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2009-11-03 Analyse/Kommentar:

Zur aktuellen Diskussion um Verlängerung der
Laufzeiten deutscher Kernkraftwerke

 

Die Mär von der "Brückentechnologie"

 
ape.  Was die Argumentation der Befürworter einer Verlängerung von AKW-Laufzeiten angeht, so begegnet uns darin dieser Tage eine eigentümliche Unlogik: Da wird mit größtem Ernst unverdrossen die BSS-Behauptung wiederholt (BSS = billig, sauber, sicher), gleichzeitig aber mit scheinbarem Verve am schlussendlichen, wenn auch weit nach hinten verschobenen Atomausstieg festgehalten. Was nun? Entweder Atomkraft ist bss, dann wäre der Ausstieg überhaupt Unfug. Oder an bss ist was faul, dann wäre die Hinausschiebung des Ausstiegs unverantwortlich.
 

Schwarz-gelb, Energiekonzerne, Lobbyisten und diverse Kommentatoren reiten indes die Schimäre einer Zwischenlinie. Warum? Weil sie womöglich Atomkraft zwar für bss halten, aber wissen, dass noch immer die Bevölkerungsmehrheit ihnen kein Wort glaubt. Weshalb der Schimärenritt nur dem Zweck dient: Zeit herausschinden, während der einerseits die abgeschriebenen Meiler ordentlich Extraprofit abwerfen, während der andererseits die AKW-Ablehnungsfront möglichst aufgeweicht wird. Ob danach die Konzerne auf AKW-Neubauten beharren oder aus Angst vor den risikoreichen Gigant-Investitionen vielleicht lieber auf andere Energien umsteigen, wird davon abhängen, für welche Bereiche sie sich mehr staatliche Unterstützung und mehr Gewinn versprechen.

Das aktuelle Auftreten der Befürworter von AKW-Laufzeitverlängerungen geht derweil nach dem gleichen Muster vonstatten wie schon seit den 1970ern/1980ern. Sie treten als die Vernünftigen, die Realisten, die Pragmatiker auf. Als diejenigen, die, im Gegensatz zu den ökologischen Utopisten und Traumtänzern, aus Verantwortung für das Gemeinwohl und für das Funktionieren der Volkswirtschaft die Energieversorgung jetzt und bis auf weiteres sicherstellen wollen. Dazu sei nunmal die Atomtechnik für den Augenblick und auch noch für die nächsten Jahre (Jahrzehnte) unverzichtbar. Man brauche die AKWs (bss!) einfach als "Brückentechnologie", weil der Umstieg auf regenerative Energieproduktion - der angeblich auch ihr langfristiges Ziel ist - noch nicht weit genug vorangeschritten sei.

Dazu kann man nur wieder und immer wieder an Folgendes erinnern:

1.
Atomkraft ist im Vergleich NICHT preiswert (billig), sobald man  ordentlich gesamtbilanziert und alle direkten wie indirekten staatlichen Subvention einrechnet, die es dafür gab, gibt und  noch geben wird. Bei der Forschung und Anschubfinanzierung angefangen, bei Steuererleichterungen, Abschreibungsmodalitäten, Infrastruktur-Unterstützung, Sicherheitslogistik und weitgehender Kostenübernahme für die Mülllagerprospektion lange nicht aufgehört.

2.
Atomkraft ist NICHT sauber, sobald man ordentlich gesamtbilanziert.  Leider lässt sich radioaktive Strahlung und ihre Dauer nicht in CO2-Einheiten umrechnen; die Bilanz für die Belastung der Globosphäre durch AKW-Betrieb und -Entmüllung fiele verheerend aus. Aber auch ohne das relativiert sich die scheinbare CO2-Neutralität der Atomkraft, wenn in die Gesamtbilanz Brennstoffgewinnung (zB Uran-Abbau und -zubereitung) und Brennstoffentsorgung sowie Bau und Demontage/Entsorgung der Kraftwerke selbst eingerechnet wird. Danach liegt die CO2-Bilanz der Kernkraft zwar noch immer unter derjenigen der Kohleverbrennung, ihren derzeit viel beschworenen Nimbus  CO2-freier Energieproduktion wären die AKWs allerdings gründlich los.   

3.
Atomkraft ist NICHT sicher,
wie die unzähligen bekannt gewordenen technischen Störfälle und menschlichen Versagensmomente oder auch "Lässlichkeiten" rund um den Erdball beweisen. Von den vertuschten gar nicht zu reden. Vor allem: Die Risikodimension ist nach menschlichen Maßstäben nicht vertretbar (weshalb es auch von keiner Versicherung versichert wird respektive kein Kraftwerksbetreiber Milliarden-schwere Versicherungsprämien bezahlen kann/will). Denn: Wenn ein Gaskraftwerk in die Luft fliegt, mag das am betreffenden Ort eine Katastrophe sein; ein AKW-GAU hingegen kann ganze Landstriche verheeren, Mensch und Natur über Kontinente hinweg schädigen. Und aus welchem physikalischen Gesetz leiten die Betreiber ihre Gewissheit ab, dass lang-laufende Altanlagen mindestens ebenso sicher seien wie neue? Ein solches Gesetz existiert nicht.

4.
Das Endlagerproblem für Atommüll ist per se unlösbar, sobald man ernsthaft die Zeiträume in Erwägung zieht, für die das Zeug "bombensicher" weggesperrt werden muss. Kein Mensch hat auch nur eine vage Vorstellung davon, wie Zivilisation und/oder Umweltbedingungen sich in den kommenden 100, 200 oder 300 Jahren entwickeln werden. Im Falle Atommüll kommt es aber auf Jahrhunderttausende an. Lachhaft die jüngsten Überlegungen, den strahlenden Dreck in etlichen oder vielen hundert Meter tiefem Gestein zu verbuddeln. Vulkanismus und Tektonik interessiert das nicht im geringsten, sie können mit einem Wimpernschlag das Unterste zu oberst kehren. Und wenn nicht die Natur, so sind es womöglich unsere Kindeskindeskindeskinder, die auf der Suche nach den letzten Resten fossiler Brennstoffe oder wertvoller Erze selbst unter den tiefsten, der von uns leergeräumten Lagerstätten die Erde um und ümmer graben. Wird in 5000 Jahren noch jemand wissen, wohin wir unseren strahlenden Müll geschmissen haben? Die Suche nach dem "idealen" Atom-Endlager ist eine der größten Selbstlügen unserer Zeit.

5.
Die Rede von der "Brückentechnologie" ist eine faule Ausrede, weil sie nichts anderes tut, als politisch-ökonomische Versäumnisse zu objektiven Gegebenheiten umzumünzen. Warum denn ist die Entwicklung regenerativer Energieproduktion "noch nicht weit genug vorangeschritten"? Weil es an politischem Willen und entsprechendem staatlichen Druck auf die Energiewirtschaft gemangelt hat, anhaltend mangelt. Deutschland könnte längst ein Atom-freies, CO2-ärmeres  und dennoch hocheffizientes Energieland sein, hätten nicht die politischen und energiewirtschaftlichen Besitzstandswahrer gemauert, geschlafen und ihre Kraft auf die Verteidigung wohlfeiler, aber wenig zukunftsträchtiger Pfründe konzentriert.  Das ist wie bei der deutschen Automobilindustrie, die sich mit Händen und Füßen gegen Katalysatoren, Partikelfilter oder kleine Sparautos gewehrt hat, bis Politik, Konsumenten und Konkurrenten sie in diese Richtung zwangen. 

Wenn jetzt die Politik durch AKW-Laufzeitverlängerung den Druck zum Energieumstieg noch weiter reduziert, werden wir in 15 Jahren vor dieser Situation stehen: Der Energiebedarf ist weiter gestiegen, der Anteil regenerativer Energien konnte nicht angemessen wachsen, "weshalb Deutschland nicht nur die Laufzeit der Alt-AKWs noch einmal um einige Jahrzehnte verlängern muss, sondern jetzt auch unbedingt in den Bau neuer Kernkraftwerke einsteigen muss". So werden die vermeintlich Vernünftigen, die Realisten, die Pragmatiker dann argumentieren mit dem neuerlichen Hinweis, dass wir einen starken atomaren Anteil am "gesunden Energiemix" unbedingt bräuchten, um die Volkswirtschaft am Laufen zu halten, die Bürger mit hinreichend Strom und Wärme zu versorgen.

Das Argument, unsere Energieversorgung breche zusammen, wenn der bisherige Zeitplan für den Atomausstieg eingehalten wird, ist eine Mär. Sie würde nur dann wahr werden, nutzte man die verbleibenden knapp eineinhalb Jahrzehnte der sukzessiven Abschaltung deutscher AKWs so schlecht wie die zurückliegenden 20 Jahre. Man muss den Umstieg schon wollen, um ihn hinzukriegen; muss dann auch endlich klotzen, nicht kleckern, mauern, Däumchen drehen und großmächtig auf falsche Pferde setzen.  Gleich gar nicht darf man sich den Hintern auf der Kernspaltungs-Brücke plattsitzen in der verquasten Hoffnung, am anderen Brückenkopf möchte irgendwann "Iter" (∇ mehr) die Fusionszukunft erstrahlen lassen oder sich wenigstens mit der CCS-Technik (∇ mehr) noch eine  "Brückentechnologie" eröffnen.                                                                                        Andreas Pecht


 
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