: Wenn ihr umweltfreundliche Autos haben wollt, dann finanziert gefälligst auch deren Entwicklung.

Kann mir irgendjemand sagen, wozu Großunternehmer, Manager und Banker noch gebraucht werden, wenn sie selbst von Marktwirtschaft nichts mehr wissen wollen und Geschäfte nur noch machen, wenn der Staat bezahlt? 

29.10.
Es spricht der Marquis von Posa in Friedrich Schillers "Don Karlos" einige Verse, die sich schön auf unsere Tage des Finanzkrisen-Furors und die damt verbundene, viel beschworene Zäsur münzen lassen. Skepsis allerdings bleibt hinsichtlich des hoffnungsvollen Schlusssatzes:
 
Die lächerliche Wut
Der Neuerung, die nur der Ketten Last,
Die sie nicht ganz zerbrechen kann, vergrößert,
Wird mein Blut nie erhitzen. Das Jahrhundert,
Ist meinem Ideal nicht reif. Ich lebe
Ein Bürger derer, welche kommen werden.

24.10.
Gestern meldete der Dietz-Verlag: "Das Kapital" von Karl Marx ist ausverkauft. Das Hauptwerk vom Klassiker des wissenschaftlichen Sozialismus hatte während der vergangenen Wochen der Finanzkrise einen beispiellosen Verkaufsboom erlebt.

Nun wird es vielen der Käufer leider so gehen wie schon interessierten Leser-Generationen vor ihnen: So sie nicht vertraut sind mit der Lektüre komplexer wirtschaftswissenschaftlicher Werke, werden sie wenig Freude haben an dieser "Kritik der politischen Ökonomie" (Untertitel). Denn "Das Kapital" ist alles andere als eine populäre Aufklärungsschrift über und griffige Kampfschrift gegen den Kapitalismus. Es ist vielmehr ein wissenschaftlich-analytisches Werk über die grundlegenden Wirkmechanismen der Ökonomie, insbesondere eben der kapitalistischen. Bertolt Brecht hat sich für das Studium des "Kapital" ein ganzes Jahr Zeit genommen. Die braucht es auch, bei 900 Seiten Band I und nochmal 1600 Seiten für Band II und III.

Ich will gewiss niemanden davon abhalten, sich mit Marx' Werk auseinander zu setzen. Im Gegenteil. Aber denjenigen Neueinsteigern in die Materie, die Urtext lesen wollen und nicht in die Fülle sekundärer Erklärungsliteratur greifen, seien zwei kleine Vorläuferschriften von Marx selbst als Hinführung empfohlen: "Lohn, Preis und Profit" sowie "Lohnarbeit und Kapital". Schon diese beiden lassen sich nicht so einfach nebenher konsumieren. Marxismus bedeutet eben zuerst einmal und vor allem: grundlegende Analyse dessen, was war und was ist. Die politischen Aufregungen, Vereinnahmungen, Anfeindungen - vom stalinistisch/ulbrichtschen/maoistischen Missbrauch bis zur wohlfeilen antimarxistischen Gespensterhatz - lassen diese Phase nur zu gern einfach aus.   

21.10./I

Es gibt Zufälle, da schmeißt du dich weg! Dieser muss noch kurz erzählt sein.
Gestern am Abend schrieb ich in eine erst nächste Woche erscheinen könnende Kolumne (Quergedanken) folgende Träumerei:

"So schnell, wie die Welt sich momentan dreht, sieht sie bei Erscheinen des Heftes vielleicht schon wieder ganz anders aus. Womöglich hat die Bundesregierung inzwischen alle Banken verstaatlicht und im Gedenken an einstige SPD-Forderungen sowie an das erste CDU-Nachkriegsprogramm die großen Schlüsselindustrien gleich mit."

Und was lese ich eben in den Agenturen? Nicolas Sarkozy, der gernegroße Hansdampf auf dem Präsidentenstuhl der französischen Republik und in der schönen Carla Bett, schlägt die (zeitweise) Teilverstaatlichung der Schlüsselindustrien Frankreichs vor und legt dem übrigen Europa ähnliche Maßnahmen ans Herz.  


2008-10-01 bis 21
Guten Tag allerseits,
21.10./II
Es ist ermüdend - immer und immer wieder erleben zu müssen, dass in der Politik Worte nicht meinen, was sie sagen. Jüngste Beispiele:

1.) Frau Schavan sagt (kündigt vollmundig an) es werde 6 Milliarden Euro für die Bildung geben. Sie meint aber nicht zusätzliches Geld, wie von allen verstanden (was auch bezweckt war), sondern rechnete nur munter zusammen, was ohehin längst verplant gewesen ist. Affentheater zum Zwecke der Hinterslichtführung.

2.) Die Bundesregierung sagt (kündigt geharnischt an), das staatliche Rettungsprogramm wider die Finanz-Anarchie werde mit strengen Auflagen gekoppelt, die Börsenjongleure unter Kuratel zu stellen. Wir stellen ein paar Tage später fest: Ist wenig mit Kuratel, nicht mal der mickrige Nebenposten "Begrenzung der Managergehälter" war wirklich ernst und streng gemeint.

3.) Der amerikanische Staat kauft sich mit 250 Milliarden Steuerdollars ins Bankgewerbe ein. Sagt, das sei zwecks Rettung und Sicherung des US-Bank- und Finanzwesens. Nun stellt sich heraus: Diese Aktion arbeitet zielgerichtet darauf hin, die Großen noch größer zu machen und die Kleinen vollends zu ruinieren. Der US-Staat als Hilfsdienst zur Beschleunigung der Kapitalkonzentration: Auf dass der ganze Zirkus in der nächsten Runde von neuem losgehe, allerdings auf der nächsthöheren Entwicklungsstufe umso brutaler wirke.
   

16.10.
Stell dir vor, es ist Buchmesse in Frankfurt, und ich fahr' schon wieder nicht hin. Drei Jahre gefehlt. Oder sind's schon vier? Zugegeben, ein bisschen vermisst man den Jahrmarkt der bibliophilen Eitelkeiten schon, das Geplausche mit diesem Autor, die Wiederbegegnung mit jener Lektorin, das livehaftige Stolpern über prominente Beine oder Verdrücken vor dem Sicherheitstross der Regierungsamtspersonen. Und ja, das vor allem: Bereits spätnachmittägliches Versacken mit den Kollegen/innen von der schreibenden Zunft - vertreten sie nun Romane oder Postillen.

Andererseits beweisen die Jahre der Nichtanwesenheit, dass, wer auf der Messe keine echten Geschäfte zu tätigen hat, auch nicht wirklich was verpasst. Über interessante Bücher erhälst du - bei etwas Interesse - in der Ferne schneller und genauer Botschaft als im Getümmel. Und neue Trends sind ja keine objektiven Fakten, sondern manifestieren sich ohnehin erst in der Zusammenschau der Eindrücke diverser Beobachter und Berichterstatter. Was da mit lautstarkem Verlagsgetrommel im Augenblick der Messe Furor machte, war schon oft ein paar Tage danach bloß noch Geschwätzesmakulatur. Auch Trendsetter brauchen ihren Reifeprozess - ein bisschen Geduld wird belohnt.

Trotzdem: Ein Quäntchen Zirkusluft täte vielleicht wieder ganz gut. Mal schauen, im nächsten Jahr....
 

13.10.
"Eine Sternstunde des Fernsehens", urteilte der ZDF-Intendant über den Auftritt von Marcel Reich-Ranicki bei der Verleihung des Fernsehpreises. Recht hat er natürlich, der Herr Schächter. Aber aus dem Mund eines TV-Verantwortlichen klingt ein Lob auf den Totalverriss des von ihm verantworteten Produktes schon etwas seltsam. Das ist, als hätte Gerhard Schröder am Abend nach der letzten Bundestagswahl seine Abwahl als "Sternstunde der Demokratie" beschrieben.

08.10.
Eben einen Zettel wiedergefunden, auf dem die irgendwo aufgeschnappte oder gelesene Äußerung einer ostdeutschen Lehrerin zur jüngeren Diskussion über Kapitalismus versus Sozialismus notiert ist. Da heißt es:

"Ich sage immer, wenn zwei durch den Atlantik schwimmen, und der eine ersäuft, dann ist das noch keine Garantie, dass der andere durchkommt.""

04.10.
Resignative Gedanken, als ich mit der Blechlawine über die A3 Richtung Wiesbadener Theater walzte und in solcher Walze die Zukunft der Erde sehen musste. Denn: Sieben Millarden Menschen bevölkern den Planeten, wovon sechs Milliarden sich nichts sehnlicher wünschen als den Lebenstandard der übrigen einen Milliarde. Im Programmheft dann zur Stimmung passende Textstellen:

"Ich sehe das Leben als ein großartig-ironisches, wunderschön-gleichgültiges, hervorragend-leidendes Chaos, das dem Menschen durch die Tragödie eine unglaubliche Bedeutung gibt, weil er ohne diesen verlorenen Kampf mit dem (selbst verschuldeten, ape) Schicksal ein langweiliges, dummes Tier wäre."  (Eugene O'Neill, 1923)

"Zur Hölle mit der Wahrheit! Wie die Weltgeschichte beweist, hat die Wahrheit keinerlei Einfluss auf irgendetwas. Die Lüge eines Wunschtraums ist das, was uns verrücktes, elendes Pack, betrunken oder nüchtern, am Leben hält." (derselbe, 1946)


01.10.
Folgendes Zitat war während der vergangenen Wochen im Zusammenhang mit der Finanzkrise mehrfach gerade in bürgerlichen und liberalen Blättern zu lesen oder aus entsprechenden Mündern zu hören:

"Das Kapital hat einen Horror vor der Abwesenheit von Profit oder vor sehr kleinem Profit wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital wach, zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; 100 Prozent, es stampft alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens."

Und wer hat's gesagt? Karl Marx.


Wünsche anregende Lektüre,
Andreas Pecht