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2009-10-18 Schauspielkritik:

"Anna Karenina" ganz ohne Leo Tolstoi
 
Russischer Romanklassiker fürs Theater umgemodelt und in Mainz als tragikomisches Salonstück uraufgeführt

ape. Mainz.  Warum kommt einem dieser Abend im Kleinen Haus des Staatstheaters Mainz so furchtbar lang vor? Weil  „Faust“, „Wallenstein“ oder „King Lear“  ruhig dreieinviertel Stunden dauern dürfen – nicht aber ein tragikomisches Salonstückchen. Auch nicht, wenn es sich großspurig „Anna Karenina“ nennt und irgendwie von Leo Tolstois Roman ableitet.


Armin Kerber hat aus der Kernstory des russischen Großklassikers eine eigene Fassung gemacht. Die wurde von Barbara-David Brüesch für Mainz inszeniert. Es geht darin um die verheiratete Anna, die sich in den feschen Wronski vergafft und mit ihm ihrer drögen Ehe entfleucht – um hernach wilde Lust genießen zu dürfen, dann aber doch im Unglück zu enden. Es geht daneben um Kitty und ihren Konstantin, um Dolly und ihren mit Seitensprüngen beschäftigten Stepan.

Paarungswillige Großstädter

Glaubt man der Bühne von Damian Hitz und den Kostümen von Heidi Walter, ist die Roman-Tragödie von 1875  um knapp 90 Jahre an die Gegenwart herangerückt. Ganz sicher sind wir uns dessen aber nicht: Sensende Bauern, pittoreske Sockenhalter und Vater-Jahn-Volksturnerei verweisen auf ältere Zeit, während ausgelassene Rammel-Persiflage eher an die sportive Triebabfuhr paarungswilliger Großstädter von heute denken lässt.

Man stelle sich Tolstois Geschichte um Liebe und Eifersucht vor ohne Einbettung in die historischen und gesellschaftlichen Bedingungen seiner Zeit: „Anna Karenina“ wäre ein belangloses Romänchen und bald vergessen gewesen. So wird es nun wohl diesem zeitlich und sozial im Nirgendwo verirrten Theaterstück ergehen.

Dafür ist Verena Bukal in der Titelrolle am wenigsten verantwortlich zu machen. Der Schönheit ihres Leibes sicher, versprüht diese Anna Sinnenlust in größter Selbstverständlichkeit. Würde die Regie ihr die Zumutung ständigen Wechsels von einer schicken Kluft in die andere ersparen, und stattdessen den  inneren Ambivalenzen dieser nach Freiheit, Selbstständigkeit, Liebes- und Mutterglück zugleich dürstenden Frau Raum geben: Bukals Bemühen um Nähe zu Tolstois Anna hätte dem Abend vielleicht auf die Sprünge geholfen.

Unernster Mischmasch

So aber verschwindet die Zerrissenheit dieser Figur  hinter Sexappeal und Dekadenz. Das eigentliche Zentrum des Romans wird zerrieben in einem allgemeinen Mischmasch aus  boulevardesker Kalauerei, hübschen Varieté-Tricks und selten ernst genommener, deshalb  übertrieben demonstrativ gespielter Tragik.

Übrig bleibt, wie gesagt, ein Salonstückchen. Als solches ist es handwerklich sogar sehr ordentlich gearbeitet. Genaues Timing, schön abgestufte Dynamik, gute Raumnutzung, knuffiges Tpyenspiel. Lukas Polity gibt einen sich entwickelnden Wronski, Zlatko Maltar den in Konstantin personifizierten Minderwertigkeitskomplex, Greogor Trakis einen gutgelaunt zynischen Stepan. Die von Bonn nach Mainz gewechselte Nicole Kersten macht als hausbackene Dolly gute Figur und Lisa Mies als nachher bodenständig werdende Göre Kitty auch.

Mit Tolstoi jedoch und dem großen, tiefen Stoff der „Anna Karenina“ hat das alles gar nichts zu tun.                 Andreas Pecht


Info: www.staatstheater-mainz.com

(Erstabdruck am 19. Oktober 2009)


Staatstheater Mainz, Uraufführung, "Anna Karenina", Regie: Barbara-David Brüesch, Kritik


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