Thema Kultur
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2009-02-28 Feature:

Mittelrhein-Kommune legt eigens für ihre nagelneue Stadthalle ein anspruchsvolles Theaterprogramm auf


Boppard traut sich was

 
ape.  Boppard hat eine neue Stadthalle, und darin startet am 6. März ein neues Kulturfestival. Hinter diesem erfreulichen wie simplen Sachverhalt verbergen sich zwei bemerkenswerte Phänomene. Erstens: Am Ort gab es die letzten 100 Jahre gar nichts, was sich Stadthalle nannte oder der Funktion einer solchen nahe gekommen wäre. Erstaunlich, denn die Stadt zählt 16 000 Einwohner und ist seit dem Mittelalter nicht eben die unscheinbarste unter den mittelrheinischen Ufergemeinden. Zweitens: Das Veranstaltungskonzept für die unlängst in Betrieb genommene Halle traut sich was. Es setzt in überraschend ambitionierter Weise auf ein ernsthaftes, anspruchsvolles Kulturprogramm als tragende Säule.


Fürs Programm ist Peter Korneli zuständig. „Im Hauptberuf Beamter“, stellt sich der Mittvierziger mit beruflichem Vorleben in Wien, München, Mainz vor. Seit 1997 steht er in Bopparder Diensten, besorgt dort unter anderem die Pressearbeit der Stadt, kümmert sich um Veranstaltungen, Kultur und Sonderprojekte. Korneli skizziert im Gespräch eine Dreifachfunktion für die Stadthalle: Sie soll Tagungszentrum sein; soll den Vereinen als Veranstaltungsraum dienen; soll im Dienste des öffentlichen Kulturauftrages die Bevölkerung mit hochwertiger Kultur auch von außerhalb versorgen.

Dafür ist die Halle mit einem 500 (bestuhlt) bis 900 (unbestuhlt) Besucher fassenden Hauptsaal gerüstet. Zu dem gehört eine ordentliche Bühne, ausstaffiert mit zeitgemäßer Kongress- sowie allerhand Theatertechnik, und groß genug selbst für die Rheinische Philharmonie. Das Staatsorchester spielte am 15. November 2008 mit einem klassischen Sinfoniekonzert zur Eröffnung des Hauses auf – setzte so zugleich ein Signal für das Anspruchsniveau des neuen städtischen Kulturprogramms. In dessen Mittelpunkt steht das eigens für die Stadthalle aufgelegte „Kulturfestival Boppard“ mit zwei Spielzeiten pro Jahr, die sich über jeweils vier Wochenenden im Frühjahr und im Herbst erstrecken.

Die erste Saison beginnt am 6. März mit einem Gastspiel des Landestheaters Detmold und   Dürrenmatts Schauspiel „Der Besuch der alten Dame“. Sie endet am 28. März mit der Shakespeare-Tragödie „Romeo und Julia“ vom Landestheater Dinslaken. Diese Spielzeit umfasst acht Abende. Einer davon bietet ein Klassikkonzert der Villa Musica, alle übrigen gehören dem Schauspiel. Neben den beiden genannten Stücken kommen auf die Bühne: Lessings „Minna von Barnhelm“, Arthur Millers „Tode eines Handlungsreisenden“, von Tennessee Williams „Endstation Sehnsucht“, von Samuel Beckett „Warten auf Godot“ sowie vom N.N. Theater Neue Volksbühne Köln ein „Nibelungen“-Projekt.

Mit dem Schwerpunkt auf ernsthaftem Sprechtheater unterscheidet sich das Bopparder Programm erheblich von den stark auf leichtes Entertainment fixierten Angeboten in der Umgebung. Peter Korneli weiß, dass er damit ein Wagnis eingeht. Aber: Koblenz ist weit, Mainz noch weiter -  weshalb „wir eine Programm-Nische gesucht haben, die sich im hiesigen Umfeld als marktfähig erweisen könnte, und von der wir inhaltlich überzeugt sind“. Fürs erste sieht es so aus, als hätten Korneli und Bürgermeister Walter Bersch die richtige Nase gehabt: Ihr Programm gegen den Trend zu platter Bespaßung scheint auf eine Marktlücke zu treffen. „Mit dem bisherigen Vorverkauf haben wir bereits eine Auslastung von über 60 Prozent erreicht“, freut sich Korneli. Das war vier Wochen vor Festivalbeginn und bedeutet mindestens 300 Besucher je Vorstellung.

Fortsetzung folgt im Oktober/November u.a. mit „Don Carlos“ (Schiller), „Amphitryon“ (Kleist), „Der Geizige“ (Molière), „Ende gut, alles gut“ (Shakespeare) oder „Die Leiden des jungen W.“ (Plenzdorf). Woher nimmt Boppard all das Theater? Korneli hat sich bei jenen deutschen Landesbühnen und freien Theatern umgetan, die nicht nur in Hessen, NRW, Baden-Württemberg, Sachsen, Rheinland-Pfalz oder anderswo ihre Stammhäuser professionell bespielen, sondern auch auf Tournee gehen. Bei denen hat er „eingekauft“, was ihm gelungen erschien. Dazu gehört im Herbst auch die Rheinische Kammeroper mit der Märchenoper „Hänsel und Gretel“ von Engelbert Humperdinck. Der berühmte Komponist lebte von 1897 bis 1901 in Boppard.

Initialzünder für dieses Kulturfestival war also die neue Stadthalle, die tatsächlich auch mitten in der Stadt liegt. An gleicher Stelle stand vorher die Sparkasse, deren ausgeräumte Schalterhalle „wir bis zum Abriss 2007 zwei Jahre provisorisch bespielten“. Hauptsächlich im Karneval, wie Korneli sich erinnert. Die Fassenachter sind für den Neubau ebenso dankbar wie die örtlichen Theateramateure oder der Taiko-Trommel-Verein: Endlich mal auf einer richtigen Bühne in einem schmuck-modernen Saal mit guter Akustik auftreten. Das ist  für die Vereine am Ort eine neue Erfahrung; wie es für die städtische Kulturpolitik Neuland ist, nun regelmäßig anspruchsvolles Kulturprogramm auf die Beine zu stellen.

Mit dem „Kulturfestival Boppard“ ist dafür ein solides Fundament geschaffen. Das jedoch kaum allein bleiben kann. Konzerte, Discoabende und  diverse Sonderveranstaltungen kommen hinzu. Derzeit bemüht sich Korneli um Programm-Weiterungen durch politisches Kabarett, Kleinkunst und Comedy mit Niveau. „Ein schwieriges Pflaster“, musste er schon feststellen. Denn einige der interessantesten Künstler mögen in Hallen mit weniger als 1000 Plätzen nicht auftreten. Doch wirft man in Boppard deshalb die Flinte nicht ins Korn, sondern bemüht sich weiter – Angebote von halbseidenen Bespaßungsagenturen selbstbewusst ausschlagend. Verhandelt wird unterdessen mit Berti Hahn vom Koblenzer „Café Hahn“ über eine Qualitätskooperation in der Kleinkunst-Sparte.

Und außerhalb der Veranstaltungen herrscht dann tote Hose in der Stadthalle? Mitnichten. Im  Hauptsaal sowie im kleinen Saal unterm Dach steckt der Tagungs- und Seminarbetrieb zwar noch in den Anfängen, lässt sich aber laut Korneli gut an. Zudem wird ein Stockwerk des Hauses von der Volkshochschule belegt. Deren Filmgruppe betreibt im Untergeschoss obendrein ein kleines Kino, das jedes Wochenende spielt und Montags hohe Filmkunst zeigt. So setzt die neue Stadthalle im Zentrum von Boppard nicht nur einen architektonisch reizvollen Kontrastpunkt. Dank  ambitionierten Programms hat das Haus die Chance, am Mittelrhein eine ganz eigene Farbe kleinstädtischer Kulturpflege zu etablieren. 

Infos:
www.kulturfestival-boppard.de
 


(Erstabdruck Woche 9 im Februar 2009)


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