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Thema Kulturgeschichte
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2009-09-22 Ausstellungsbesprechung:

Hexen - Mythos und Wirklichkeit

Historische Museum Speyer erhellt düsteres Kapitel der Kulturgeschichte

ape. Speyer. „Es hat niemals Hexen gegeben, sondern nur den Glauben daran.“ Mit diesen Worten skizziert Alexander Koch, Direktor des Historischen Museums der Pfalz in Speyer, die wissenschaftliche Ausgangsposition für die aktuelle große Wechselausstellung seines Hauses: „Hexen – Mythos und Wirklichkeit“. Der Satz umreißt zugleich eine Schwierigkeit im Umgang mit diesem Thema: Wie soll ein historisches Museum etwas darstellen, das nie existierte? Speyer richtet mit rund 600 Exponaten und einem brillanten Begleitbuch (Edition Minerva) das Augenmerk auf den Glauben an Hexen, auf dessen Ursachen und Folgen – die sich keineswegs bloß im Reich der Fantasie bewegen,  sondern eine fürchterlich reale Spur in die menschliche Kulturgeschichte eingegraben haben.


Wann hatte das Treiben von Hexen und Hexenverfolgern seinen Höhepunkt? Mancher Historienschmöker bestätigt effektreich die volkstümliche Ansicht:  im „finsteren Mittelalter“. Falsch, ganz falsch. Die Ausstellung in Speyer erhellt diesen Irrtum unter Bezugnahme auf wissenschaftliche Forschungen auch der jüngsten zwei Jahrzehnte. Tatsächlich verbreitete sich der Glaube an Hexen –  also von Menschen, die aus der fleischlichen Vereinigung mit dem Teufel übersinnliche Kräfte gewonnen haben sollen, um die Welt dann mit Schadzaubern zu drangsalieren –  erst in der frühen Neuzeit. Das „Hexenzeitalter“ datiert vom späten 15. bis ins mittlere 18. Jahrhundert. Erstaunlich, fallen in diese Epoche doch auch die großen Überseeentdeckungen, naturwissenschaftliche Durchbrüche, die Reformation, die Renaissance, der Humanismus, ja die Anfänge der Aufklärung.

Kramers „Hexenhammer“

Dieser bemerkenswerten Parallelität scheinbar gegensätzlicher Entwicklungen trägt die Ausstellung Rechnung, indem sie ihre erste Abteilung wie eine riesige Bibliothek gestaltet. Das Wissen der damaligen Menschheit  –  nebst einer Sammlung historischer Buchoriginale, die im Tone hoher Gelehrsamkeit sich über Teufel, Dämonen und Hexen, über deren Wesen, Erkennung und Bekämpfung auslassen, als sei's objektive Wissenschaft. Im Zentrum „malleus maleficarum“, der 1490 in Speyer gedruckte „Hexenhammer“ von Heinrich Kramer. Das Buch befeuerte die Hexenverfolgung nachhaltig, erklärte obendrein jeden, der nicht an Hexen glaubte, zum Häretiker.

Eine der wichtigsten Fragestellungen der Schau ist die nach den Ursachen des Hexenglaubens just in jener Zeit. Alte Gemälde, Zeitzeugnisse, Erklärungen via modernen Medien verdichten sich zu einem komplexen Begründungsgeflecht, das vor allem auf Not und Bedrängnis im Alltag der Menschen verweist. Dreißigjähriger Krieg, mehrere kontinentweite Seuchenwellen (Pest), klimatisch die kleine Eiszeit mit einer langen Folge von Missernten... Das Schicksal meinte es übel mit den Menschen  – Schuldige für solches „Wirken des Bösen“ mussten gefunden und geschlagen werden. In dieser Atmosphäre konnte der Hexenglauben gedeihen, sich zur schieren Hysterie steigern.

Am Anfang jedes Verfolgungsaktes standen Gerücht, Verdächtigung, vager Vorwurf. Es gehört zu den Verdiensten dieser Ausstellung, die hiervon ausgehende methodische Akribie der Hexenprozesse als quasi streng reglementiertes juristisches Verfahren herauszuarbeiten. Ein Verfahren übrigens, das von „ordentlichen Gerichten“ und bei weiten nicht nur von der katholischen Inquisition betrieben wurde. In Speyer ist ein Scheiterhaufen errichtet, genau nach den strengen Vorschriften, die es dafür gab. In einem nachgebauten Gefängnistrakt werden einerseits originale Folterinstrumente „gezeigt“, deren abgestufter Einsatz zur Erlangung von Geständnissen ebenfalls akribisch festgelegt war. In den engen Zellen werden andererseits an Hör-Stationen die Schicksale einzelner Angeklagter mittels Verlesung authentischer Briefe und Dokumente nachgezeichnet. Was allgemeiner Usus war, erfuhr das schuldlos gequälte Individuum dennoch als entsetzliches Martyrium. Eine betroffen machende Erfahrung.

Der Aberglaube lebt

Die Ausstellung wirft auch einen Blick auf die Wirkung des Hexenglaubens in der Malerei. Wir sehen Hexenritte, Hexentänze, Hexenküchen. Darin oft stürmische Bewegung und die zauberischen Weiber entweder jung, nackt, enthemmt oder alt, hässlich und gehässig geifernd. Die Frau als das Unreine, das Lüstliche, das potenziell Böse: Über 75 Prozent der etwa 60 000 bekannten Hexenhinrichtungen in Europa waren Frauen, Hexer nur eine Minderheit. Die letzte öffentliche Hinrichtung einer Frau als Hexe fand 1751 am Kaiserstuhl statt.

Aberglaube und Hexenglaube indes leben fort bis in unsere Tage. Die Schau in Speyer zeigt eine beeindruckende Sammlung von Fetischen, Amuletten, Schutzbriefen, Bannsprüchen, die noch im 19. und 20 Jahrhundert auch im deutschsprachigen Raum benutzt wurden. Sie beleuchtet die Umwertung des Hexenbildes in der Romantik von düster nach licht; dokumentiert abstruse, von Heinrich Himmler initiierte Hexenforschungen während der NS-Zeit; setzt sich kritisch mit dem Wicca-Hexenkult der Gegenwart sowie dem wohlfeilen Hexenboom in Kultur und Tourismus auseinander. Und sie wirft einen Blick nach Afrika, wo in Kenia zurzeit lynchgieriger Mob wieder und wieder über vermeintliche Hexen  und Hexer herfällt.

Noch ein Irrtum, der von den Ausstellungsmachern aufgeklärt wird: Der Hexenwahn tobte vom 15. bis ins 18. Jahrhundert nicht durchgängig und nicht überall. Es gab Hochburgen wie Trier und relativ „ruhige“ Landstriche wie die Kurpfalz. Und es gab, das ist tröstlich, immer auch Kritiker dieses Irrsinns.                                                                                                                               Andreas Pecht

                                                        ***
   
Krötenschleim und Spinnenbein

Kinder haben im Historischen Museum ihre eigene Hexenausstellung: Ein auf spielerisches Tun ausgerichtetes Reich der Fantasie, das an den märchenhaften Hexenerzählungen unserer Zeit anknüpft. Im Hexenladen sprechen Bücher und Schubfächer, im Hexenhaus plappern Tisch und Sofa, an diversen Spielstationen sind erstaunliche optische Phänomene zu erleben und aufzuklären. Verkleidung vorhanden und erwünscht, hexische Baukästen, Zauberstifte und mehr warten auf helle Köpfe wie zupackende Hände. (ape)


Bis 2. Mai 2010. Infos: www.museum.speyer.de

 
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