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2009-05-11 Ballettkritik:

"Faust"-Ballett von Jean-Christoph Maillot feiert
Deutschlandpremiere bei Wiesbadenen Maifestspielen

Menschentragödie verloren im Pathos der Schönheit

 
ape. Wiesbaden.  Mit seiner Inszenierung der Oper „Faust“ von Charles Gounod hatte Jean-Christophe Maillot dem Staatstheater Wiesbaden einen der größten Erfolge in der Spielzeit 2006/2007 auf die Bühne gestellt. Jetzt kehrte der Regisseur und Choreograf mit einem weiteren „Faust“-Projekt nach Wiesbaden zurück: Im Rahmen der Maifestspiele gab „Les Balletts de Monte-Carlo“ zwei Abendvorstellungen seiner Tanz-Adaption des Goethe-Klassikers – als Deutschlandpremiere.

Die Publikumsmehrheit jubelt, dem Kritiker bleibt etwas rätselhaft, worüber eigentlich. Dissens dieser Art kommt gelegentlich vor. Nicht, dass wirklich schlecht wäre, was Maillot und seine monegassische Compagnie da machen. Rot aufgeschminkt Mephisto in fünffacher Ausgabe, Faust in weißem Sommeranzug versechsfacht, Gretchen kurzberockt gleich als 15-köpfiges Mädchenensemble. Dazu geistert eine einsame, bei Goethe nicht vorkommende, unheimliche Figur ganz in Schwarz durch die Szenerie, lenkt das menschliche Personal wie Marionetten: Primaballerina Bernice Coppieters als der Tod.

Der Tanz in großen Formationen wie intimen Phasen zeugt von klassischer Schule, benutzt freilich vielfach auch jüngere Stile. Das alles auf hohem technischem Niveau. Beim Bühnenbau zitiert Rolf Sachs absichtsvoll Elemente aus seiner Kulisse für die „Faust“-Oper von 2007: Große Symbolik des Kreuzes und des vom Himmel kopfüber herabhängenden Baumes der Versuchung. Das Kreuz steht zunächst als weißes Sinnbild gläubiger Unschuld hinter Gretchens Bett. Nachdem die Maid und Faust vom verbotenen Apfel genascht und sich der Lust hingegeben haben, erscheint es halb gestürzt und blutrot triefend wieder.

Man kennt seinen „Faust“ und erkennt deshalb bald: Sinnlos ist diese Symbolik so wenig wie die Konzentration des klassischen Stoffes auf das Moment „Liebe und Lust“, das dem Doktor Faustus bei seiner Suche nach dem innersten Zusammenhalt der Welt noch abging. Und hübsch anzusehen ist das alles sowieso, denn getanzt wird da voller Anmut und Grazie – das „Faust“-Ballett von Maillot verströmt das Pathos symbolischer Fingerzeige im Gewande äußerer Schönheit. Diese Manier wird durch die Verwendung von Franz Liszts Faust-Sinfionie als Musikbasis noch verstärkt. Anfangs wirksame Brechungen durch ein Klangwerk von Maillots Bruder Bertrand haben sich bald verflüchtigt.

Mag sein, der Gleichmut, den diese Ballett-Arbeit beim Beobachter hinterlässt, rührt daher: Hübschheit, Grazie oder das Pathos der Schönheit sind nicht, was man mit „Faust“ verbindet;  erst recht nicht von einer zeitgenössischen Auseinandersetzung mit dem Stoff erwartet; gleich gar nicht, wenn der künstlerische Anspruch erhoben wird, die tödlichen Abgründe im Dreieck zwischen Faust, Mephisto und Grete auszuleuchten.

Rätselhaft bleibt, warum der Choreograf die Chance ungenutzt lässt, mit der Versechsfachung des Faust auch multiple Aspekte der Figur zu verhandeln. Stattdessen bekommt das Stück Längen, wo ein ums andere Mal derselbe Gedanke in gleicher Weise wiederholt oder zerdehnt wird. Einen ganz großen Moment jedoch gibt es, während dem zwischen aller kunstvollen Künstlichkeit das Ballett einem wirklichen Dilemma  nahetritt: Madame Tod weckt des nachts im keuschen Gretchen frauliches Sehnen. Wie Mimoza Koike die Ambivalenz von Unschuld und Libido entwickelt, das ist ein berührendes Bravourstück  der Verschmelzung ballettösen Ausdrucks und menschlichen Fühlens. Andreas Pecht

(Erstabdruck am 12. Mai 2009)


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