Kritiken Theater
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2009-10-03 Schauspielkritik:

Intendant Markus Dietze gibt am Theater Koblenz seinen Regieeinstand mit "Jeff Koons" von Rainald Goetz  


Persiflage über die Selbstsucht
der bürgerlichen Kunst-Yuppies
 
 
ape. Koblenz.  Nach Oper und Ballett nun die erste große Schauspielpremiere unter der neuen Intendanz von Markus Dietze am Theater Koblenz. Mit „Jeff Koons“ von Rainald Goetz gab der Chef selbst am Wochenende seinen hiesigen Regie-Einstand. Weil man Dietzes Arbeiten zuvor im fernen Stendal nie gesehen hatte, lautete die bange Frage: Kann der so nette, kommunikative und vor Theaterenthusiasmus sprühende junge Mann auch ordentlich inszenieren? Erleichterte Antwort nach zweieinhalb Stunden:
Er kann.

Unübersehbar, dass da einer sein Handwerk versteht. Stimmiges Licht, sicheres Gefühl für Raumnutzung und Atmosphäre; dazu treffliche Personenführung mit Geschick dafür, aus neun Koblenz-Neulingen und vier übernommenen Mimen ein harmonisierendes Ensemble mit Potenzial zu bilden. Letzteres ist eine der ganz wichtigen Aufgaben für die Startphase einer neuen Theaterbelegschaft.

Die Auswahl des Stoffes kommt dem entgegen, denn  Autor Goetz (Jahrgang 1954) liefert keine fertigen Bühnenstücke. Mit „Jeff Koons“ bietet er einmal mehr dem Theater ein scheinbar bloß  wildwüchsiges Textmosaik aus Gefühls-, Gedanken-, Erlebnis- und Sprachsplittern an – ein wortgewaltiges Manuskript, aber ohne erkennbare Story, sogar ohne Rollenverteilung.  Daraus ein spielbares Stück zu formen, bleibt Angelegenheit von Regisseur und Schauspielern. Dem Vernehmen nach wurde in Koblenz diese Aufgabe in einem kollektiven Schaffensprozess gelöst. Weshalb das Programmheft auch namentlich keine Rollenzuteilung ausweist, und auch diese Besprechung es dabei belässt, eine auf allen Positionen bemerkenswerte Ensembleleistung festzuhalten.

Das Ergebnis –  obwohl szenisch teilweise von fast boulevardesker Leichtigkeit – zergeht keinem Zuschauer wie von selbst auf der Zunge. Wir haben es hier mit jener Art von Theater zu tun, die nach geistig mitarbeitendem Publikum verlangt. Die alte Frage „was will der Autor uns sagen?“ ist dabei ziemlich sinnlos. Besser frage man: Was lösen Text und Spiel bei mir aus? Oder: Was kann ich für mich davon nehmen? Denn wie Goetz ans Theater nur ein Angebot macht, so das Theater mit „Jeff Koons“ an den Zuseher.

Es ist in Koblenz ein vielschichtiges Angebot, dem jeder Anderes abgewinnen kann. Sogar trefflich streiten ließe sich. Vor allem über die Grundidee der Inszenierung: Die hat aus dem Text eine  Persiflage auf Eitelkeit, Oberflächlichkeit und Scheinintellektualität einer Schickmicki-Kunstszene extrahiert. Das beginnt innerhalb eines doppelstöckigen Halbrunds aus quadratischen Waben (Bühne: Bodo Demelius) mit hektisch gickelnder wie schwadronierender Bar- oder Club-Konversation über Bier und Koks und Sex und neue Kunsttrends. Die elitäre In-Gesellschaft   dümmlich im eigenen Saft blubbernd.

Diese Interpretion wird nacher im nach außen gestülpten Wabenrund mehrfach unterstrichen: Der Künstler im pinkenen Glitzeranzug affektiert einen Kunstkonzern leitend, die abgedrehte Society bei einer Vernissage sich selbst und die sinnleere Rabulistik des Redners feiernd. Das ist gekonnt ätzende Demontage einer Kunstszene, die Kunst nur als Vehikel eigener Selbstsucht missbraucht. Dietze spart nicht an einschlägigen Stereotypen; die Inszenierung bewegt sich wohl bewusst oft auf des Messers Schneide zwischen Kunst und Kitsch – damit eine Beziehung zu Leben und Oeuvre des realen Künstlers Jeff Koons knüpfend.

Anbei gibt es aber auch berührende Szenen über die Spannung zwischen zartem Liebessehnen und modischer Geilheit; über die quälende Wirkung von Eifersucht in einer Gesellschaft offener Beziehungen; über den Zynismus der bürgerlichen Elite angesichts von Armut. Und da gibt es den knuffigen zweiten Akt: Der umschifft raffiniert das Problem der Darstellung extensiv sexueller Textpassagen bei Goetz, indem das Geschehen an ein Film-Set verlegt wird, wo ein Schauspielerpaar gegen pornografische Regieanweisungen rebelliert. In einem Aufwasch wird dabei augenzwinkernd Mutationen des Liebesbegriffs von der Romantik bis in die Gegenwart erhellt.
     
Gäbe es diese Szenen nicht, man möchte von der Reduzierung des Diskurses über moderne Kunst auf einen modischen Popanz doch etwas genervt sein. Der Text gibt das her, so wie er bei der Hamburger Uraufführung 1999 Stefan Bachmann erlaubte, daraus ein Märchen zu machen. Aber der Text gäbe auch tiefes Eindringen in die ernsthafte Auseinandersetzung zwischen Kunst/Künstler und Dasein her. Darauf hebt die Koblenzer Interpretation erst in der Schlussszene richtig ab: Der Künstler allein mit sich, seinem Werk und dem Kosmos. Bis dahin hat dieser „Jeff Koons“ ein bisschen arg viel Geist von Yasmina Rezas Komödie „Kunst“ über ein Gemäldes aus weißer Farbe auf weißem Grund.                                                                        Andreas Pecht

Infos: www.theater-koblenz.de


(Erstabdruck in einer etwa kürzeren Fassung am 5. Oktober  2009)

"Jeff Koons" von Rainald Goetz, Theater Koblenz, Regieeinstand Markus Dietze, Kritik 

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