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2009-01-20 Kommentar:

Anlässlich der Amtseinführung von Barack Obama

 

Dienstbeginn für einen Hoffnungsträger bei laufendem Epochenumbruch
 
ape. Es ist wie immer: Amerika begeht die Amtseinführung seines neuen Präsidenten mit reichlich Pomp und Pathos. Ein zwar feierlicher, aber doch bescheidener Staatsakt für den ersten Diener des Volkes, wie im alten Europa überwiegend gebräuchlich, liegt diesem Land einfach nicht. Es braucht seine Helden, will sich scharen um einen, der Geist und Herz der Nation in einer, in seiner Person vereint. Es ist also wie immer, und doch ist alles anders: Amerika feiert die Inthronisation eines Präsidenten, von dem es nicht weniger erwartet als kluge, erfolgreiche und begeisternde Führung durch eine von Krisen geschüttelte Zeit, in der sich alles verändert. Mit dieser Erwartung verknüpfen sich rund um den Erdball Hoffnungen, der neue Mann im Weißen Haus möge der richtige Partner sein für den sich eben vollziehenden welthistorischen Epochenumbruch.

Wohl seit der Zeit der Gründerväter erreichte kein US-Präsident mehr daheim und draußen einen so hohen Symbolwert wie Barack Obama. Das rührt nicht allein von der politischen Trümmerlandschaft, die George W. Bush auch international hinterlässt. Nicht allein von der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise, die ihren Ausgang in den USA nahm und jetzt mit dem Land alle Länder beutelt. Fast mehr noch macht diesen Mann zum Symbol, dass er als erster Farbiger die noch immer mächtigste Nation auf Erden führt. Eine Nation, deren Ursprünge auf einen schmerzlichen Widerspruch zurückgehen: Hier das Streben nach Unabhängigkeit, Freiheit und Glück; dort die schiere Ausrottung der Urbevölkerung sowie über Generationen rücksichtslos praktizierte Sklavenhaltung und Rassendiskriminierung.

Obama wird als Symbol und Hoffnungsträger dafür verstanden, dass jener Widerspruch nun ein für allemal sein Ende findet. Dass sich Amerika auch jenseits von Papier und Sonntagsreden in einen echten multi-ethnischen, multi-kulturellen, multi-religiösen, freiheitlichen, toleranten und nicht zuletzt endlich auch sozialen Rechtsstaat verwandelt. Oder um es europäisch auszudrücken: Mit dem neuen US-Präsidenten verknüpften sich Erwartungen auf Vollendung der Französischen Revolutionsideale von Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit für alle und unter allen, ungeachtet ihrer Herkunft und Hautfarbe, ihres Geschlechts oder Glaubens. Es sind große Hoffnungen geweckt und werden derzeit in Fülle große Worte gesprochen. Zu große? Eher nicht, denn die realen Herausforderungen sind danach.

Die Welt befindet sich in einem Epochenumbruch, dessen Dimension durchaus vergleichbar ist mit der Reformation oder der Französischen Revolution, mit dem Zusammenbruch des deutschen Kaiserreiches und des Zarismus im frühen 20. Jahrhundert oder mit der Neuordnung der Welt und dem Beginn des Kalten Krieges in dessen Mitte. Die Wende von 1989 und der Zusammenbruch des Sowjetreiches wird gerne als das eigentliche Ende der Nachkriegszeit beschrieben. Womöglich aber betrachten spätere Geschichtsbücher die 20 Jahre seither nur als Übergangsphase. Und womöglich gilt die Wahl Barack Obamas dann als historische Zäsur, als Startsignal für den Aufbruch in eine neue Weltordnung.

Nicht, dass dieser einzelne Mann das bewirken könnte. Die Dinge sind in Bewegung geraten, lange bevor Obama die Bühne der Weltpolitik betrat. Die geopolitischen Verwerfungen  infolge des Aufstiegs ehemaliger Drittweltländer in Asien und Südamerika zu Mittel- und Großmächten findet er bei Amtsantritt ebenso vor wie die Renaissance des Islam, die Ost-Ausdehnung der EU oder die Rückkehr Russlands ins globale Mächtespiel. Dass zwei Jahrzehnte nach dem Bankrott des Sozialismus nun auch der Wall-Street-Kapitalismus den Offenbarungseid leisten muss, ahnte er zum Zeitpunkt seiner Kandidatur vielleicht noch nicht einmal. Die existenzielle Gefährdung unserer bisherigen Lebensart auf dem Wege maßloser Ausbeutung, Vernutzung und Verschmutzung des Planeten eben durch diese Lebensart dürfte ihm hingegen bewusst gewesen sein.

Obama wird amerikanischer Präsident in einem Augenblick, da alle wesentlichen globalen  Entwicklungen und Probleme zugespitzt nach Lösungsansätzen und Handlungsweisen verlangen, für die es keine Vorbilder gibt. Vor dieser Situation stand schon Vorgänger Bush, allerdings ohne es zu begreifen. Weshalb George W. sein Land und die Welt  mit der Traditionsmethode „John Wayne und Henry Ford“ drangsalierte: Der Starke ist der Gute, der Gute muss stark sein, herrschen und die besten Geschäfte machen – koste es, was es wolle. Dieser Weg wäre dem Nachfolger versperrt, selbst wenn er ihn gern beschreiten würde. Was Gott sei dank nicht der Fall zu sein scheint. Die Welt ist dem harten, aber primitiven Griff nach Bush-Art zwischenzeitlich entwachsen. Wer dennoch weiter so zugreift, verbrennt sich vor allem die eigenen Finger. Das ist es, was Globalisierung letztlich bedeutet. Deshalb konzentriert sich die Hoffnung auf Obama in einem Punkt:  Der Mächtigste sucht über sämtliche älteren und jüngeren Gräben hinweg die Verständigung im Interesse globaler Gemeinsamkeit.

Die Art, wie Barack Obama  mit seinen vormaligen Wahlkampfgegnern umgeht, wie er seine Regierung besetzt, wie er als Farbiger die Farbenlehre überwindet, wie er offenbar Vernunft in der Sache wohlfeiler Ideologie vorzieht, diese Art macht ihn zu einem Hoffnungsträger weit über Amerika hinaus. Wunschdenken? Natürlich auch das. Die Wirklichkeit der nächsten Monate wird so allerhand wieder relativieren. Und die traditionelle Skepsis des alten Europa gegenüber dem nassforschen jüngeren Bruder jenseits des schmal gewordenen großen Teiches wird noch manche Berechtigung erfahren. Wann aber sollten die Dinge eine Wendung zum Besseren nehmen, wenn nicht jetzt mit diesem neuen US-Präsidenten? Die Chance ist da, die Notwendigkeit sowieso. Also hoffen und wünschen wir.  
Andreas Pecht



(Erstabruck am 26. Januar 2009)
 
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