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2009-08-17b Vorbericht:

Ausblick auf Spielzeit 2009/2010 an Dreispartenhäusern Mainz, Kaiserslautern, Koblenz und Trier

 

Theater – belebend für Hirn und Herz

 
ape. Rheinland-Pfalz. „Das Theater war der Ort, wo Probleme, die alle angingen, behandelt wurden. Es war der Ausdruck einer Zeit, die eine Antwort suchte."  Dies schrieb der Kritiker Hans Sahl im Rückblick auf seine jungen Jahre in der Weimarer Republik. Jetzt sucht die in tiefe Krisenhaftigkeit gestürzte Gegenwart wieder nach Antworten. Das Theater kann sie nicht geben – aber es steuert ganz eigene Blickwinkel zum Diskurs bei. Das verdeutlicht unsere Vorschau auf die Spielzeit 2009/2010 an rheinland-pfälzischen Bühnen. Es wird eine spannende Saison.     


Auf dem Tisch die Spielzeithefte von Pfalztheater Kaiserslautern, Staatstheater Mainz sowie den Stadttheatern Koblenz und Trier. Warum dieses Quartett? Es handelt sich bei den vieren um die „Großbetriebe“ der Kunstszene in Rheinland-Pfalz. Allesamt sind sie Dreispartenhäuser, die mit eigenen Ensembles Musiktheater, Schauspiel und Ballett gestalten. Mehr als eine halbe Million Besucher können diese vier zusammen je Spielzeit begrüßen.

Die Zahl wäre noch größer, würde man das Theater im Pfalzbau Ludwigshafen und die kleine Landesbühne im Schlosstheater Neuwied hinzurechnen. Die beiden stehen ebenfalls in Trägerschaft der Öffentlichen Hand, arbeiten allerdings ohne eigene Ensembles und mit hohem Gastspielanteil. Der besteht in Luwigshafen aus „außergewöhnlichen Theaterproduktionen der ganzen Welt und Einblicken in die internationale Tanztheaterszene“ wie Intendant Hansgünther Heyme erklärt. Neuwied bietet traditionell einen boulevardesk angehauchten Spielplan mit Abstechern ins klassisch-ernste Metier. Alle sechs Theater tragen erheblich zu dem bei, was man Urbanität nennt: Sie sind an den meisten Tagen des Jahres wichtige Säule des innerstädtisch-abendlichen Kulturlebens.

Die vier Dreispartentheater mit eigenen Ensembles werden über die im September beginnende Spielzeit 2009/2010 nicht weniger als 95 Neuinszenierungen vors Publikum bringen.  Bemerkenswert, dass davon mehr als die Hälfte Werke der klassischen Moderne des 20. Jahrhunderts oder Gegenwartsstücke sind, darunter 25 Uraufführungen und deutsche Erstaufführungen. Schon die Zahlen zeigen: Das Theatergeschehen in Rheinland-Pfalz steht auf der Höhe der Zeit.

15 der 25 Ur- und Erstaufführungen kommen in Mainz auf die Bühne. Damit unterstreicht das größte Theater (zuletzt rund 205 000 Besucher) und zugleich einzige Staatstheater im Land seine in den vergangenen zehn Jahren erarbeitete Position als eine der wichtigen deutschen  Erstaufführungsstätten. Der Schwerpunkt liegt dabei auf jungem Schauspiel und modernem Ballett. „Wir setzen auf Zeitgenossenschaft“, betont Intendant Matthias Fontheim.

Unter dem Motto „Geld Macht Gier“ soll in der Schauspielsparte das heutige Wirtschaftssystem und dessen Umgang mit den Menschen kritisch beleuchtet werden. Neue Stücke handeln in Mainz vom Ringen zwischen Würde und Entfremdung bei der Arbeit, vom Behauptungswillen der Senioren, vom Einfluss des Fernsehens aufs Denken oder von der „Abschaffung der Arten“ in einer sich selbst vernichtenden Zivilisation. Neben den aktuellen Fragen, kommen in klassischen Werken die ewigen Probleme von Herz und Verstand, Herrschaft und Knechtschaft, Liebe und Hass zur Sprache: Etwa mit „Die Perser“ von Aischylos oder Shakespeares „Richard III.“, mit Bühnenadaptionen von Schnitzlers „Traumnovelle“ oder Tolstois „Anna Karenina“.

Die Oper in Mainz bietet eine eher vertraute Stückauswahl, zusammengehalten von der Suche nach   starken, leidenschaftlichen, gewitzten Frauen wie Carmen, Dido, Salome und Madama Butterfly.  Dem Opernfreund sind das zwar alte Bekannte. Doch gehört zu den ureigenen Möglichkeiten des Theaters, an den Figuren und ihren Geschichten stets noch unbekannte Seiten zu entdecken. Für Puccinis „Butterfly“ hat die Mainzer Intendanz eine ebenso prominente wie für Überraschungen gute Meisterin ans Regiepult engagiert: Katharina Wagner, Urenkelin von Richard Wagner und Co-Chefin der Bayreuther Festspiele.

Zwei anderer Personalien werden die ganze Saison über besonderes Augenmerk auf Mainz und Koblenz ziehen. Nachdem Martin Schläpfer und seine Ballettkompagnie das Staatstheater Mainz Richtung Düsseldorf verlassen haben, gilt das Interesse nun Pascal Touzeau, dem neuen Chef eines ganz neu zusammengestellten ballettmainz. Die Erwartungen an den früheren Tänzer in der Avantgarde-Compagnie von William Forsythe sind extrem hoch. Denn Mainz war zuletzt gewöhnt, in der ersten europäischen Ballettliga mitzuspielen. Bisweilen scheint man zu vergessen, dass auch Schläpfer einige Jahre gebraucht hat, zu solch künstlerischer Größe heranzureifen.

In Koblenz steht ein genereller Neuanfang bevor. Wie in der vergangenen Nummer dieser Zeitschrift berichtet, übernimmt dort nach zehnjähriger Intendanz von Annegret Ritzel der junge Markus Dietze die Leitung des Stadttheaters. Er und seine neue Mannschaft treten mit einem Spielplan an, wie es ihn in solcher Modernität an diesem Haus wohl noch nie gegeben hat. Den Auftakt macht am 18. September Alban Bergs Oper „Wozzeck“. Es folgt im Schauspiel ein   zeitgenössisches Kinderstück sowie „Jeff  Koons“ von Rainald Goetz, eine Auseinandersetzung um Kunst, Künstler und das Theater.

Damit eröffnet die neue Koblenzer Mannschaft vom Start weg eine Debatte über das Selbstverständnis des Theaters im 21. Jahrhundert. Sechs Uraufführungen bringt die erste Dietze-Saison mit sich, darunter im Musiktheater eine „Bordellballade“ von Franzobel und Moritz Eggert  sowie von der früheren Mainzer Regisseurin Christina Gassen das Jugendprojekt „Warteschleife“. Zwischen all dem nicht oder kaum Bekannten findet sich indes auch vertrautes Terrain. Etwa die Massenet-Oper „Don Quichote“ oder Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“; „Dantons Tod“ von Büchner, Gogols „Revisor“ oder Shakespeares „Sturm“.

Anders als in manchem Vorjahr gibt es heuer kaum Überschneidungen zwischen den Spielplänen der vier Theater. Lediglich Koblenz und das Stadttheater Trier weisen zwei zufällige Gemeinsamkeiten auf. Beide Bühnen bringen Yasmina Rezas galliges Mittelstandsdrama „Der Gott des Gemetzels“ heraus. Und beiderorts haben sich die Ballettchefs entschieden, Passionsmusik zu vertanzen: In Koblenz choreografiert Anthony Taylor die Johannes-Passion von Bach, für Trier kreiert Sven Grützmacher eine spartenübergreifende Collage zu Passions-Kompositionen u.a. von Bach, Händel und Schnittke.

Ähnlich wie Fontheim in Mainz mit „Geld Macht Gier“, hat auch der Trierer Intendant Gerhard Weber ein politisches Spielzeit-Motto ausgerufen: „stand.ort.suche.deutschland“ –  im 60. Jahr der Bundesrepublik, 70 Jahre nach Beginn des 2. Weltkrieges, 20 Jahre nach Mauerfall. Im Zentrum stehen Albert Ostermaiers Schauspiel „Das Leben der anderen“ nach dem gleichnamigen Film, Detlev Glanerts Oper „Joseph Süss“ über Antisemitismus im Deutschland des Barock sowie zwei Bearbeitungen des größten aller deutschen Dramen – Goethes „Faust“: in Gounods Opern-Form sowie als Schauspielproduktion, die interessanterweise beide Teile der Tragödie an einem Abend miteinander vernetzen will.  

Vom Theater Trier (um 130 000 Besucher) im Norden zum Pfalztheater Kaiserslautern (ebenfalls um 130 000 Besucher) im Süden. Mit dem Ruf „und es bewegt sich doch“ lädt Intendant Johannes Reitmeier ein, sich davon zu überzeugen, dass von der wiederholt behaupteten Krise der Bühnenkunst keine Rede sein kann. 26 Neuinszenierungen sollen beweisen: Das pfälzische Theater bewegt sich und kann Hirn wie Herz seiner Besucher bewegen. Das Programm hält in etwa die Waage zwischen ernsten und leichten Stoffen, ebenso zwischen Klassikern, modernen Klassikern und Gegenwartsdramatik. Das Musiktheater spannt 2009/2010 einen Bogen von Mozarts „Don Giovanni“ und Wagners „Fliegendem Holländer“ bis zum „Wunder der Heliane“ von Korngold und der Uraufführung einer neuen Kammeroper von Helmut Bieler. Dazu –  wie an allen rheinland-pfälzischen Theatern inzwischen Usus –  Musical und Rockoper.

In der Schauspielsparte reicht am Pfalztheater das ernste Spektrum von Goethes „Torquato Tasso“, Brechts „Mutter Courage“ und Williams' „Katze auf dem heißen Blechdach“ bis zum Gegenwartsstück „Verbrennungen“ von Wajdi Mouawad über die Wirkungen des Krieges auf Individuen. Daneben bringt Kaiserslautern als erste deutsche Bühne das niederländische Stück  „Perfect Happiness“ heraus – über drei Leute von heute, die trotz Erfolg und Wohlstand Glück nicht finden können.

Theater, das bedeutet auch in Rheinland-Pfalz immer wieder Unterhaltung und Genuss. Zugleich aber verdeutlichen die aktuellen Spielpläne, dass sich die öffentlichen Bühnen in Kaiserslautern, Mainz, Koblenz und Trier nicht zuletzt als Raum des Innehaltens, des Nachdenkens, des kritischen Diskurses begreifen. Orte eben, wo Probleme, die alle angehen, behandelt werden. Und das ist gut so!                 Andreas Pecht


Infos/Programmanforderung

Mainz:
www.staatstheater-mainz.de
Tel. 06131/28 51 222
Spielzeitstart: 11. September 09

Kaiserslautern:
www.pfalztheater.de
Tel. 0631/36 75 209
Spielzeitstart: 12. September 09
 
Koblenz:
www.theater-koblenz.de  (ab  September)
Tel. 0261/129 28 40 u. 41
Spielzeitstart: 18. September 09

Trier:
www.theater-trier.de
Tel. 0651/718 18 18
Spielzeitstart: 26. September 09


(Erstabdruck 32. Woche im August 2009)
 
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