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2009-09-07 Kommentar:

Warum Parteien im Wahlkampf über das größte Problem dieser Tage keinen Klartext reden

 

Zur Finanzkrise nur vages Gemurmel
 
 
ape. Drei Wochen vor den Bundestagswahlen scheint es, als nehme der bis dato eher dröge Wahlkampf Fahrt auf und an Schärfe zu. Doch bei einem Thema sind die Frontleute vor allem der bisherigen Koalitionsparteien anhaltend wenig redselig: Was wird die Finanz- und Wirtschaftskrise noch bringen, und wer hat am Ende die Rechnung für die Rettungsschirme zu bezahlen?

 
Es ist ein seltsames Phänomen. Vor wenigen Wochen noch strotzten die Parteien von linksaußen bis hinüber zu den Liberalen vor Gewissheit, dass der „Kasinokapitalismus“ ein für allemal in seine Grenzen gewiesen werden müsse. Forderungen nach stärkerer Regulierung der Finanzmärkte, nach schärferer Kontrolle der Finanzakteure und strenger Prüfung der Finanzprodukte war allgemein. Selbst Wirtschaftsverbände und Bankvorstände mochten die Notwendigkeit neuer Handlungsmaximen, gar einer neuen „Weltfinanzordnung“ nicht länger ausschließen.

Und nun? Im Bundestagswahlkampf wird über alles und jedes erst nett geplaudert, jetzt sogar ein bisschen aufgeregter disputiert. Ausgerechnet die Finanzkrise aber bleibt eine Art Blindfleck. Nicht, dass sich die Kämpen darüber etwa ausschweigen würden. Über Managergier wird auf den Wahlkampf-Kundegebungen viel geschimpft, Boni-Begrenzung lauthals gefordert, und Empörung über die Millionen-Abfindung für einen unfähigen Arcandor-Chef hergezeigt. Ebenso der überzeugte Brustton, mit dem etwa die Kanzlerkandidaten verkünden, dass man alles tun werde, damit sich solch eine Krise nie mehr wiederhole.

Doch was ist "alles" konkret? Wie und wann wird es tatsächlich getan? Welche Art neue Finanzordnung soll es geben?  Und bis dahin: Was für Folgen der jetzigen Krise stehen uns noch ins Haus? Und überhaupt: Wer soll auf welche Weise die auflaufenden Schulden für Rettungsschirme und Konjunkturpakete begleichen? Je konkreter die Fragen, umso mehr verlieren sich die wahlkämpferischen Antworten derjenigen Parteien in vagem Gemurmel, die sich mehr oder minder große Chancen ausrechnen, bei der nächsten Bundesregierung dabei zu sein.

Warum das? Weil jeder halbwegs vernünftige Mensch weiß, dass über anstehende arge Probleme zu sprechen wäre, würde Tacheles geredet. Dann müssten der erst noch bevorstehende Durchschlag der Krise auf den Arbeitsmarkt thematisiert werden, die Neuverschuldung des Bundes von fast 90 Milliarden Euro 2010, der zu erwartende Steuerausfall von wahrscheinlich 300 Milliarden bis 2012, die Erhöhung der staatlichen Gesamtschuld auf 1,75 Billionen Euro. Was wird dann aus der Bildungsoffensive, den Familienförderplänen, der Abgabenentlastung, der Steuerreform... ? Wie halten wir es mit den Maastricht-Kriterien, wie mit der unlängst beschlossenen staatlichen Verschuldungsobergrenze?

Der Probleme sind viele und sie sind groß; sie werden dem Land und seiner Bevölkerung noch bitter aufstoßen und manches Opfer abverlangen. Welche Partei aber, die zur Regierung strebt, wollte solche Botschaft überbringen? Schon zu normalen Zeiten gilt in der hiesigen Politik das Prinzip: Du sollst und darfst im Wahlkampf die Bürger nicht mit kommenden Unbilden beunruhigen, sondern musst ihnen  Hoffnung machen, dass alles besser werde, wenn sie dich nur wählen. Dies Prinzip gilt umso mehr bei der aktuellen Krise, von der die meisten Menschen im Land zurecht sagen: Das ist nicht unsere Krise, die haben nicht wir gemacht.

Besondere Schwierigkeit für die bisher regierenden Parteien dabei im aktuellen Wahlkampf: Die Wurzeln der meisten dieser Probleme reichen zurück in die Zeit, als sie politische Verantwortung trugen. Rot-grün kann sich nicht rausreden, weil die heftigste Welle marktliberaler Deregulierungen in die Kanzlerschaften Gerhard Schröders fällt. Schwarz-rot kann sich nicht rausreden, weil die Merkel/Steinmeier-Regierung keinen effektiven Gegenkurs gesetzt hat, weil sie auch die Staatsbanken an der langen Leine frei schalten und zocken ließ, weil sie bis auf den heutigen Tag dem Kampf um eine wirklich durchgreifende Neuordnung des Finanzsystems ausweicht.

Wäre das zeitgenössische Gedächtnis nicht so kurz, es würde sich auch noch an die marktliberalen Entgrenzungen während der späten Kanzlerschaft Kohl, also in den 1990ern unter schwarz-gelber Regierung erinnern. Natürlich ist das alles Schnee von gestern, teils längst, teils eben erst geschmolzen. Die diversen Schmelzwasser ließen jedoch eine Ausspülung auf die andere folgen –  bis der Untergrund allgemein so unsicher wurde, wie er nun ist. Will sagen: Die jüngste Finanz- und Wirtschaftskrise kann auch als vorläufiger Höhepunkt einer schon viele Jahre währenden Entwicklung unter diversen Regierungen angesehen werden.

Weshalb all die Farbspiele derzeit um eventuelle Koalitionen nach der Wahl zwar ganz unterhaltsam sein mögen. Wirklich hilfreich für die persönliche Wahlentscheidung sind sie kaum, so lange die Parteien keinen reinen Wein ausschenken über eine Frage, die die ganze Gesellschaft heftig umtreibt: Was gedenkt ihr konkret zu tun im Hinblick auf die Folgen der Finanzkrise, wer wird bezahlen, wie wird das Finanzsystem umgebaut? Das bisherige Gemurmel dazu klingt nach „Kopf im Sand“, allenfalls noch nach dem zweckoptimistischen Satz, den ein Wirtschaftsjournalist  vergangene Woche fallen ließ: „Bei guter Konjunktur wird auch der deutsche Etat ohne Sparorgien wieder ins Lot kommen.“ Wer's glaubt.                                                          Andreas Pecht


(Erstabdruck in kürzerer Fassung am  8. September 2009)


Finanzkrise, Parteien, Bundestagswahlkampf,
 
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