Kritiken Theater
homezur Startseite eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor Seitenübersicht • sitemap • Plan du siteÜbersicht sitemap Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken

2009-06-15 Schauspielkritik:

"Figaro! Der tolle Tag" - Komödie von Beaumarchais
am Staatstheater Wiesbaden


Zuerst war „Figaro“ ein revolutionäres Schauspielstück
 
 
ape. Wiesbaden.  Mozarts Oper „Die Hochzeit des Figaro“ ist ein ewiger Hit im Theaterrepertoire. Am Wochenende gerade in Mainz neuinzeniert, kommt sie jetzt in Wiesbaden als Wiederaufnahme ins Programm. Zuvor aber hatte jetzt im Kleinen Haus des Hessischen Staatstheater die weit weniger bekannte Figaro-Komödie von Pierre Augustin Caron de Beaumarchais Premiere. Um 1780 entstanden, also sechs Jahre vor der Oper, erzählt die Schauspielversion im Prinzip dieselbe Geschichte – textlich allerdings schärfer auf renitente Sozialkritik abhebend als das Libretto von Lorenzo da Ponte für die commedia per musica Mozarts.
 
Nach der Lektüre von Beaumarchais’ Skript empörte sich Frankreichs König Ludwig XVI.: „Das ist abscheulich, das wird niemals gespielt werden. Da kann man ja gleich die Bastille abreißen. Dieser Mann macht sich über alles lustig, was man an der Obrigkeit respektieren muss.“ Für drei Jahre zog die Zensur das Stück dann aus dem Verkehr. Als es 1783  – auch dank der Protektion von Marie-Antoinette – doch aufgeführt wurde, geriet ganz Paris in schieren Aufruhr. So kam die  Komödie nachher in den Ruf, eines der frühen Totenglöckchen für das Ancien Régime gewesen zu sein.

An diese historischen Zusammenhänge erinnert das Wiesbadener Programmheft zum Figaro-Schauspiel. Weshalb es der interessante Aspekt des Abends ist. Das Bühnengeschehen selbst bleibt reines Vergnügen: Tilman Gersch hat eine mit kräftigem Chargenspiel in quietschbunter Kostümerie frivolisierende Posse inszeniert. Solche Spielweise darf  durchaus als dem Stück angemessen gelten. Denn Beaumarchais selbst arbeitete sehr bewusst nach der Methode, die ganze alte Ordnung peu à peu durch dick-süßen Kakao zu ziehen.

Das feudale Gottesgnadentum: Plunder, Zufall, wie Dienstmann Figaro (Michael von Burg) erklärt; ein Schlaumeier, der mit raffinierter Intrige die Widersprüche bei Hofe zum Tanzen bringt. Die feudale Justiz: Völlig vertrottelt, aber der Herrschaft willfährig. Der hochwohlgeborene Herr Graf (Michael Günther): Dümmlicher, mit dem Unterleib denkender Möchtegern, der das Recht der ersten Nacht zwar abgeschafft hat, dennoch dem Zimmermädchen Suzanne vor ihrer Hochzeit mit  Figaro an die Wäsche will.

Und Suzanne selbst? Bei Friederike Ott eine hübsche Maid, die ihren fraulichen Esprit mal keck, mal schmollmundig mit scharfem Verstand als Waffe im eigenen Interesse einzusetzen weiß. So hält sie sich den geilen Grafen vom Leib und den Schoß bereit für Figaro, dem sie zugleich demonstriert, wie man Intrigen richtig spinnt: als schlagkräftige Fraueneinheitsfront mit der Gräfin (Evelyn M. Faber). Liebling des Publikums ist Zygmunt Apostol als poetischer Alters-Depp Cherubim und Klavier spielendes Faktotum im Hinterbühnen-Fundus eines Varietés. Dort nämlich hat die Regie den „Figaro“ von Beaumarchais als Theater im Theater angesiedelt (Ausstattung: Henrike Engel).

Soll sagen: Da spielen Leute von heute in zufällig gegriffenen Flitter-Kostümen eine Story von vorgestern. In diesem amüsanten Konstrukt verbirgt sich womöglich der gescheite Hinweis: „Figaro“ ist von seinem Wesen her ein revolutionäres Stück, denn schlussendlich obsiegt die Frau aus dem Volk, Suzanne, über Feudalherrschaft, Klassenjustiz und Männeranmaßung. Darin steckte einst ungeheure Sprengkraft. Für die sind wir ziemlich unempfindlich geworden. Darum kommt uns „Figaro“ inhaltlich heute oft bloß wie ein kleines Komödchen vor – mal mit Mozarts großer Musik, hier mal ohne sie.                               Andreas Pecht

(Erstabdruck am 16. Juni 2009)

Info: www.staatstheater-wiesbaden.de


Diesen Artikel weiterempfehlen was ist Ihnen dieser Artikel
und www.pecht.info wert?
 
eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor
eMail an webmaster • eMail to webmaster • contact webmastereMail an webmaster Seitenanfang • go top • aller en-hautan den Anfang Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken