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Thema Kultur / Geschichte
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2009-03-20 Kulturgeschichte:

Historisches Museum der Pfalz Speyer rückt schiefes Bild über „barbarische Nordmänner“ zurecht


 
Die große Zeit der Wikinger

 
ape. Speyer. „Die Nordmänner kommen!“ Entsetzensrufe dieser Art erklangen zwischen dem 8. und 11. Jahrhundert häufig an vielen Ecken der damals bekannten Welt. Sie galten den Wikingern, die mit ihren Langschiffen übers Meer kamen, plündernd und mordend Britannien, das Frankenreich, ja selbst den Mittelmeeraum heimsuchten. Das Historische Museum der Pfalz in Speyer  widmet den Wikingern derzeit eine umfangreiche Ausstellung. Die macht deutlich: Das landläufige Bild von den wilden Gesellen aus Skandinavien ist falsch. Sie waren nicht nur barbarische Piraten und wagemutige Entdecker. Sie waren auch Handwerker von Rang, geniale Schiffsbauer und Navigatoren, vor allem aber  überzogen sie als versierte Händler die Welt des Frühmittelalters mit einem Netzwerk aus Handelsverbindungen schier globalen Charakters.

Im Anfang war das Schiff. Mit ihm beginnt der Rundgang im Speyerer Museum. Warum? Weil eine hoch entwickelte Kunst, leichte, wendige, stabile und elastische Schiffe zu bauen, Grundlage der knapp 300 Jahre währenden Expansion der Wikinger war. Modelle, Werkzeuge, Arbeitsvideos machen deutlich: Mit der Axt entlang der natürlichen Maserung bearbeitete, raffiniert mit Streben und Mast verbundene Planken schufen Wasserfahrzeuge wie aus einem Guss, die Wind und Wellen nicht trotzten, sondern sie „ritten“. Diese Boote trugen die Mannen der verschiedenen Völkerschaften aus den Gebieten, die heute Dänemark, Schweden und Norwegen heißen, hinaus in die Welt.

Der Beginn der Wikinger-Zeit wird datiert auf den ersten schriftlich überlieferten Überfall skandinavischer Piraten fernab ihrer Heimat. Dem fiel 793 das Kloster Lindisfarne an der Nordostküste Englands zum Opfer. Das Ende der Nordmänner-Epoche markiert die Schlacht bei Hastings 1066, wo der englische König Harald Godwinsson dem normannischen Herzog Wilhelm (der Eroberer) unterlag. Ironie der Geschichte: Beide waren Wikinger-Abkömmlinge, beider Herrschaftsbereiche Resultat früherer Wikinger-Raubzüge. Normannen ist nur ein anderes Wort für Wikinger. Nach ihnen wurde die Normandie benannt, jener 911 vom Frankenkönig Karl (der Einfältige) dem Piratenführer Rollo in der Hoffnung überlassene Landstrich, die Raubzüge mögen dann aufhören.

Normannen, Rus, Waräger

Normannen hießen die Nordmänner in Westeuropa, „Rus“ (Ruderer) wurden sie von den Slawen genannt, noch weiter im Osten sprach man von den „Warägern“ (Schwurbrüder). Der Begriff  Wikinger war anfangs nur in England und bei den Genannten selbst in Gebrauch – nicht etwa als Name für ein Volk, sonder als Berufsbezeichnung: Wikinger gleich Pirat. Erst im 19. Jahrhundert, so eine Wandschrift in Speyer, sei das Wort in den allgemeinen Sprachgebrauch übernommen worden, um sämtliche Skandinavier jener drei Jahrhunderte zu benennen.

Hier die Abteilung Schiffbau, dort interaktive Spiele und animierte Landkarten, die in die Expansionszüge der Wikinger einführen. Drei Zuglinien werden signifikant. Erstens: Raubzüge 'gen Westen und Südwesten, also nach England, Irland, ins Frankenreich, ja selbst nach Spanien – inklusive Vorstöße über den Rhein bis nach Koblenz oder via Mosel vor die Tore Triers, nebst mehrfacher Plünderung des Klosters Prüm in der Eifel. Zweitens; Auswanderungs- und Entdeckerzüge Richtung Norden und Nordwesten, dabei  Besiedlung der Orkney- und Hebriden-Inseln sowie der Küste Grönlands, schließlich Überfahrt nach Nordamerika. Drittens: Ausbreitung  nach Osten vor allem als Handelsmacht über Nowgorod bis zur nördlichen Seidenstraße, nach Südosten übers Schwarze Meer bis nach Byzanz und in die arabischen Kalifate.

Zwischen Schiffbau und Expansion gibt die Ausstellung im Historischen Museum Speyer der   Alltagskultur der Wikinger breiten Raum. Für den berühmt-berüchtigen Hörnerhelm, den Klein-Wikie und große Haudraufs in Comic und Hollywood-Schinken zu tragen pflegen, fand die Archäologie keinerlei Beleg. Nein, die wilden Männertrugen Rindshörner nicht auf dem Kopf, sondern benutzten sie gelegentlich als Met-Humpen, hauptsächlich aber, wie allerhand Knochen auch, als Material für die Herstellung  von Alltagsgegenständen: Nadeln, Spangen, Kämme, Beinflöten etc. Doch die vermeintlichen Barbaren lebten längst nicht mehr in der Steinzeit. Schwerter, Kettenhemden, Kochgeschirre und Werkzeuge waren aus Eisen, Speyer dokumentiert in einer eigenen Handwerkerstraße mit originalen Exponaten und Videos einen Stand der Metallverarbeitung bei den Wikingern, der sich durchaus mit dem im damaligen Mitteleuropa messen kann.

Händler, Handwerker, Bauern

Gleiches gilt für die kunsthandwerkliche Ausgestaltung von Schmuck, der in der Schau reichlich vertreten ist – etwa mit den berühmten Schätzen von Gnezdowo, Hiddensee oder Westerklief. Leihgaben aus Museen in ganz Europa zeugen von einer Art kunsthandwerklichen Globalisierung auf den Wegen des Raubes, des Handels oder auch der Assimilation fremder Techniken und Ästhetiken. Regionalhistorisch interessant ist die große Zahl von archäologischen Funden  an ehemaligen Wikinger-Handelsplätzen, die aus dem Rheinland stammen. Glas und Keramik etwa, oder Mühlsteine aus Mayener Eifel-Basalt.

Wichtigstes Zahlungsmittel der Nordmänner war Silber. Eines ihrer wichtigsten eigenen Exportgüter waren allerdings Pelze. Nicht die Piraterie, sondern Jagd, Fischfang und vor allem Ackerbau galten auch für diese frühmittelalterliche Gesellschaft in ihrer Breite als Fundament. In erster Linie waren die Wikinger Bauern, selbst wenn die Männer mehrere Monate im Jahr, manchmal jahrelang “auf Tour“ gingen. Weshalb die Bedeutung der Frauen für das Funktionieren des Sozialwesens nicht hoch genug veranschlagt werden kann.

In der „Frauenfrage“, wie auch beim Blick auf die Herrschafts- und Besitzverhältnisse innerhalb der Wikinger-Gemeinschaften, schwächelt die Ausstellung etwas. In toto jedoch darf das Historische Museum der Pfalz mit dieser Schau eine multi-sinnlich ansprechende, überaus informative Erzählung über Leben und Zeit der Wikinger für sich verbuchen – die noch bis zum 12. Juli 2009 unser schiefes Bild von den „Barbaren aus dem hohen Norden“ zurecht rückt.                                                 Andreas Pecht

Infos: www.museum.speyer.de

                      
 
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