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2009-02-15 Vortrag:

Konzerteinführung Koblenz am 15.02.2009 (unkorrigiertes Redemanuskript; gesprochenes Wort teils abweichend).

Ausführende: Rheinische Philharmonie unter Lavard Skou-Larsen, Gesangssolistin Tara Erraught.

Werke von Mozart, Heitor Villa-Lobos und Giovanni Sollima.
 

Orchesterkonzert Görreshaus im Februar 2009

 
ape.  Meine sehr verehrten Damen und Herrn, liebe Musikfreunde,

ich darf Sie zum zweiten Görreshauskonzert dieser Saison recht herzlich begrüßen. Lassen Sie uns heute also noch einmal hohe Musikkunst genießen, bevor dann in allen Sälen und auf sämtlichen Kanälen karnevalistische Stimmungskanonen den Ton angeben.

Am heutigen Nachmittag bekommen wir es mit drei Komponisten zu tun, von denen zwei in dieser Konzertreihe noch nie vertreten waren – sofern sich mein Gedächtnis nicht täuscht. Die beiden Neuzugänge sind der Brasilianer Heitor Villa-Lobos und der Sizilianer Giovanni Sollima. Dritter im Bunde ist dann der wohl Bekannteste unter unseren alten Bekannten: Wolfgang Amadeus Mozart.

Wie treue Besucher dieser Veranstaltung wissen, sucht der EINFÜHRENDE immer wieder nach interessanten Verbindungslinien zwischen den jeweiligen Komponisten oder ihren zu Gehör kommenden Werken. Das sind mal biografische Parallelen, mal ist es ein historischer roter Faden. Dann wieder können es landsmannschaftliche oder eben musikalische Bezüge sein, die sich als Brückenschlag zwischen den einzelnen Elementen des Konzertprogramms anbieten.

Nichts von alledem beim heutigen Programm. So angestrengt ich auch Bücher wälzte und im Internet herumsurfte: Es waren einfach keine verbindenden Elemente zwischen Villa-Lobos, Sollima und Mozart zu finden. Rein gar nichts - sieht man vom dem Umstand, dass für die beiden später geborenen Musiker Mozarts Werk natürlich zum prägenden Kulturerbe zählt. Ansonsten aber: Keine Spur von Gemeinsamkeit.

Mozart lebte bekanntlich von 1756 bis 1791, und zwar vorwiegend in Österreich - wenn ihn nicht der geschäftstüchtige Papa gerade mal wieder  zu Wunderkind-Konzerten monatelang durch halb Europa schleppte.

Heitor Villa-Lobos war hingegen ein Zeitgenosse meiner Großeltern. Zur Welt kam er 1887 in Rio de Janeiro, das damals noch die Hauptstadt Brasiliens war. Gestorben ist er 1959 ebenfalls in Rio, ein Jahr bevor die Megametropole an der Copacabana ihren Hauptstadtstatus an Brasilia abtreten musste.

Giovanni Sollima schließlich ist ein Zeitgenosse von uns. Nicht nur, dass der 1962 in Palermo geborene Italiener noch lebt. Als Cellist von Weltrang und ebenso innovativer wie eigensinniger Komponist mischt er im  internationalen Musikbetrieb der Gegenwart seit Jahren kräftig mit.    Gehört hatte ich schon manches von ihm, gesehen habe ich ihn allerdings erstmals 2008: In Wim Wenders' jüngstem Film „The Palermo Shooting“. Darin hat Sollima neben dem Hauptdarsteller Campino von den „Toten Hosen“ eine kleine Szene als Künstler im heutigen Palermo.

Wie gesagt: Verbindungen zwischen dem Wiener Klassiker Mozart, dem südamerikanischen modernen Klassiker Villa-Lobos und dem sizilianisch-polyglotten Gegenwartsmusiker Sollima konnte ich nicht finden.  Weshalb  jetzt nur übrig bleibt, die Werke der drei Herren, die heute gespielt werden, völlig unabhängig voneinander vorzustellen.

Das Konzert beginnt gleich mit der Bachiana brasileira Nr. 9 . Dieses Stück entstand 1945 in New York und beschließt einen Zyklus, den Heitor Villa-Lobos 1930 mit der Bachiana Nr. 1 für ein nur mit Celli besetztes Orchester eröffnete. Was ist das, eine Bachiana? Sie finden das Wort weder im Portugiesisch-Wörterbuch, noch im Lexikon der Musikbegriffe. Und selbst der gute alte Brockhaus weiß von Bachiana so wenig wie der neuzeitliche Internet-Alleswisser Wikipedia.

Sollte ein musikhistorischer Fachmann  unter ihnen dem Begriff Bachiana  schon mal in einem anderem, geschichtlich vor Villa-Lobos liegenden  Zusammenhang begegnet sein, so bitte ich nachher um Aufklärung und Belehrung. Vor ein paar Jahren erst hat allerdings der Kölner Barockspezialist Reinhard Goebel eine Musik-CD unter dem Titel „Bachiana“ herausgebracht. Die Scheibe hat mit Villa-Lobos gar nichts zu tun, sondern versammelt Kantaten aus der mit überragenden Musikertalenten reich gesegneten Familie von Johann Sebastian Bach.

Göbel gibt uns damit ungewollt einen zielführenden Hinweis auf den Sinn des Wortes Bachiana bei Villa-Lobos: Wie sich das Wort „Berlinale“ (Berliner Filmfestspiele) auf Berlin bezieht und sonst keinerlei Bedeutung hat, so bezieht sich der Titel Bachiana für die besagten 9 Kompositionen des Brasilianers einzig und allein auf den Thomaskantor zu Leipzig. BACH > BACHIANA. Der ganze Zyklus, aus dem wir heute die finale Nr. 9 hören, war von Villa-Lobos als Hommage an Johann Sebastian Bach gedacht. Sie kennen eine ähnliche Begriffsprägung bei Robert Schumann: Der nannte sein Klavierwerk opus 16 über ETA Hoffmanns Figur des Kapellmeisters Johannes Kreisler „Kreisleriana“.

Von Bachs Musik war Villa-Lobos nachhaltig beeinflusst. In dessen Schaffen glaubte er auch mancherlei Analogie zur traditionellen Musik Südamerikas ausmachen zu können. Die Art und Weise, wie Villa-Lobos Elemente der brasilianischen Folklore mit den harmonischen Formen und kontrapunktischen Techniken des mitteleuropäischen Barock zu einer Synthese zusammenführt, ist faszinierend. Diese kulturelle Dualität war es denn auch, die Heitor Villa-Lobos zum ersten und bis heute wohl bedeutendsten Klassiker seines Landes machte. Zugleich war es seine Arbeit, die erstmals Musik aus Brasilien Anerkennung in der Klassik-Welt verschaffte.

Die auf unserem Programm stehende Bachiana Brasileira Nr 9 kann als musikalische Summe des Gesamten Bachiana-Zyklus verstanden werden, der für die vielfältigsten Besetzungen komponiert wurde – vom Duo Flöte/Fagott übers schon genannte Cello-Orchester bis zum großen sinfonischen Apparat. Die Nr. 9 war usprünglich für A-Cappella-Chor gedacht, hat sich aber in der gleich zu hörenden Fassung für Streichorchester durchgesetzt.

Von der brasilianischen Klassik zur sizilianischen Moderne. Auf die beiden Mozart-Teile des Konzerts komme ich nachher. Giovanni Sollima ist schon als Instrumentalist eine bemerkenswerte Erscheinung. Wiederholt hat man ihn den „Jimi Hendrix des Cellos“ genannt. Der Vergleich ist gar nicht so abwegig, wie es auf den ersten Blick erscheint. Denn wie beim  legendären Rock- und Bluesgitarristen  Hendrix, so verbindet sich auch beim Cellisten Sollima instrumentale Virtuosität mit intensivem persönlichem Gefühlsausdruck – und zwar sowohl in Richtung zarteste Innerlichkeit wie in Richtung Wildheit, ja brachiale Explosivität.

Hendrix galt in seinem Fach als begnadeter Experimentator. Das trifft auf  den Cellisten und den Komponisten Sollima ebenfalls zu. Berührungsängste gegenüber nichtklassischen Genres sind ihm fremd.  Das machte im vergangenen Jahr einmal mehr sein neues Album „We were trees“ (wir waren Bäume) deutlich. Der „Spiegel“ schrieb über diese Scheibe folgende, das ganze Oeuvre Sollimas recht gut charakterisierende Sätze:

„Folkloristisch swingende Melodien italienischer Provenienz und tänzerische Elemente mischen sich mit orientalisch biegsamen Harmonien. Trockener Gesang gehört ebenso dazu wie kräftig percussive Elemente. Wenn es dazwischen mal wieder klassisch tönt, so sollte das nicht verwirren: Das gehört zum pulsierenden Strömen von Sollimas Musik, die keine Stilgrenzen gelten lässt. Für die fast sakralen Momente des Albums – und davon gibt es trotz aller Eruptionen  nicht wenige – holt er sich manchmal Unterstützung. Zum Beispiel die amerikanische New-Wave-Ikone Patti Smith, die zu dem Stück „Yet Can I Hear“ nicht nur singt, sondern auch den Text verfasste.“

Soweit der „Spiegel“ über das eigensinnige, unverwechselbare und doch in keine Schublade zu quetschende Ausdrucksspektrum des Sizilianers. Von dem übrigens Sir Simon Rattle große Stücke halten soll. Wir haben es also bei Sollima mit einem Grenzgänger zwischen klassischer Musik, Weltmusik und zeitgenössischer Avantgarde zu tun. Viele Einflüsse hat er in sein Werk aufgenommen, einer der neuzeitlich wichtigsten darunter ist wohl das Schaffen des amerikanischen Minimalisten Philipp Glass. Maßgeblich inspiriert wurde Sollima auch durch die Auseinandersetzung mit Tschaikowski und Rossini, mit Astor Piazzolla, Paul Hindemith oder Tore Takemitsu.

Sein Stück „Angeli“ (Engel) in unserem heutigen Konzert ist schon etwas älter. Es entstand 1994, da war der Komponist 32 Jahre alt. Es handelt sich dabei um eine dreisätzige Streichersuite, die in vielgestaltigen musikalischen Färbungen mit experimenteller Freude von Engeln erzählt – in seinem Sinn von mysthischen Wesen aus den Sphären zwischen Leben und Tod, Diesseits und Jenseits.

Der erste Satz lässt sich unter dem Titel „Engel im Vulkan“ auf das metphorische Spannungsgefüge zwischen Licht und bedrohlicher Düsternis ein. Der zweite Satz handelt von den gefallenen Engeln Harut und Marut, die laut islamischem Koran von Gott ausgesandt wurden, um die Menschen unter anderem von Unzucht und Alkoholgenuss abzubringen. Doch wie der Teufel im Theaterstück „Der Brandnerkasper“ sich vom guten Schnaps der Menschen und ihren Kartenspielertricks aufs Kreuz legen lässt, so können die beiden Engel den ewig lockenden Reizen des Frauengeschlechts nicht widerstehen. Der dritte Satz von „Angeli“ schließlich fächert ein Kaleidoskop vom Impressionen über andere, nicht näher bezeichnete Vertreter der himmlischen Heerschar auf.

Der Fantasie setzt diese Komposition keine Grenzen. Machen Sie also von der Freiheit ordentlich Gebrauch, auch wenn dem einen oder anderen die Klangwelten des Giovanni Sollima etwas befremdlich vorkommen  mögen.

Und nun zu Wolfgang Amadeus Mozart, der am heutigen Nachmittag mit zwei recht unterschiedlichen Elementen vertreten ist. Zum einen gibt es vor der Pause einen Block mit drei großen Arien, die Mozart im Alter zwischen 20 und 30 geschrieben hat.  Es wird also gesungen. Zum anderen schließt das heutige Konzert mit der Kassation G-Dur Köchelverzeichnis 63. Dabei handelt es sich um ein sieben-teiliges Orchesterwerk, das 1769 dem gerade 13-jährigen Wolferl aus der Feder floss.

Bleiben wir für einen Moment bei Jahren 1769/70. Die Mozarts waren aus Wien zurückgekehrt, wo Wolfgang Amadeus sein Singspiel „Bastein und Bastienne“ aufgeführt hatte. Für ein paar Monate wenigsten lebte die Familie nun im heimischen Salzburg und also ausnahmsweise mal nicht aus Koffern. In dieser relativ ruhigen Phase entstand unsere Kassation – bevor im Dezember 1769 wieder gepackt wurde und sich Vater Mozart mit dem Wunderkind auf eine 15-monatige Italienreise begab. In Rom bestieg derweil Papst Clemens der XIV den Heiligen Stuhl. Von ihm wurden die Mozarts empfangen und erhielt der 14 Jahre junge Musiker den „Orden vom Goldenen Sporn“.

Mit Verleihung dieses Ordens war stets eine automatische Erhebung in den Adelsstand verbunden. Wolfgang Amadeus hätte sich nun „Ritter von Mozart“ nennen können. Und Vater Leopold hätte gewiss nichts dagegen gehabt, von diesem Publicity-trächtigen Umstand regen Gebrauch zu machen.  Darauf hatte der Sohn allerdings keine Lust, und verzichtete nachher auch zeitlebens auf die Benutzung des Adelstitels. 

Ein kleiner Seitenblick aufs historische Umfeld sei an dieser Stelle erlaubt, damit die musikalischen Sphären nicht immer so losgelöst vom Rest der Welt durch die Geschichte geistern. Während Mozart also seine Kassation und noch so mancherlei komponierte, respektive vom Papst in Rom zum Ritter geschlagen wurde, geschah anderwärts etwa dies:

Im Osten tobt der fünfte russisch-türkische Krieg; James Cook umsegelt die Welt und vereinnahmt den fünften Kontinent für ihre britische Majestät; in Paris heiratet der französische Thronfolger Ludwig XVI. Marie Antoinette von Österreich; derweil erblickt auf Korsika ein gewisser Napoleon Bonaparte das Licht der Welt und erhält auf den britischen Inseln der Schotte James Watt ein Patent für seine Erfindung der Niedrigdruckdampfmaschine.

Und was war in Deutschland? Dort erklimmt ein unscheinbares Männlein im Alter von 46  Jahren das Katheder, um die Menschheit aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit zu führen. Will sagen: Immanual Kant wurde ordentlicher Professor für Metaphysik und Logik an der Universität zu Königsberg.

Das, meine Damen und Herrn, ist mal wieder das Faszinosum Geschichte:  Der kleine Mozart, sein alter Herr und deren Zeitgenossen steckten mitten drin im Geschehen und konnten deshalb NICHT ahnen, was für uns im Rückblick sonnenklar ist: Die scheinbar unverbundenen Einzelereignisse von 1769/70 waren Bedingungsfaktoren für einen bald folgenden globalen Epochenumbruch, signalisiert durch die Französische Revolution und die beginnende industrielle Revolution. Weshalb ich mich gerade in diesen Tagen immer wieder frage: Für welche Zusammenhänge im vielgestaltigen Weltgeschehen der Gegenwart mögen wir als Zeitzeugen blind sein, während sie unsere Nachgeborenen einmal als logischerweise zusammengehörig betrachten werden.

Kleine lokale Randnotiz noch zum Jahr 1769: Es ist auch das Geburtsjahr von Franz Gerhard Wegeler, dem Beethovenfreund und -biografen, dessen Koblenzer Familiendynastie über Generationen eine wichtige Stütze des hiesigen Kulturlebens, insbesondere des Musiklebens, war und es bis auf den heutigen Tag ist.
Womit wir wieder bei der Musik und bei Mozarts Kassation wären. Was ist eine Kassation? So genau weiß man das nicht, Definitionen und Wort-Herleitungen gehen weit auseinander, wie meine verehrte Kollegin im Programmheft sehr schön aufdröselt.  Für unseren Zweck mag genügen, dass Kassation wie Serenade und Divertimento ein musikalisches Werk zur Unterhaltung meint. Mozart kapriziert sich auf abwechslungsreiche Mehrsätzigkeit. Die beginnent mit einem Marsch, dem ein weiterführendes Allegro, das Wechselspiel aus Menuetten und langsamen Teilen sowie ein schmissiges Finale folgen.

Die Kassation G-Dur KV 63 war wahrscheinlich als abendliche Freiluftmusik gedacht, mit der zum Abschluss eines Arbeits- oder Studienabschnitts den Fürsten, den Professoren und Meistern ein Ständchen gebracht wurde. Mithin handelt es sich um eine leichte Finalmusik, was dann auch als Abschluss unseres Konzertes so kurz vor den tollen Tagen famos passt.

Bleibt für diesen Vortrag noch der Blick auf den Mozartschen Gesangs-Block am heutigen Nachmittag. Bevor wir dem nähertreten, muss ich mal  wieder um Nachsicht für meinen Mangel an fremdsprachlicher Versiertheit bitten, vor allem hinsichtlich der korrekten Aussprache. Was sollte ich an diesem Pult nicht schon alles über die Lippen bringen: Spanisch, Portugiesisch, Tschechisch, Polnisch, Russisch, Französisch, Holländisch, Schwedisch, Isländisch etc. Und jetzt mal wieder Italienisch, von dem ich  auch kaum mehr verstehe, als was in den einschlägigen Speisekarten steht.
Der avisierte Gesangsblock umfasst zwei – italienischsprachige - Konzertarien von Mozart sowie die – ebenfalls italienschsprachige - Arietta „Voi che sapete“, die der Page Cherubino in der Oper „Le nozze di Figaro“ („Figaros Hochzeit) singt.

In diesem Block folgen wir nachher dem aus Irland stammenden blutjungen Mezzosopran-Talent Tara Erraught (das war jetzt Irisch) vom Himmel-Hoch-Jauchzend ins Zu-Tode-Betrübt der Liebe. Umgekehrt: Tara beginnt mit der Konzertarie  „Misera, dove son!“ in den tiefsten Tiefen der Verzweiflung.  Den Text holte sich Mozart aus dem Libretto von Pietro Metastasio zur Oper „Ezio“.  Die Arie ist ein Monolog über Schmerz und Verzweiflung, die eine Frau über den Tod ihres Geliebten empfindet. Ihr Unglück ist so total, dass sie nun auch für sich nichts als den Tod herbeisehnt.

Ein großer Stoff, den Amadé da vertont – und das eigentlich nur, um der Gräfin Baumgarten gefällig zu sein. Beim Komponieren der Arie hatte der zu diesem Zeitpunkt 25-jährige und kurz vor seiner Umsiedlung nach Wien stehende Mozart Rücksichten zu nehmen: Denn Frau Baumgarten - ihres Zeichens Favoritin des Kurfürsten Karl Theodor - sang zwar recht passabel, war jedoch keine professionelle Sängerin. Die gesangstechnischen Anforderungen mussten sich also in Grenzen halten,  die Arie sollte aber dennoch ordentlich Eindruck machen.

Und das tut sie auch. Weniger mit gesanglicher Glanzakrobatik, dafür umso mehr mit der gefühlig innigen Verbindung zwischen Musik und tragischer Textur. Hat eine Sängerin dafür das richtige Gespür, kann die Konzertarie „Misera, dove son“ zum bewegenden Erlebnis werden.

Die zweite Konzertarie unseres Gesangsblockes ist inhaltlich von ganz anderer Art und deshalb auch musikalisch ganz anders geartet. Den Text zu „Voi avete un cor fedele“ hatte der große venezianische Komödiendichter Carlo Goldoni für die Oper „Le nozze di Dorina“ von Baldassare Galuppi geschrieben. In dieser Arie reflektiert die Kammerzofe Dorina über die ebenso vertrackte wie zeitlose Diskrepanz zwischen ungestümer Liebeslust und sicherem Ehehafen.

Bei Goldoni spielt das Frauenzimmer mit zwei Verehrern, bei Mozart ist es nur noch einer. Was mit Sicherheit nicht daran liegt, dass Wolferl  moralische Bedenken gehabt hätte. Derlei lag dem lebenslustigen Genießer bekanntermaßen völlig fern. Warum auch immer er der Dorina nur einen Liebhaber gönnen mochte: Was er der Dame in seiner Konzertarie musikalisch an Koketterie, Zweideutigkeit, fraulichem Lockstoff mitgibt, hätte auch gereicht, drei Mannsbilder um den Finger zu wickeln.

Mit Cherubinos Sopran-Arie „Voi che sapete“ aus dem „Figaro“ wechseln wir zum Abschluss des Gesangsblockes auf die andere Seite des Geschlechterspiels. Hier sinniert ein „jungfräulischer“ Bursche über das Rätsel der Liebe und die noch größere Rästelhaftigkeit der Frauen. Die schlagen ihn mit einer Urgewalt in ihren Bann, der er sich völlig hilflos ausgeliefert fühlt. Die psychgologischen Mozart-Deuter sind sich weitgehend darüber einig, dass die Figur des Cherubino ein jugendliches Alter-ego des Komponisten ist. Gewissermaßen ein Selbstporträt, das der   30-jährige Mozart von sich selbst als etwa 15-Jährigem skizziert.

Ritterliche Verehrung für die herrschaftliche Dame, Sehnen nach großer Liebe, zugleich Empfänglichkeit fürs frivole Spiel der Erotik mitsamt  mächtig drängendem juvenilen Sexus – dass alles tobt, zu einer wilden  Melange verrührt, in des armen Cherubino Herz und Leib. Davon singt er  in seiner Arie, davon singt nachher Tara Erraught. Und einmal mehr   erweist sich dabei die Mozartsche Musik als große Kennerin und Versteherin des Menschlichen und Allzumenschlichen.

Womit ich am Ende wäre.

Hier noch die obligaten Hinweise:
Erstens: Das nächste Orchesterkonzert im Görreshaus gibt es am 10. Mai, und es ist – gemäß einem innigen Wunsch von Daniel Raiskin - ganz der russischen Musik für Balalaika und Orchester gewidmet.
Zweitens: Das Manuskript meines Vortrags können Sie wie immer von Montagmittag an im Internet unter www.pecht.info nachlesen.

Und nun wünsche ich viel Freude beim Konzert – sowie in den nächsten Tagen jede Menge Spaß beim Karneval – oder auch bei der Flucht davor. Danke. 


Andreas Pecht



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