Thema Politik
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2009-06-11 Analyse:

Wahlerfolge der kleineren Parteien werden die
politische Kultur in Deutschland verändern

 

Politik wird etwas schwieriger,
die Demokratie lebhafter


 
ape. Der Wahlsonntag wirkt nach, in Deutschland, in Rheinland-Pfalz erst recht. Ob Europa- oder Kommunalwahl: Die großen Parteien werden kleiner, die kleinen werden größer und die politische Landschaft differenziert sich immer stärker. Die Frage drängt sich auf: Wie verändert diese Entwicklung die politische Kultur, ist sie eine Gefahr oder eine Chance für die Demokratie?
 
Es sind zurzeit viele Deutungen der Wahlergebnisse in Umlauf. Die Verlierer versuchen zu relativieren. CDU: Wir bleiben stärkste politische Kraft. SPD: Der rapide Abwärtstrend ist gestoppt. Man kann es auch anders sehen: Die SPD würde jubeln, hätte sie  so viel hinzugewonnen wie die Linke; die Union wäre überglücklich, hätte sie weniger Stimmen verloren als die FDP zugelegt. Zur Erinnerung die Zahlen der Kommunalwahl in Rheinland-Pfalz: CDU -7,3 Prozent, SPD +0,6, FDP +3,1, Grüne +1,0, Linke +2,6 und freie Wählergruppen +0,5.

Die Tendenz ist im Durchschnitt der hiesigen Kommunen dieselbe wie bei den deutschlandweiten Ergebnissen zur Europawahl, nur dass in Rheinland-Pfalz die CDU noch etwas stärker abbaut, während die SPD marginal zulegt, statt leicht zu verlieren. Gewinner sind hier wie dort  die kleinen Parteien. Folge:  In vielen Stadt- und Gemeinderäten sowie Kreistagen sind nicht mehr zwei bis vier, sondern vier bis sechs Gruppierungen vertreten.  Diese Tendenz findet sich in sämtlichen Bundesländern, die jetzt Kommunalwahlen hatten.

Falsch wäre die Annahme, dieses Phänomen rühre bloß daher, dass wegen eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts im Februar 2008 für die Kommunalwahlen die Fünf- respektive Drei-Prozent-Hürde abgeschafft wurde. Das verstärkt zwar den Trend zur Höhergewichtung der Kleinen etwas, hat ihn aber nicht verursacht. Denn die Schrumpfung der Großen und das Wachstum der Kleinen dauert schon zwei Jahrzehnte an. Mit dem Ergebnis: Im Bundesdurchschnitt ist die CDU eine Partei im 30-Prozent-Bereich geworden, die SPD im 20-Prozent-Segment.

Sollte es in den kommenden Jahren bei Union oder Sozialdemokraten zu signifikanten Ausschlägen nach oben kommen, dürften diese wohl ebenso als vorübergehende Ausnahmeerscheinung zu werten sein, wie der Umstand, dass die Grünen in dieser Legislaturperiode im Mainzer Landtag abwesend sind. Und, es mag einem gefallen oder nicht: Selbst die Rheinland-Pfälzer sollten sich schon mal mit dem Gedanken vertraut machen, dass früher oder später, wie im Bundestag, auch in ihrem Landesparlament sogar eine fünfte Partei sitzen könnte.

Ist diese Auffächerung des Parteienspektrums mit tendenzieller Gewichtsverlagerung von den großen zu den kleinen Parteien ein Problem für die Demokratie? Werden dadurch Bund, Länder, Gemeinden schwerer regierbar, gar unregierbar, wie einige aufgeregte Kommentatoren meinten?

Fest steht dreierlei.
Erstens: Bürger und erst recht langjährig aktive Parteipolitiker, Räte, Bürgermeister werden sich umgewöhnen müssen. In vielen Kommunalparlamenten wird es nun bohrende Nachfragen zu und offenen Disput über Dinge geben, die bis dato tatsächlich oder auch nur scheinbar unstrittig waren. Die Praxis, sich vorweg im kleinen Kreis zu einigen, die Sache dann vom  Rat nur noch abnicken zu lassen, hat es fortan schwerer.

Zweitens: Die Auffächerung der Parteienlandschaft spiegelt den anhaltenden Zerfall der traditionellen Parteimilieus und die Differenzierung der politischen Meinungen in der Bevölkerung wider. Dank Abschaffung der Sperrklausel kommen die Kommunalwahl-Ergebnisse dem tatsächlich existierenden Meinungsspektrum näher als jede andere Wahl. Dadurch werden auch einige sehr unangenehme Wahrheiten unübersehbar und unverdrängbar.

Drittens: Die Demokratie geht nicht unter  und die Kommunen versinken nicht im Chaos, wenn die alten „Volksparteien“ mal nicht mehr alleine das Kommando führen. Ein Blick nach Baden-Württemberg mag hilfreich sein. Freiburg und Tübingen haben schon eine Weile grüne Oberbügermeister. In Tübingen haben die Grünen jetzt 33 Prozent eingefahren (CDU 19, SPD 16). In der Landeshauptstadt Stuttgart sind sie mit 25 Prozent stärkste Fraktion geworden (CDU 24, SPD 17). Zugleich sitzen in allen drei Städten daneben noch freie Wählergruppen und ein oder zwei Links-Fraktionen im Rat. Ob solche Verhältnisse wünschenswert sind oder nicht, sei dahingestellt. Sie sind jedenfalls Ausdruck einer lebendigen, funktionierenden Demokratie.

In Stuttgart, ebenso  in Mainz und Koblenz, haben  Bürger wegen konkreter lokaler Einzelthemen  (Großbahnhof, Kohlekraftwerk, Zentralplatz) ihre Stimmen in großer Zahl kleinen Parteien oder neuen Gruppierungen gegeben. Für viele Wähler war es gewiss ein schwerer Schritt, in der Wahlkabine von ihrer angestammten Parteipräferenz für CDU oder SPD abzurücken. Aber es war ein bewusster politischer Akt bürgerschaftlicher Einmischung in die Geschicke der eigenen Kommune. Man mag die jeweilige Zielsetzung solchen Wahlverhaltens begrüßen oder ablehnen: Es handelt sich im Grundsatz doch um Akte gelebter Demokratie.

Freilich: Das politische Geschäft wird kaum einfacher  dadurch, dass diejenigen, die noch wählen gehen, nicht mehr automatisch für die eine oder andere Großpartei stimmen. An die Stelle eines allfällig von zwei Platzhirschen dominierten Streits um Erbhöfe tritt ein zwar etwas komplizierter gewordener, aber offener politischer Wettbewerb um Ideen, Richtungen, Lösungen. Eine lebhaftere Demokratie eben.                                Andreas Pecht

(Erstabdruck 12. Juni 2009)

Europa-Wahl, Kommunalwahl, Rheinland-Pfalz, Erfolge kleiner Parteien, Analyse
 
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