Kritiken Theater
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2009-04-03 Schauspielkritik:

Martin Oelbermann inszeniert "Ilias"
nach Homer am Staatstheater Mainz


Fünf junge Männer von heute
über den Trojanischen Krieg
 

ape. Mainz.  
„Hetzend von Mord zu Totschlag; und Blut umströmt die Erde“. So schreibt Homer in seiner „Ilias“ über den Zorn des Achilles. Am Mainzer Staatstheater brauchen fünf junge Männer gerade 100 Minuten, um das Wichtigste aus den 24 Gesängen des gewaltigen Versepos in einer szenischen Erzählung zu erhellen. Sie steppen, singen, mimen, deklamieren, schwatzen – und machen das älteste Zeugnis abendländischer Dichtung kurzweilig auch jenen zugänglich, die keine althumanistische Schule genossen haben.


Von 51 Tagen aus dem zehn Jahre währenden Trojanischen Krieg um die schöne Helena berichtet die „Ilias“.  Regisseur Martin Oelbermann hat das Epos radikal entschlackt, hat vor allem unzählige Schilderungen von Gefechten gestrichen. Es bleibt die Geschichte vom schmollenden Helden Achilles, der König Agamemnon auf dem Schlachtfeld im Regen stehen lässt. Erst als sein Freund Patroklos von Hektors Hand fällt, kehrt Achilles in den Kampf zurück – berserkerwütig „hetzend von Mord zu Totschlag“.

Oelbermann legt seiner Inszenierung eine eigenwillig heutige Deutung von Homers Text   zugrunde. Gregor Trakis, Tim Breyvogel, Stefan Graf, Moritz Pliquet und Lorenz Klee sprechen, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Und siehe: Wir begreifen auf Anhieb, was bei getreulichen Übersetzungen des 2700 Jahre alten Originals oft rätselhaft blieb. Die fünf treten mal als Berichterstatter auf, schlüpfen mal schwarzledern in die Rolle homerischer Krieger oder persiflieren in Travestiekluft olympische Götter.

Bloß ein schriller, das uralte Werk respektlos auf die Schippe nehmender Ulk? Mitnichten. Was sich da auf einer über zwei schräge Rampen vom Zuschauerraum zum hohen Turm ansteigenden Gerüstkulisse (Ausstattung: Marc Thurow) abspielt, lohnt das genaue Hinsehen und -hören. Denn Oelbermann gibt der verkürzten „Ilias“ allerhand Elemente antiker Tragödie mit. Immer wieder übernimmt das Quintett die Funktion des Chors. Stark rhythmisierte Sprechgesänge  zeichnen geraffte Schlachtengemälde in den Äther: „Hau, stech, stoß, schrei, würg, kotz....“. Daktylische Hexameter treffen auf Rap-Stil;  und gemeinsam drücken sie aus, was bei Homer  zwischen den Zeilen wabert.

Zu gespielten Szenen gesellt sich das geschriebene Wort, projiziert auf  transparenten Gaze-Vorhang an der Rampe oder die rückwärtige Bühnenwand. Und wie unter den Masken des antiken Theaters jeder jede Figur darstellen konnte, so wechseln auch die fünf mit trefflichem Verve aufspielenden Männer in Mainz fortwährend die Rollen: Jeder stellt bald Achilles, bald Zeus, bald Hera … vor, mal im Jugendsprech nöhlend, mal hohen Verston deklamierend.

Was Mainz da zeigt, ist eine fürs 21. Jahrhunderts (be)greifbar gemachte „Ilias“.  Schlüssig, aufgeräumt, mit kluger Flapsigkeit, theatralischer Gescheitheit, voller Saft, Kraft, Ernst und Humor wird des Menschen und seiner Götter widersprüchliches Wesen verhandelt – das der Liebe wegen blutrünstigen Hass entfacht.                                                                                               Andreas Pecht


Info/Karten: www.staatstheater-mainz.de

(Erstabdruck am 4. April 2009)


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