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2009-10-08 Feature/Kommentar:

Zum Literatur-Nobelpreis für Herta Müller
 

Eine Autorin, deren Schreiben erschüttert

 
ape.  Sie ist eine der bedeutenden, unverwechselbaren und auf ganz eigene Weise geharnischten Stimmen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur: Herta Müller.  Gestern wurde der als Banater Schwäbin in Rumänien aufgewachsenen 56-jährigen Autorin der Literatur-Nobelpreis zugesprochen.
 

Wie der Name sagt, geht es beim Literatur-Nobelpreis um Literatur, also um geschriebene Kunst, nicht um wohlfeile Unterhaltung. Weshalb einschlägige Bestsellerautoren selten unter den Preisträgern sind, und umgekehrt mancher Preisträger beim ganz breiten Lesepublikum eher unbekannt ist. Herta Müller ist so ein Fall. In der literarischen Welt durchaus keine Unbekannte und seit etlichen Jahren immer wieder als Nobelpreiskandidatin gehandelt, erreichten die Bücher der 1953 im deutschsprachigen Banat (Rumänien) geborenen Autorin doch nie die Topliste der Verkaufs-Hits.

Dazu sind ihre Werke allesamt zu anspruchsvoll, sprachlich und von den Themen her. Müller gilt als Meisterin der lyrischen Prosa. Lyrische Prosa? Das meint, sie erzählt nicht geradeaus eine Geschichte herunter, sondern fasst, was sie sieht, empfindet, erinnert, vielfach in dichterische Sprachbilder. Die sind mal von überbordender Metaphorik, mal von jener direkt ins Herz treffenden Knappheit, die dem Lyriker eigen sein kann. Leichte Lektüre ist das nicht immer, berührende bis erschütternde fast allemal.

Michael Naumann nannte Herta Müller Anfang dieser Woche bei einem Disput um deren 2009 erschienenen Roman „Atemschaukel“ einen „der bedeutenden dichtenden Zeugen unserer unseligen Epoche“. Diese Beschreibung umfasst beide Besonderheiten der diesjährigen Literatur-Nobelpreisträgerin: Sie ist als Dichterin auch Zeitzeugin, bezeugt dichtend die kreatürliche Angst von Menschen in diktatorischen Gesellschaften. In ihrem Fall ist es die rumänische Ceausescu-Diktatur, unter der sie als Banater Schwäbin aufgewachsen ist, gelitten hat; der sie erst 1987 zusammen mit ihrem Mann Richard Wagner durch Ausreise in den Westen entkam.

Das Leben unter der Diktatur ist Herta Müllers großes Thema. Davon handelte – indirekt – schon ihr erstes Buch „Niederungen“, das die hiesige Kritik sofort aufmerken ließ und 1984 mit dem aspekte-Literaturpreis ausgezeichnet wurde. Darin beschreibt sie aus der Sicht eines Kindes das beklemmende Dasein unter verhärteten Eltern und Mitmenschen der deutschen Minderheit im verarmten Banat. Seither hat ihre Stimme in der deutschsprachigen Literatur Gewicht.

Ein Gewicht, das mit den Folgewerken bestätigt und erhöht wurde. Zumal die Empfindsamkeit, Beobachtungsgabe unbd Sprachgewalt der Autorin sich nicht allein auf die Verarbeitung ihres rumänischen Vorlebens beschränkte, sondern etwa mit dem Band „Reisende auf einem Bein“ von 1989 auch ihr Befremden nach Umsiedlung in den Westen thematisiert. Doch immer wieder kehrte Herta Müller zu „ihrem Thema“ zurück, sie musste es wohl.

Der 1992 erschienene Roman „Der Fuchs war damals schon der Jäger“ handelt von Terror und Angst, die während der letzten Tage des Ceausescu-Regimes Misstrauen und Zerrüttung bis tief in die intimsten Beziehungen treiben. 1997 schreibt Müller mit „Heute wäre ich mir lieber nicht begegnet“ die Geschichte einer Näherin, die vom rumänischen Geheimdienst Securitate zum Verhör geladen wird. Das ist eine Erzählung, die in vielen kurzen Szenen zusammenfügt, was diese Fabrikarbeiterin auf der Straßenbahnfahrt zum Verhör sieht, in kleinen Rückblenden erinnert und was sie fürchtet.

Bei ihrem Lebensthema ist die 56-jährige Autorin auch mit dem aktuellen Roman „Atemschaukel“, der in der Schlussauswahl für den Deutschen Buchpreis steht, über den kommende Woche entschieden wird. Darin geht es um einen von 80 000 jungen Rumäniendeutschen, die 1945 auf Stalins Befehl in sowjetische Arbeitslager gepresst wurden, um die von Nazi-Deutschland zerstörte Industrie wieder aufzubauen.

Das dichterische Nachempfinden des Überlebenskampfes dieses Mannes – es handelt  sich um den 2006 gestorbenen Büchner-Preisträger Oskar Pastior – ist eine tief bewegende  Lektüre. Schmerzhafte Poesie, die der Chef der Nobelpreisakademie Peter Englund so beschreibt: „Als ich ihre Bücher gelesen habe, hat mich das innerlich erschüttert. Sie schreibt völlig ehrlich, mit einer unglaublichen Intensität.“

Herta Müllers Blick als Schriftstellerin gilt den Gefährdungen des Menschlichen durch entmenschlichendes Erleben im Totalitarismus: Hunger,  Lieblosigkeit, Einsamkeit, Bedrohung, Angst. Ihr Schreiben darüber geht unter die Haut, lässt gemütliche Distanziertheit kam zu. Insofern hat sie ihre vielen Preise verdient, darunter aus Rheinland-Pfalz die Zuckmayer-Medaille und den Joseph-Breitbach-Preis. Insofern ist auch die jetzige Nobelpreis-Entscheidung in Ordnung – sieht man davon ab, dass einmal mehr zuerst hätte Philip Roth dran sein müssen.
                                                                                         Andreas Pecht


(Erstabdruck am 9. Oktober 2009)

Literaturnobelpreis, Herta Müller, Kommentar
 
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