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2009-10-11 Ballettkritik:

Start von Pascal Touzeau mit Compagnie
am Staatstheater Mainz
- Viele Fragen bleiben offen, aber...

Das neue ballettmainz
hat großes Potenzial
 
 
ape.  „Alles auf Anfang“, hieß es am Samstag beim ballettmainz. „Es geht ums Ganze“, raunte das Umfeld des Staatstheaters. Denn dort war die Tanzsparte unter Martin Schläpfer zuletzt das Flaggschiff. Dessen Nachfolger Pascal Touzeau stellte sich nun erstmals dem hiesigen Publikum. Die umjubelte Premiere wurde für den kritischen Beobachter zum Wechselbad zwischen Beglückung und Stirnrunzeln.
 

Es sollen an den Neuen nicht die Maßstäbe für den Alten gelegt werden. Noch nicht. Auch Martin Schläpfer hatte einige Jahre gebraucht, um jene Reife zu erreichen, für die er in Mainz  verehrt wurde. Das 20-köpfige neue Ensemble – von Pascal Touzeau aus Talenten gebaut, die er zwischen Moskau und Madrid aufgespürt hat – muss noch zusammenwachsen.  Ebenso müssen Touzeau und Compagnie zueinander finden. Anderes zu erwarten, wäre vermessen. Kunstschaffen ist nie bloß ein Akt, ist immer  Prozess.

Und doch klärt diese erste Premiere eine Frage an das neue ballettmainz: diejenige nach dem Klassenerhalt. Ein Absturz in die Regionalliga steht mitnichten zu erwarten. Dafür hat Touzeau zu gut eingekauft. Bei der Wahl der Tänzer ließ er sich sichtlich nicht von Körpermaß- und Technikideal leiten, sondern suchte nach unterschiedlichen Charakteren: Nach Tänzern, die technisches Vermögen mit individuellem Ausdruck verbinden. Das so entstandene Solisten-Ensemble macht große Hoffnungen.

Wiederbegegnung mit William Forsythe

Alles neu, aber der Abend beginnt mit einer beglückenden Wiederbegegnung – mit „Quintett“, der wohl schönsten Choreografie im kleinen Format aus der frühen 1990er-Periode des ehemaligen Frankfurter Avantgarde-Meisters William Forsythe. Zur gelassen-besinnlichen  Endloslitanei eines schlichten Liedmotives weben drei Männer und zwei Frauen ein dichtes Netz aus Tanzminiaturen. Zarte Pas de deux, Soli, Trios stehen mal für sich allein, mal zueinander in Bezug, mal in sich gekehrt unverbunden nebeneinander.

Das Tempo ist hoch, der Schwierigkeitsgrad noch höher: Weil Stil und Ausdruck sehr rasch wechseln, oft innerhalb einer Bewegung von klassischer Strenge in übermütige Verspieltheit kippen oder von filigraner Zartheit in kraftvolles Selbstbewusstsein. Kaum eine  Figur, die nicht die für jene Forsythe-Periode typische Brechung erfährt: Das Herkommen vom Klassikballett ist noch erkennbar, aber die Grazie gestreckter Leiber löst sich auf in Knickungen, Krümmungen, Beugungen – bis die Mittelachse des historischen Balletts durch sich ständig umordnende Achsen ersetzt ist, und eine andere Tanzästhetik entsteht.

Diese Formensprache ist in allen drei Abenteilen präsent. Was daher rührt, dass Touzeau und Jacopo Godani, (zweiter Choreograf beim neuen ballettmainz,) früher als Tänzer eng mit Forsythe verbunden waren. Nicht zufällig heißt die Produktion  „Related“, verbunden. Und nicht zufällig weist auch Godanis dabei uraufgeführte Choreografie „AURA“ starke Bezüge zu Forsythe auf. Strahlte „Quintett“ den Geist eines quirligen, aber befriedeten Träumens aus, so „AURA“ das schiere Gegenteil.

Schwarze Bühne, schwarze Kostüme, eisiges Neonlicht und kalt-treibende Klangmontagen. Der Tanz wechselt zwischen strengst reglementierter Akuratesse und nahezu formloser Verlorenheit. Die Choreographie ist  Metapher auf eine der Natur, den Göttern, den Idealen entrissene Welt. Darin sind Menschen in fabrikmäßig mechanischer Getriebenheit vollends auf sich selbst geworfen. Ein düsteres Bild, in dem Hoffnung bloß aus der Beschäftung mit der Kunst, hier dem Tanz ableitbar scheint.

Chef-Arbeit macht ratlos

Die beiden schlüssig Klassik und Moderne zu einem Dritten  verbindenden Arbeiten überzeugen. Etwas ratlos indes lässt uns Pascal Touzeaus eigene erste Mainzer Choreografie „Puzzle“. Golden die Einheitskostüme, die Bühne von einer rückwärtigen Lichtersäule wie durch ein Kirchenfenster oft nur diffus beleuchtet. Die Tänzer entsteigen durch Löcher im Boden der Unterbühne, verschwinden über Treppen und Rutschen an der Rampe auch wieder dorthin.
Dies Kommen und Gehen zum spätromantisch anmutenden Cellokonzert von Peteris Vasks dauert an. Dazwischen kurze komplexe Soli und Kleingruppen oder erstaunlich einfache Großformationen – in denen der Forsythe-Stil überlagert wird durch ausladenden  klassischen Manierismus. Am Ende senkt sich die gewaltige Obermaschinerie mit der blitzlichternder Bedrohlichkeit eines Ufo auf zwei zuckende Menschlein herab. Fragezeichen zuhauf.  Weshalb unsere Bilanz fürs erste lautet: Touzeau hat eine Compagnie mit großem Potenzial zusammengestellt. Wohin er damit will, ist indes noch nicht erkennbar.                                                                     Andreas Pecht

Info: www.staatstheater-mainz.com

(Erstabdruck am 12. Oktober 2009)

Pascal Touzeau, ballettmainz, erste Premiere, Kritik

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