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2009-05-25 Schmuckszene:

Fünftes Symposium "Schmuck-Denken" Idar-Oberstein:
Vom Fetisch zum geliebten Objekt
 

Symbolische Brücke zwischen Zeitaltern und Bewusstseinsebenen

 
ape. Idar-Oberstein. Schmuck – nur eine schöne Nebensache? In der Kunstgeschichte wurden Ringe, Broschen, Halsketten meist bloß als Fußnote behandelt. Zu unrecht, meint man in Idar-Oberstein. Weshalb Stadt und örtliche Fachhochschul-Abteilung für Edelstein- und Schmuckdesign seit 2005 jährlich zum Symposium „Schmuck-Denken“ einladen. Auch heuer kamen Schmuckkünstler und Theoretiker aus mehreren europäischen Ländern und Übersee zum Colloquium an der Nahe.

Im fünften Jahrgang „unterwegs zu einer Theorie des Schmucks“ nahm das zweitägige Symposium die Funktion von Schmuck für seinen Träger genauer in den Blick. Schmuck als Attribut, als Signal an die Außenwelt, wie der Träger sich sieht und/oder gesehen werden will. Schmuck als geliebtes Objekt, das an wertvolle Menschen und Augenblicke erinnert. Schmuckstücke als Fetische, die gegen Unbilden schützen oder das Glück fördern.

Interdisziplinär weiter Horizont ist ein Wesenzug des Idar-Obersteiner Diskurses. Vergleichbares gibt es in der Schmuckszene Europas sonst nicht, entsprechend aufmerksam werden dort die Impulse von „Schmuck-Denken“ verfolgt. In diesem Jahr etwa die Hinweise des Karlsruher Medientheoretikers Wolfgang Ullrich, der aus jüngeren Werbetrends auf dem Konsumgütermarkt regelrechte Konkurrenz für die Schmuckkunst erwachsen sieht.

Moderne Werbung, so Ullrich, hebt weniger auf den Gebrauchswert von Produkten ab. Stattdessen propagiert sie Lebensstile und -gefühle. Duschgel dient nicht bloß der Körperpflege: Werbung bis hin zum Verpackungsdesign verspricht besondere Erlebnisse, gar Persönlichkeitsstärkung – hier das Gel für den sportiven Typ, dort das für den sinnlichen. Mit der Wahl des Produkts entscheidet sich der Kunde für ein Selbstbild. Heutige Werbung setzt mit warenästhetischer Erziehung neue Normen. Wie vom Schmuck, so verlangen die Menschen von Konsumgütern „Verändere mich!“. Mach mich schön, stark, frei, glücklich.

Vom Warenfetisch der Gegenwart zum Beschwörungsfetisch prämoderner Kulturen. Schmuckstücken sei dort immer Sinn und Wirkung zugeschrieben worden, leitet der Ethnologe Karl-Heinz Kohl aus seiner Forschung über westafrikanische Völker ab. Schmuck ist noch Zaubermittel, also Fetisch, beispielsweise gegen das Böse oder für Fruchtbarkeit. Freilich erst, nachdem der Zauberpriester das Stück mit einem Ritual aufgeladen hat.

In Idar-Oberstein vom Frankfurter Psychologen Tilmann Habermas vorgestellte Untersuchungen  skizzieren ein Bild von der Bedeutung des Schmucks für junge Leute heute. Studenten nennen in einer Befragung nach dem für sie bedeutendsten persönlichen Objekt Schmuckstücke an vierter Stelle nach Briefen, Fotos, Tieren und „Vehikeln“ (Auto/Fahrrad). Als wichtigste Funktion des Schmucks wird sein Wert im Dienste privater Erinnerung an jemanden oder etwas genannt. Damit wird Schmuck zum gebrauchsoffenen Medium: Einerseits ist er privatsprachliches Symbol, dessen Bedeutung kein Außenstehender versteht; andererseits kann er vom Betrachter nach Gusto mit neuer Bedeutung aufgeladen werden.

An Kohls Einlassungen über die Fetischkultur in Westafrika knüpft die Berliner Kultursoziologin Viola Altrichter an mit einem Modell der menschlichen Entwicklung vom magischen über das mythische zum mentalen/aufgeklärten Bewusstsein. In der Frühzeit galten Himmel und Erde, Mensch und Natur, Ich und Universum als Einheit. Der angemessene Umgang mit dieser Welt waren Magie und Ritual. Mit den ersten Hochkulturen kamen die Schöpfungsmythen, wurden Götter- und Menschenwelt getrennt, der ewige Kampf Gut gegen Böse und die dazugehörigen Kriegshelden nebst Machtstrukturen geboren.

Das mentale Bewusstsein der Neuzeit schließlich, so Altrichter, hat die vorherigen Epochen zwar radikal abgelöst, sie indes nicht aufgehoben. Weshalb wir heute in dem scheinbaren Paradoxon leben, dass unser Dasein streng rational strukturiert ist, sich aber zugleich die Neigung zu magisch und mythisch Aufgeladenem verstärkt. Was sich in der Renaissance der Religion und im Esoterik-Boom ebenso ausdrückt wie in der Vorliebe für Massenevents, im Starkult oder im neuen Breitenphänomen der Tätowierung und Schmuckbenutzung.

Offenbar ist es dem modernen Mensch unmöglich, ganz ohne sein Erbe aus magischer wie mythischer Zeit auszukommen. Und Schmuck ist, das wurde beim Symposium in Idar-Oberstein deutlich, eine symbolische Konstante der Kulturgeschichte, die auch eine Brücke zwischen Zeitaltern und Bewusstseinsebenen sein kann.                                                                      Andreas Pecht


(Erstabdruck 22. Woche im Mai 2009)


Berichte von den Symposien der Vorjahre:

2009-05 Dossier:
Die Symposien "Schmuck-Denken" 1-4 (2005 bis 2008) in Idar-Oberstein
 
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