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2009-03-21 Konzertkritik:

Daniel Raiskin realisiert mit 120-köpfigem Klangkörper die 4. Sinfonie von Schostakowitsch

 

Landesorchester in Mainz
und Koblenz musizieren vereint

 
ape. Mainz/Koblenz. Was jetzt in Mainz, tags darauf in Koblenz zu erleben war, könnte man als die bislang einzige positive Seite der rheinland-pfälzischen Orchesterreform bezeichnen: Statt sich notgedrungen nur immer wechselseitig mit Musikern auszuhelfen, verschmolzen die Landesorchester in den beiden Städten diesmal vorübergehend zu einem 120 Köpfe starken Klangkörper. So konnte in der Phoenix-Halle, dann in der Rhein-Mosel-Halle die 4. Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch in angemessener Opulenz geboten werden.


Gewiss hätte sich solch ein Projekt auch ohne Jürgen Zöllners (ehemals Landeskulturminister) umstrittene Reform zwischen Rheinischer Philharmonie Koblenz und Philharmonischem Staatsorchester Mainz verabreden lassen: simple Kooperation zwecks Erfüllung der Besetzungsanforderungen für das gewaltige Werk. Vor dem Hintergrund des Reform-Ärgers hängt der Sache indes noch eine kulturpolitische Werbebotschaft an: Sehet, Rheinland-Pfalz kann trotz verkleinerter Orchester ganz groß.

Wie immer man das bewerten will – die von Daniel Raiskin dirigierten Abende bleiben als Kunstereignis davon unberührt. Der gebürtige Russe setzt der Sinfonie seines Landsmannes Schostakowitsch das Violinkonzert d-Moll des Armeniers Aram Chatschaturjan voran, Solist ist der Ukrainer Vadim Gluzman. Eine symbolträchtige Konstellation: Zwei Komponisten, die unter Stalin  angefeindet wurden, werden von zwei noch in der Sowjetunion geborenen Musikern der jüngeren Generation gewürdigt.

Vielleicht rührt es daher, dass das bisweilen als „folkloristischer Schmachtfetzen“ abgetane Violinkonzert hier mit Ernst angepackt wird. Gluzman lässt sich nicht verleiten, den  volkstümlichen oder ballettösen Anklängen des Werkes mit augenzwinkerndem Musikantentum zu Leibe zu rücken. Wo manche seiner Kollegen fast persiflierend pittoresken Schmalz aufgetragen haben, behauptet er in melodiösem Sinnen wie scharf akzentuiertem Auftrumpfen echtes Gefühl. Das ist russische Seele jenseits von wohlfeilem Kasatschok-Tinnef, ist Violinspiel jenseits platter  Effekthuberei.

Für Chatschaturjan genügt noch ein Orchester; der Mainz-Koblenzer Doppelapparat kommt erst nach der Pause für Schostakowitsch zum Einsatz. Mit schrillen Signalen setzt sich wuchtig ein Weltenmotor in Gang, der stampfend eine bedrohliche Maschinerie antreibt. Die hämmert und hackt, sägt und stanzt, rollt und knirscht. Manchmal wispert und schnurrt sie auch - wie um Atem zu holen für den  Volllastbetrieb, bei dem sie dann als kreischender, tobender, die Himmel erschütternder Moloch auftritt.

Ja, der erste Satz hat Sonatensatzform; der zweite hebt als Tanzform im Dreiertakt an, der dritte... Aber was sagen Formalien schon bei einem Werk, das die Dialektik von Gewalt und Furcht, Ruhe und Getriebensein, kalter Berechnung und inbrünstigem Sentiment, Breitwandtotale und individueller Winzigkeit als Elemente einer Wesenheit verhandelt: der menschlichen Gesellschaft, des Menschen selbst. Wie bei so vielen bedeutenden Kunstwerken geht es auch in der 4. Schostakowitsch-Sinfonie um mehr als Musik. Raiskin und seine 120 Mitstreiter wissen, dass sie die Lebenstragödie schlechthin fühlbar machen sollen.

Ihr Engagement ist danach: An keinem Pult nur Dienst nach Vorschrift, in keinem Register Leichtfertigkeit. Und der Dirigent leistet Schwerarbeit bei dem Bemühen, zwei Orchester vereint durch ein sehr schwieriges Gelände zu führen. Das Ergebnis kann sich hören lassen - auch und gerade weil es dem Zuhörer im Geiste des Komponisten allerhand abverlangt: Indem es ihn unerbittlich mit der Zwiespältigkeit des Daseins konfrontiert und ihn am Ende ungetröstet entlässt. So bitter kann Kunst sein.                                                                                                  Andreas Pecht   

(Erstabdruck am 23. März 2009)
 
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